Klasse Musik an der Zille-Grundschule

Kulturstaatssekretär Tobias Dünow besucht Projekt in Stahnsdorf, bei dem die Musikschule draufzahlt

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Musikschüler spielten am 22. Juni vor dem Potsdamer Landtag, um auf die Geldsorgen der Musikschulen aufmerksam zu machen.
Musikschüler spielten am 22. Juni vor dem Potsdamer Landtag, um auf die Geldsorgen der Musikschulen aufmerksam zu machen.

In diesem Raum der Heinrich-Zille-Grundschule von Stahnsdorf stehen nur wenige Tische und Stühle. Es ist reichlich Platz und den nutzen die Jungen und Mädchen am Dienstag. Sie stehen sich in einem inneren und einem äußeren Kreis gegenüber. Sie singen. Sie klatschen dazu rhythmisch auf die Schenkel und in die Hände des Kindes vor ihnen – und nach einer Weile hüpfen sie so weiter, dass jeder vor dem nächsten Partner steht. Später setzen sich alle und singen: »Die lauten Töne lernen, aber auch die leisen« und »Das ist klasse Musik«.

Brandenburgs Kulturstaatssekretär Tobias Dünow (SPD) hat sich etwas verspätet. Er schlüpft ein paar Minuten nach Unterrichtsbeginn in den Klassenraum, winkt den Kindern zu, als die ihn winkend begrüßen. 300 Grundschulklassen landesweit gehören zum Projekt »Klasse Musik«. Sie werden zwei Stunden pro Woche gemeinsam von einem Musiklehrer und einem Musikschullehrer unterrichtet. Die Kinder lernen dabei oft ein Blas- oder ein Streichinstrument zu spielen. Die Klasse an der Heinrich-Zille-Grundschule singt – angeleitet von einer Musiklehrerin, die hier immer arbeitet, und von einer Musikschullehrerin, die extra von der Kreismusikschule »Engelbert Humperdinck« kommt.

Staatssekretär Dünow wollte sich das unbedingt mal ansehen. Er spricht vorher noch mit Musikschulleiterin Uta Hoffmann-Thoben in Kleinmachnow am Berliner Stadtrand, wo die Musikschule des Landkreises Potsdam-Mittelmark im einstigen Internat des Weinberg-Gymnasiums einen ihrer Standorte hat und Leiterin Hoffmann-Thoben ihr Büro. Dabei verlieren beide die Zeit aus dem Blick und machen sich zu spät auf den knapp drei Kilometer langen Weg nach Stahnsdorf.

Dünow erfährt im Gespräch mit Hoffmann-Thoben, dass diese durchaus für das Projekt »Klasse Musik« schwärmt, es aber als Werbung für ihre Musikschule nicht benötigt. Mehr als 3700 Musikschüler zählt ihre Einrichtung. Mehr können die 127 Lehrkräfte nicht leisten. 1380 Interessierte stehen auf der Warteliste. Das bedeutet: Wer Klavierspielen lernen will, muss sich anderthalb bis zwei Jahre vorher dafür anmelden. Auch für das Fagott und andere Instrumente gibt es Wartezeiten. Zu den wenigen Ausnahmen davon zählt die Tuba.

»Wir haben fast 4000 Schüler. Die sollen nicht alle Musiker werden. Die sollen etwas mitnehmen fürs Leben.«

Uta Hoffmann-Thoben Musikschulleiterin

Für das Projekt »Klasse Musik« erhält Hoffmann-Thoben 63 000 Euro vom Land und muss draufzahlen, wie sie vorrechnet: Gesetzt den Fall, sie hätte eine Lehrkraft, die nichts anderes macht. Diese Lehrkraft würde mit 75 911 Euro brutto im Jahr entlohnt. Die vom Land übernommene Vergütung für den Unterricht würde sich aber nur auf 42 500 Euro belaufen.

Das ist Tobias Dünow neu. Bereits vor dem Treffen wusste der Staatssekretär aber, dass sich das Land schon vor langer Zeit auf einen jährlichen Zuschuss von 5,1 Millionen Euro für die Musikschulen in Brandenburg festlegte. »War mal gut«, kommentiert er. Doch wegen steigender Kosten brauchen die Schulen mehr Geld. Immerhin ein bisschen wurde die Summe mit dem am Freitag vom Landtag verabschiedeten Doppelhaushalt 2025/26 erhöht. Es gibt erst einmal 500 000 Euro mehr und im kommenden Jahr steigt die Gesamtsumme auf 6,1 Millionen Euro.

Der brandenburgische Verband der Musik- und Kunstschulen (VdMK) hatte 20 Millionen Euro zusätzlich gefordert. Das klingt enorm, erklärt sich aber aus einem Sozialgerichtsurteil von 2022, das verlangt, die bisher weit verbreiteten Honorarkräfte fest anzustellen. An der Musikschule »Engelbert Humperdinck« arbeiten bislang 40 Prozent der Lehrkräfte auf Honorarbasis. Lediglich vier Lehrkräfte wollen es selbst nicht anders. Sie sind Musiker, die sich mit dem Unterricht ein Zubrot verdienen – einer von ihnen spielt in der Band von Tim Bendzko, wie Hoffmann-Thoben erzählt.

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Dass Musikschulpädagogen in den Beruf eines Musiklehrers an einer normalen Schule wechseln, weil sie dort monatlich 1000 Euro mehr verdienen, führte bei Hoffmann-Thobens Musikschule nicht zu dem vom VdMK befürchteten Aderlass. Lediglich zwei Kollegen sind gewechselt.

Was sagt VdMK-Präsidentin Gerrit Große dazu, dass vom Land dieses Jahr 5,6 Millionen Euro Zuschuss kommen und nächstes Jahr 6,1 Millionen statt rund 25 Millionen wie gefordert? »Es ist zu wenig, aber besser als nichts oder eine Kürzung«, erklärt Große auf Nachfrage. Zwar haben die Koalitionsfraktionen SPD und BSW einen Haushalt mit Rekordschulden und Rekordausgaben beschlossen. Doch Tarife und Preise steigen, womit es in vielen Bereichen die gleiche Leistung nur noch für mehr Geld gibt. Das kann sich das Land Brandenburg aber nur bedingt leisten, weil die Steuereinnahmen angesichts einer Wirtschaftskrise nicht so steigen wie ursprünglich vorhergesagt.

Staatssekretär Dünow ist prinzipiell dafür, alle Musikschulpädagogen fest anzustellen. Es muss jedoch irgendwie finanziert werden. Die neue Lage führt dazu, dass wahrscheinlich die Gebühren angehoben werden. Schon jetzt sind in Potsdam-Mittelmark 80 Euro im Monat zu entrichten. Dafür gibt es einmal pro Woche 45 Minuten Einzelunterricht. In einer Gruppe von zwei oder drei Schülern ist der Unterricht entsprechend billiger. Aber es müssen erst einmal zwei oder drei Kinder gefunden werden, die alle beispielsweise Trompete spielen wollen und in den ländlichen Gegenden des Landkreises am selben Tag zur selben Zeit kommen können – auch wenn dann kein Bus fährt und sie von ihren Eltern mit dem Auto gebracht werden müssen. Immerhin gibt es bei einem Familieneinkommen bis zum 1,5-fachen des Bürgergeldsatzes eine Ermäßigung von 50 Prozent.

Tobias Dünow ist 53 Jahre alt. Entsprechend lange ist es her, dass er einst als Lehrerkind an der Musikschule Düsseldorf Blockflöten- und Klavierunterricht erhielt – »mit traumatischen Ergebnissen für mich und meine Eltern«, wie er halb im Scherz berichtet. In einer Aula aufzutreten, war ihm sehr peinlich. Echte Freude an der Musik entwickelte Dünow erst später im Chor. Wenn der Politiker heutzutage Konzerte von Musikschulen erlebt, ist er begeistert, was die Kinder und Jugendlichen leisten.

Nur in seltenen Fällen werden die Schüler später Berufsmusiker. Das ist aber auch gar nicht das Ziel. »Die sollen etwas fürs Leben mitnehmen«, erläutert Hoffmann-Thoben. »Zuhören lernen« ist für die Pädagogin auch eine Art von Demokratieförderung.

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