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  • Reaktion auf Israels Angriff auf Iran

Für das Recht des Stärkeren

Jana Frielinghaus über die Reaktionen aus Bundesregierung und deutschen Parteien auf Israels Angriff auf den Iran

Wohnhäuser, die durch einen iranischen Gegenangriff in Reaktion auf die israelischen Militärschläge gegen den Iran in Bat Jam, Zentralisrael, zerstört wurden. Premier Netanjahu hatte den Angriff auf den Iran damit begründet, er müsse dies für die Sicherheit der israelischen Bevölkerung tun.
Wohnhäuser, die durch einen iranischen Gegenangriff in Reaktion auf die israelischen Militärschläge gegen den Iran in Bat Jam, Zentralisrael, zerstört wurden. Premier Netanjahu hatte den Angriff auf den Iran damit begründet, er müsse dies für die Sicherheit der israelischen Bevölkerung tun.

Es gibt in der deutschen Politik offenbar keine Schamgrenzen mehr beim Messen mit zweierlei Maß. Weder der Bundeskanzler noch der deutsche Außenminister distanzierten sich auch nur vom israelischen Angriff auf den Iran, der gezielten Tötung von Militärs und Wissenschaftlern und den dabei in Kauf genommenen »Kollateralschäden«. Das Auswärtige Amt erklärte, Israel habe »gezielte Schläge gegen iranische Nuklearanlagen« ausgeführt und habe das Recht auf »Selbstverteidigung«. Dagegen verurteilt es die iranischen Gegenangriffe »aufs Schärfste«.

Es war der ägyptische Friedensnobelpreisträger Mohammed El-Baradei, früherer Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, der Außenamtschef Wadephul auf der Plattform X daran erinnerte, dass solche »gezielten Schläge« auf Atomanlagen nach Artikel 56 des Zusatzprotokolls der Genfer Konvention verboten sind. Und dass militärische Angriffe, sofern sie nicht eine unmittelbar bevorstehende Attacke verhindern sollen, nach der Charta der Vereinten Nationen untersagt sind. Dass das Vorgehen Israels im Iran klar völkerrechtswidrig ist, liegt so klar auf der Hand wie in wenigen Fällen. Selbst Israels Premier Netanjahu erklärte, Iran könne, würde man nicht angreifen, erst »in einigen Monaten« über die Atombombe verfügen. Das hat er in den letzten 30 Jahren übrigens schon oft gesagt.

Aber Leuten wie dem CDU-Außenpolitiker Kiesewetter oder der FDP-Europaabgeordneten Strack-Zimmermann ist die Haltung der Bundesregierung noch viel zu wischiwaschi: Kiesewetter forderte auf X sogar, Deutschland müsse sich »klar an die Seite Israels« stellen, wenn »Staatsräson nicht nur Phrase sein« solle. Israel habe »richtig gehandelt« und »der Weltgemeinschaft und dem iranischen Volk einen großen Dienst erwiesen, denn es liegt in unser aller Interesse, dass der Terror des Mullah-Regimes eingedämmt und der Iran keine Nuklearmacht« werde.

Damit widerspricht Kiesewetter nicht nur der Einschätzung nahezu sämtlicher Rechtswissenschaftler und maßgeblicher Atomwaffenexperten, die betonen, dass der Iran recht weit davon entfernt ist, eine Atombombe herstellen zu können. Darüber reden Politiker wie er einer Weltordnung das Wort, in der nur noch das Recht des Stärkeren gilt. Mit dem Argument, genau dies verhindern zu wollen, betonen dieselben Personen munter, Russland müsse im Ukraine-Krieg besiegt werden.

Der Widerspruch fällt ihnen selbstredend nicht auf. Akteure wie der Chef der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, beklagen gar einen »Völkerrechtspositivismus«, der angeblich »Israel empfiehlt, seiner künftigen Auslöschung gefasst und tatenlos zuzusehen«. Sie bewegen sich dabei auf einer Linie mit dem Historiker Michael Wolffsohn, der Ende 2023 bereits erklärte, das Völkerrecht – das nicht weniger ist als die Grundlage der viel gerühmten »regelbasierten Ordnung«, für die der Westen stehe – sei gut »zur Bekämpfung der Blattlaus«. Was er damit sagen wollte: Für aktuelle Herausforderungen wie Terrorismus und Islamismus könne und müsse man dergleichen ignorieren. Diese Haltung bekräftigte Wolffsohn kürzlich in einem Interview, in dem er jegliche Kritik an israelischen Kriegsverbrechen in Gaza zurückwies. Man könnte dergleichen auch Nihilismus gegenüber jeglicher zivilisatorischer Errungenschaft nennen.

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Kiesewetter übrigens teilte auch einen Aufruf des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett an die Bevölkerung des Iran, sich nun endlich gegen die Mullahs zu erheben. »Ihre Zeit ist jetzt«, so Bennett. Das Regime in Teheran sei »niemals schwächer gewesen« – eine interessante Feststellung angesichts dessen, dass es am Freitag noch hieß, man habe angreifen müssen, um einem für Israels Sicherheit tödlichen Überfall zuvorzukommen. »Verpassen Sie nicht diese Gelegenheit, Ihre Freiheit zu erringen!«, ruft Bennett den Iranern zu.

Was könnte zynischer sein als eine solche Aufforderung in dem Moment, in dem die Machthaber im Iran sich noch mehr auf die Verfolgung, Folter und Tötung derer konzentrieren werden, die ihnen als Oppositionelle gelten. Davon abgesehen sind solche und ähnliche Appelle an die Bevölkerung im Iran, die natürlich auch von Beck und Co. kommen, rassistisch und paternalistisch: Wir bomben ein paar Machthaber und ja, auch ein paar Unbeteiligte weg, und nun müsst ihr mal was tun. Und zwar das, was wir von euch erwarten. Deprimierender als das sind nur Leute, die sich als Linke sehen und in diesen Chor einstimmen.

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