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Demo gegen Amazon-Turm in Berlin: »Auf schlechte Nachbarschaft«

Begleitet von Protest eröffnet Amazon seinen Berliner Standort im konzerneigenen Hochhaus

Mit einer künstlerischen Intervention zur Eröffnung des Amazon Towers wurde die S-Bahn-Station Warschauer Straße von Aktivist*innen in »Amazonstraße« umbenannt.
Mit einer künstlerischen Intervention zur Eröffnung des Amazon Towers wurde die S-Bahn-Station Warschauer Straße von Aktivist*innen in »Amazonstraße« umbenannt.

Ein wenig hat man sich inzwischen daran gewöhnt: An der Warschauer Brücke in Friedrichshain steht seit mehr als einem Jahr der fertige Amazon-Turm, offiziell »Edge East Side Tower« genannt. Am Montagmorgen hat sich dennoch Protest vor dem Gebäude versammelt. Der Anlass: Amazon hat eingeladen. Zwar nicht offiziell, aber die Organisator*innen des Protests haben es dennoch mitbekommen. Der Tech-Gigant bezieht nun tatsächlich die Büroräume im Turm, Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat sein Kommen angekündigt. Schon bevor die Kundgebung losgeht, gab es eine Intervention: Die S-Bahn-Station Warschauer Straße in »Amazonstraße« umbenannt. »Die Umbenennung kommentiert ironisch den wachsenden Einfluss Amazons«, schreiben die Aktionskünstler*innen in einer Pressemitteilung.

Auf dem Vorplatz vor dem mit 142 Metern dritthöchsten Gebäude Berlins hat die Polizei Vorkehrungen für die angemeldete Kundgebung getroffen. Die Protestierenden sollen sich in einen quadratischen Käfig aus Absperrgittern, gut 20 Meter lang und breit, quetschen. Ein paar Demonstrant*innen wollen die Einschränkungen zum eigenen Vorteil wenden und an den Gittern ein Banner anbringen, auf dem »No Border, No Nation, Stop Gentrification« steht. Aber die Polizei untersagt das. Stattdessen spannen die Aktivist*innen eine Schnur, an der sie das Banner anbringen. Das wiederum scheint für die Polizei in Ordnung zu sein.

Zu der Kundgebung eingeladen hat das Bündnis Berlin vs. Amazon unter dem Motto »Kein Grund zum Feiern: Amazon ist kein guter Nachbar«. Während kurz nach 10.30 Uhr der erste Redebeitrag gehalten wird, werden am Turm die Schotten dichtgemacht. Mit lautem Surren fahren die Jalousien runter. Lediglich in einem Teil des ersten Obergeschosses bleiben sie offen. Dort sind Polizeibeamte, die die knapp 100 Demonstrant*innen beobachten. »Wir haben es leider nicht geschafft, den Turm zu verhindern«, sagt Barbara von »Wir bleiben alle Friedrichshain«, die für das Demobündnis spricht. So ein Konzern habe hier nichts zu suchen. Sie schließt mit dem Ausruf: »Auf schlechte Nachbarschaft!«

»Wir haben von dem Turm nichts als steigende Mieten und Verdrängung«, sagt die Aktivistin im Gespräch mit »nd«. Dem Kiez droht auch weiteres Ungemach. Auf der anderen Straßenseite, auf der Fläche zwischen Warschauer Brücke und dem S-Bahnhof Warschauer Straße, soll ein weiteres 140 Meter hohes Hochhaus gebaut werden. Erst vor Kurzem hat dafür der Senat dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der gegen das Projekt ist, die Planungshoheit entzogen. »Wir bleiben alle Friedrichshain« ist schon in den Startlöchern, um auch gegen diesen Turmbau zu protestieren. Eine erste größere Demo ist für September angedacht. »Die Menschen, die hier leben, verlieren ihre Stadt«, sagt Barbara.

Die Eröffnung des Turms sei der Abschluss der Mediaspree-Entwicklung, sagt Mads Rasmussen, Sprecher von Berlin vs. Amazon. Die Ergebnisse könne man ganz klar sehen: »Wir haben hier ein komplett durchkommerzialisiertes, durchprivatisiertes, totes Viertel und die Mieten sind explodiert.« Der Turm an sich sei schon problematisch, denn jeder Konzern, der dort eingezogen wäre, hätte dem Viertel ähnliche Probleme bereitet, so Rasmussen. Aber Amazon sei darüber hinaus ein besonders schlimmer Konzern.

Deswegen ist auch eine Rednerin von Verdi auf der Kundgebung. Es sind die Arbeitsbedingungen in den Verteilzentren des Versandhändlers, die die Gewerkschaft umtreiben, erklärt Talea Scholz, Gewerkschaftssekretärin für Einzelhandel gegenüber »nd«. »Die Leute berichten uns, dass sie überwacht und getrackt werden, und haben wegen der körperlichen Arbeit massive gesundheitliche Probleme«, sagt sie. Man müsse diese Perspektive vor dieses »große, glitzernde Gebäude« tragen und für die Arbeiter*innen einstehen, so Scholz. »Sie sind es ja eigentlich, die dieses ganze Imperium aufbauen – durch den Mehrwert, den sie erwirtschaften«

»Wir haben es leider nicht geschafft, den Turm zu verhindern.«

Barbara
Wir bleiben alle Friedrichshain

Das Ziel von Verdi: Einerseits eine Eingliederung von Amazon in den Flächentarifvertrag, andererseits für Amazon speziell ein »Tarifvertrag gute und gesunde Arbeit«, mit dem auf die gesundheitlichen Beschwerden der Angestellten eingegangen wird. Dafür müsste Amazon aber endlich in Verhandlungen mit der Gewerkschaft treten. »Durch massiven gewerkschaftlichen Druck konnten wir Amazon zwingen seine Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren immer wieder zu verbessern, wie etwa den Lohn auf aktuell 15 Euro mindestens anzuheben. Bisher verweigert Amazon sich aber jeden Tarifverhandlungen mit uns«, so Scholz.

»Dass Amazon seine Beschäftigten systematisch bis an ihre physischen und psychischen Grenzen treibt, ist bekannt«, sagt auch Rasmussen. Darüber hinaus basiere das Geschäftsmodell auf der »Zumüllung unseres Planeten« und verursache einen gigantischen CO2-Ausstoß. Und: »Amazon vermeidet sehr erfolgreich, Steuern zu zahlen, und ist über seinen Clouddienst tief verstrickt in die Überwachung, Vertreibung und Auslöschung der Palästinenser durch die israelische Armee.«

Alles Gründe, um Amazon in Friedrichshain nicht den roten Teppich auszurollen. Viele Redner*innen am Montag betonen, man werde weiter gegen die neue Konzernzentrale protestieren. Während der Kundgebung sind immer wieder Personenschützer im Gespräch mit der Polizei zu sehen. Kai Wegner zeigt sich allerdings nicht. Er ist vom Protest unbemerkt zur Eröffnung des neuen Standorts gekommen.

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