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Sachsen: Linksfraktion darf weiter über Etat verhandeln
Sächsischer Parteitag formuliert Bedingungen und wählt neue Landesvorsitzende
»Niederlagen machen einen stark«, sagt Marco Böhme. Der 35-Jährige hat im September eine bittere Niederlage erlebt. Bei der Landtagswahl sorgte eine furiose Kampagne in seinem Wahlkreis Leipzig 6 dafür, dass Die Linke mit 20,6 Prozent ihr höchstes Zweitstimmenergebnis im Freistaat einfuhr. Böhme selbst aber verpasste das ersehnte Direktmandat, weil das Netzwerk Campact eine Empfehlung für seine grüne Mitbewerberin ausgesprochen hatte. Die Linke scheiterte an der Fünfprozenthürde und zog nur dank zweier anderer Leipziger Direktmandate mit sechs Abgeordneten ins Parlament ein. Böhme dagegen, der zuvor parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion gewesen war und sich Hoffnung auf mehr machen durfte, war raus aus der Landespolitik.
Ein halbes Jahr später ist er zurück – als Teil der neuen Spitze der Landespartei. Auf einem Parteitag am Samstag in Leipzig wurden er und Anja Eichhorn zu neuen Vorsitzenden gewählt. Die 39-jährige Kunsthistorikerin und der studierte Stadtplaner Böhme hatten mit Marika Tändler-Walenta und Silvio Lang, den Kreischefs aus Mittelsachsen und Bautzen, jeweils Gegenkandidaten, setzen sich aber mit 70,5 und 63,7 Prozent durch.
Eichhorn, die unter anderem im Landesfrauenrat und in der LAG Queer der Linken engagiert ist, erklärte, die Linke sei für jene da, »die nicht ins Muster rechter Ideologen passen«. Böhme, der zu den profiliertesten Klimapolitikern der Landespartei gehört und sich seit Jahren antifaschistisch engagiert, betonte, die Linke sei »im Gegensatz zu allen anderen Parteien nicht nach rechts gekippt«. Das sei ihr »Alleinstellungsmerkmal«. Böhme und Eichhorn, die den Delegierten ein gemeinsames Angebot unterbreitet hatten, betonten, sie wollten mit der Linken im Superwahljahr 2029 »die Fläche zurückerobern«. In vier Jahren werden der Bundestag, das Europaparlament, der sächsische Landtag sowie die Stadt-, Gemeinde- und viele Landräte im Freistaat neu gewählt.
Der Verlust vieler kommunaler Mandate bei der Wahl 2024 gehört zu den bedrückenden Erfahrungen ihrer Vorgänger im Amt: Susanne Schaper und Stefan Hartmann, die den Vorsitz 2019 nach einem damals als herbe Niederlage empfundenen Ergebnis von 10,4 Prozent bei einer Landtagswahl übernommen hatten. Sie mussten die Partei danach durch die Corona-Pandemie und schwierige friedenspolitische Debatten anlässlich des Kriegs in der Ukraine führen und zuletzt das bittere 4,5-Prozent-Ergebnis bei der Landtagswahl 2024 verbuchen. Sie seien »Vorsitzende der Krisen« gewesen, sagte Schaper.
Gleichzeitig aber hat es das Duo geschafft, den einst notorisch zerstrittenen Landesverband zu einen – mit einem Kurs, den sie als »sächsischer Weg« bezeichneten und den Schaper so umschrieb: »Man muss das Gemeinsame in den Vordergrund stellen und nicht das Trennende.« Diese Haltung führte dazu, dass auch nach dem Wahldebakel vom September keine Grabenkämpfe ausbrachen. Seither verbuchte die Partei einen beispiellosen Zustrom neuer Mitglieder, deren Zahl kurz vor dem Parteitag den Rekordstand von 11 000 erreichte, und einen furiosen Erfolg bei der Bundestagswahl im Februar. Sie sei »unfassbar glücklich«, sagte Schaper, »dass wir kein Landesvorstand sind, der am Ende das Licht ausmacht«.
Am Wochenende meisterte das scheidende Spitzenduo auch die letzte Herausforderung und sicherte der Landtagsfraktion ein Mandat für weitere Verhandlungen über den aktuellen Landeshaushalt. Die Minderheitskoalition aus CDU und SPD, der im Landtag zehn Sitze zur Mehrheit fehlen, braucht dafür Unterstützung der Opposition. Weil das BSW diese nicht in Aussicht stellen will, ruhen alle Hoffnungen auf Grünen und Linken, die zusammen 13 Abgeordnete stellen.
Allerdings gibt es in der Linken Widerstand dagegen, den Etat mitzutragen. Weil die Steuereinnahmen stagnieren, die finanziellen Verpflichtungen des Landes aber stark gestiegen sind, sah der Regierungsentwurf vom Januar dramatische Kürzungen vor. Es handle sich um »ein beispielloses Kürzungsprogramm«, dem die Abgeordneten der Linken ihre Zustimmung verweigern müssten, hieß es in einem Antrag für den Landesparteitag. Das gelte auch für unzulängliche Kompromisse. Als »Mindestbedingungen« für eine Zustimmung werden neben der Möglichkeit zur Aufnahme von Schulden die Finanzierung der Bereiche Soziales, Gesundheit, Kultur, Bildung und Klimaschutz »auf dem Stand von 2024 plus Inflationsausgleich« genannt. Das gilt als unrealistisch und wäre praktisch auf eine Verweigerung der Linksabgeordneten und damit auf ein Scheitern des Haushalts hinausgelaufen.
»Das bleibt natürlich ein Scheiß-Haushalt. Aber es ist mehr als viel, was wir bisher erreicht haben.«
Rico Gebhardt Landtagsabgeordneter
Die Folgen wären dramatisch, warnte Schaper. Im günstigsten Fall begännen die Verhandlungen von vorn, womit die vorläufige Haushaltsführung verlängert würde, die mit erheblichen Kürzungen von Fördermitteln etwa für Kommunen, Kultur sowie Projekte im Demokratie- und Integrationsbereich verbunden ist. »Das wäre der nahezu sichere Tod der Zivilgesellschaft und damit der feuchte Traum der extremen Rechten«, sagte Schaper.
Denkbare Folge geplatzter Etatgespräche könne auch sein, dass sich die CDU von der AfD tolerieren lasse oder es zu Neuwahlen kommt, deren Sieger laut aktueller Umfragen die Rechtsextremen wären: »Es ist unsere Pflicht, darüber nachzudenken, ob wir das wirklich wollen.« Viele Initiativen, Verbände und Gewerkschaften drängen die Linke, unter diesen Prämissen einem wenn auch unbefriedigenden Etat zuzustimmen. »Lieber ein schlechter Haushalt als gar kein Haushalt«, sagte als Gastredner auf dem Parteitag David Eckardt, der Landesgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt.
Etliche Genossen hielten eine Zustimmung dennoch für falsch. Die Partei werde »erpresst« mit Zugeständnissen wie dem Erhalt einiger zivilgesellschaftlicher Strukturen, sagte Carl Bauer, einer der Autoren des ablehnenden Antrags: »Das ist keine Abkehr von der zerstörerischen Sparpolitik der letzten 30 Jahre.« Der in Leipzig direkt gewählte Landtagsabgeordnete Nam Duy Nguyen warnte, durch ein Tolerieren des Kürzungskurses bestehe die Gefahr, »den Rechten in die Hände zu spielen«. Eine Zustimmung komme nur in Frage, wenn im Etat eine »klar linke Handschrift zu erkennen ist und es einige Projekte gibt, die spürbar das Leben der Menschen im Alltag verbessern«.
Alle anderen seiner Fraktionskollegen, alle vier sächsischen Bundestagsabgeordneten und weitere Parteiprominente unterstützten allerdings einen Dringlichkeitsantrag, der zwar Bedingungen für die weiteren Etatgespräche formuliert, den Abgeordneten aber freie Hand lässt. Diese sollten auf »deutliche Verbesserungen« in Bereichen wie Soziales, Gesundheit, Wohnen oder Demokratieförderung hinwirken, heißt es, ohne dass konkrete Zielvorgaben gemacht werden. Zudem müsse ein »Mitentscheidungsrecht« für Die Linke bei der Vergabe der sächsischen Mittel aus dem 500-Milliarden-Sondervermögen des Bundes festgeschrieben werden, und die Möglichkeiten zur Lockerung der Schuldenbremse sollten »zukünftig« auch vom Freistaat genutzt werden.
Etliches davon wurde offenbar in den laufenden Gesprächen bereits vereinbart. Die Linke werde »zwölf Jahre lang über das Geld aus dem Sondervermögen des Bundes mitverhandeln dürfen«, sagte Hartmann. Zudem seien höhere Beträge bei den Kita-Pauschalen, für Integration, Kultur und die Finanzierung der Studierendenwerke zugesichert, sagte Rico Gebhardt, der Finanzexperte der Fraktion. Der Etat bleibe »natürlich ein Scheiß-Haushalt«, sagte er: »Aber es ist mehr als viel, was wir bisher erreicht haben.«
Landesvize Markus Pohle mahnte, wenn das Land im geplanten Maße den Rotstift ansetze, »dann sind es unsere Leute, die zuerst vor den Bus geworfen werden«. Die sechs Landtagsabgeordneten kämpften in den Verhandlungen mit Koalition und Regierung »einen Kampf wie David gegen Goliath«. Dafür aber gehöre ihnen »das Vertrauen ausgesprochen und nicht das Verhandlungsmandat entzogen«, mahnte Pohle. Das sah die übergroße Mehrheit der rund 160 anwesenden Delegierten ebenso. Der Dringlichkeitsantrag, der den Abgeordneten Beinfreiheit verschafft, wurde am Ende ohne Gegenstimme beschlossen.
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