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Knatsch um Sachsens Kindergärten
Landtag einigt sich auf Kita-Moratorium, doch Kommunen und Gewerkschaften sind unzufrieden
Die »Spreequellspatzen« gibt es bald nicht mehr. Der Stadtrat von Ebersbach-Neugersdorf hat kürzlich beschlossen, die Kita zu schließen – vor allem weil Kinder fehlen. In der Stadt in der Oberlausitz wurden 2023 noch 60 Kinder geboren, im Jahr darauf nur noch 38. Prognosen des Landkreises Görlitz sagen voraus, dass es dort wie in vielen anderen Orten bald zwei- bis dreimal so viele Kita-Plätze wie Kinder gibt. Die Entwicklung trifft nicht nur das ländliche Ostsachsen. In Chemnitz werden nach Angaben der Stadt bald 1000 Kita-Plätze unbelegt sein; kürzlich wurde das Aus für sechs Einrichtungen beschlossen. In Dresden gibt es mehr als 32 000 Kita-Plätze, benötigt werden weniger als 29 000. Einige Kitas, die zwischen 2009 und 2013 auf dem Höhepunkt der Nachfrage aus Containern errichtet wurden, um den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung erfüllen zu können, werden deshalb abgebaut.
Doch es gibt nicht nur zu viele Kitas in Sachsen, sondern rechnerisch auch zu viel Personal – zumindest wenn am Betreuungsschlüssel nichts geändert wird. Die Gewerkschaft Verdi rechnet vor, dass bei einem gleichbleibenden Zahlenverhältnis von Kindern pro Erzieherin in diesem Jahr 795 Vollzeitstellen frei würden, im kommenden Jahr sogar 970. Vielerorts müssen Mitarbeiterinnen bereits ihre Arbeitszeit verkürzen. Wurden Erzieherinnen noch vor wenigen Jahren händeringend gesucht, finden sie jetzt kaum noch freie Stellen – zumindest in Sachsen. In anderen Bundesländern ist die Nachfrage weiterhin hoch.
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Gewerkschaften und Elternvertreter fordern das Land seit Langem auf, die Entwicklung zu nutzen, um die Bedingungen in den Kitas zu verbessern. Der dortige Betreuungsschlüssel ist mit durchschnittlich 11,5 Kindern je Erzieherin der zweitschlechteste bundesweit, weswegen »viele Kolleginnen am Limit arbeiten«, wie die Gewerkschaft GEW betont. Im vorigen Herbst folgte dem der Landtag und beschloss in seltener Einmütigkeit ein zuvor von der Linken angeregtes »Kita-Moratorium«. Trotz sinkender Kinderzahlen sollte das Land im Jahr 2025 unverändert 920 Millionen Euro bereitstellen, um das Personal »bis auf Weiteres« zu halten. Allerdings war mittlerweile bereits ein neuer Landtag gewählt worden. Die danach gebildete Minderheitsregierung aus CDU und SPD sah sich vor unerwarteten Haushaltslöchern. Als das Kabinett im Frühjahr einen Etatentwurf vorlegte, war kein Geld mehr für ein Kita-Moratorium eingeplant.
In dieser Woche soll es allerdings doch beschlossen werden. Das ist ein Ergebnis von Verhandlungen der Koalition mit den oppositionellen Grünen und Linken über den Doppelhaushalt für 2025/26, die nötig waren, weil CDU und SPD zehn Stimmen zur Mehrheit fehlen. Nach Angaben der Linksabgeordneten Luise Neuhaus-Wartenberg wird die vom Land gezahlte Kita-Pauschale ab August auf 3510 Euro erhöht, wodurch vor allem die Schulvorbereitung verbessert werden soll. Ein Jahr später steigt sie um weitere 60 Euro. Nach Angaben des SSG werden dieses Jahr zunächst 200 zusätzliche Stellen gesichert, im nächsten Jahr noch einmal so viele. Nach Angaben von Neuhaus-Wartenberg geht es insgesamt um 22,6 Millionen Euro. »Selbstverständlich« reiche das Geld nicht aus. »Aber es ist das, was auszuhandeln war.« Die Kommunen bekämen damit Geld, um Standorte und Personal zu halten.
»Wenn der Personalschlüssel nicht deutlich angepasst wird, gehen Hunderte Fachkräfte verloren.«
Gewerkschaft Verdi
Der Beschluss ist freilich noch nicht einmal gefasst, da gibt es von ihnen schon Kritik. Der SSG moniert zum einen, nur ein Viertel der Stellen stehe für pädagogische Arbeit zur Verfügung, die übrigen würden für Leitungsstellen benötigt. Vor allem aber beklagen die Kommunen, dass der Freistaat sich nicht beteilige, wenn Personal- oder Betriebskosten steigen. Letztere erhöhten sich im Schnitt um acht Prozent im Jahr, was Eltern und Kommunen allein trügen. »Das Land feiert sich für vermeintliche Verbesserungen«, sagt SSG-Geschäftsführer Mischa Woitscheck, »und die Kommunalhaushalte werden weiter belastet.« Nach Angaben der SPD-Fraktion trugen die Gemeinden im Jahr 2022 mit 920 Millionen Euro rund 42 Prozent der Gesamtkosten für die Kinderbetreuung von 2,2 Milliarden. Auf das Land entfielen 36 Prozent, auf die Eltern 15 Prozent. Derzeit kostet ein Kita-Platz nach Angaben des SSG durchschnittlich 750 Euro im Monat, wobei sich die Kosten zwischen Krippe, Kita und Hort stark unterscheiden.
Während die Kommunen das Moratorium für »keine tragfähige Lösung« halten, geht es den Gewerkschaften nicht weit genug. Das Land habe die Chance nicht genutzt, die »demografische Rendite für Qualitätssprünge zu nutzen«, kritisiert Verdi; der Betreuungsschlüssel bleibe einer der bundesweit schlechtesten. Zudem sei nur ein Teil der bedrohten Stellen gesichert. Gebe es keine weiteren Änderungen, gingen Hunderte Fachkräfte verloren. »Wir fordern weiter einen verbindlichen Stufenplan zur Verbesserung des Personalschlüssels«, sagte Verdi-Fachgruppenvorstand Till Walther: »Was bringt ein pädagogisches Ideal, wenn es am Geld scheitert?«
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