»Zäune und Ausgrenzung am Görli – das ist nicht mein Kreuzberg«

Am Dienstag begann der Bau des Zauns um den Görlitzer Park. Doch der Widerstand bleibt

Görlitzer Park – »Zäune und Ausgrenzung am Görli – das ist nicht mein Kreuzberg«

Am Dienstagvormittag sind es weitaus weniger als tags zuvor. Doch die 50 Menschen, die sich wieder am Eingang des Görlitzer Parks (Görli) in Berlin-Kreuzberg eingefunden haben, machen deutlich, dass der Protest noch nicht vorüber ist. Sie pfeifen und rufen: »Der Görli bleibt auf!« An allen Eingängen des Parks stehen Polizeiwannen. Der Bau des Zaunes hat begonnen, der rund um den Park führen soll. Denn nach den Plänen von SPD und CDU soll jener nachts geschlossen werden.

Damit sollen nach den Vorstellungen des Senats Drogenhandel und Gewaltkriminalität eingedämmt werden. Pläne für eine nächtliche Schließung des Görli gibt es seit Jahren. Doch konkret wurden sie erst 2023. Seitdem bilden mit SPD und CDU die beiden Parteien den Senat, die sich vehement für die Einzäunung des Parks ausgesprochen haben. Die CDU und besonders Kurt Wansner, der die Partei seit 30 Jahren im Abgeordnetenhaus vertritt, machen sich seit Langem für eine Law-and-Order-Politik stark. Der ultrakonservative Politiker geriert sich als Stimme der alteingesessenen Kreuzberger*innen. Doch er spricht damit durchaus auch Menschen mit migrantischem Hintergrund an, die seit Jahrzehnten in Kreuzberg leben. So bekommt er auch Unterstützung von konservativen türkischen Verbänden im Stadtteil.

Wie Wansner grenzen sie sich von Linken und Migrant*innen ab, die erst in den vergangenen Jahren in den Stadtteil gekommen sind, gerade weil dieser für seine linke und kosmopolitische Kultur bekannt ist. Auch in der SPD gibt es seit Jahren Aufwind für Law-and-Order-Vertreter*innen. Für sie steht die Berliner Innensenatorin Iris Spranger, die sich ebenso vehement für die Einzäunung ausgesprochen hat wie die CDU.

»Manche, die in ihrer Jugend das rebellische Kreuzberg lobten, haben heute nichts gegen den eingezäunten Görli.«

Birgit Demoteilnehmerin und Anwohnerin

Dagegen steht ein Bündnis, das unter dem Motto »Der Görli bleibt auf« weiterhin für ein Kreuzberg eintritt, das sich gegen Zäune, Mauern und staatliche Kontrolle wehrt. Für es ist der Zaunbau reine Symbolpolitik auf Kosten der Schwächsten: »Migrant*innen, Drogennutzer*innen, arme Menschen« zählt Jörg die Gruppen auf, die unter dieser Politik leiden. Er ist einer von knapp 900 Menschen, die bereits am Abend zuvor gegen die Einzäunung und Abschließung des Parks protestierten. An den Bannern zeigte sich, wie politisch heterogen das Bündnis der Zaungegner*innen ist. Eine anarchistische Fahne war auf der Demonstration ebenso vertreten wie eine Fahne der »Sozialistischen Deutschen Arbeiter*innenjugend« (SDAJ), die der DKP nahesteht. »Wir haben uns in den letzten Jahren mit Kundgebungen und Konzerten am Widerstand gegen den Zaun beteiligt«, sagt Mareike von der SDAJ.

Neben politischen Gruppen waren auch viele Anwohner*innen auf der Demonstration vertreten. »Zäune und Ausgrenzung – das ist nicht mein Kreuzberg« lautete ein Spruch, den eine ältere Frau auf ein Stück Karton geschrieben hatte. »Ich wohne schon seit 40 Jahren in Kreuzberg«, sagt Birgit, die ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. »Ich bin mal aus der ostwestfälischen Provinz nach Kreuzberg geflohen, weil ich in der engen, umzäunten Gesellschaft von Paderborn nicht leben wollte. Heute habe ich manchmal das Gefühl, dass mich die enge Gesellschaft jetzt auch in Kreuzberg einholt«, sagt sie. Damit kritisiert sie nicht nur die Politiker*innen, die den Zaun auch gegen den Willen der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg durchsetzen. Auch manche ihrer Kreuzberger Nachbar*innen seien viel konservativer geworden. Damit meint sie vor allem die Zugezogenen in den teuer sanierten Wohnungen. »Manche, die in ihrer Jugend so sehr das rebellische Kreuzberg hoch lobten, haben heute nichts dagegen, wenn der Görli eingezäunt wird«, so die Beobachtung von Birgit.

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Das kann Wolfgang bestätigen, der auch schon seit Jahrzehnten politisch im Stadtteil aktiv ist. »Ich gehe schon seit den 80er Jahren zu Demonstrationen«, sagt er. Damals war die gesellschaftliche Linke ein politischer Faktor. Der Zaun wäre nicht durchzusetzen gewesen. Das ist heute nicht mehr der Fall», so Wolfgang. Auch in Kreuzberg setze sich das Law-and Order-Denken bis in einst alternative Kreise fort, so seine Beobachtung. Das zeigte sich für Wolfgang an der Auseinandersetzung um die Einrichtung der Polizeiwache am Kotti. «Hier hat die gesellschaftliche Linke klar verloren, weil auch viele Bewohner*innen nicht von ihren Argumenten überzeugt werden konnten. Heute wird die Polizeiwache kaum mehr öffentlich hinterfragt, obwohl doch deutlich wurde, dass es reine Symbolpolitik ist. Es gibt nicht weniger Kriminalität, nur mehr Staatsautorität», so Wolfgangs Fazit.

Ob sich das Gleiche auch beim Kampf um den Görli-Zaun wiederholen wird, ist noch offen. Die Zaungegner*innen rufen weiter zu Protesten auf und geben sich optimistisch. «Wir leben hier im Stadtteil und daher müssen Sicherheitsfirmen und Polizei den Görli rund um die Uhr bewachen», sagt ein Zaungegner. Er gibt sich überzeugt, dass die Protestierenden den längeren Atem haben.

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