AC/DC in Berlin: Bumm-Zack!

AC/DC gab ein Konzert im Berliner Olympiastadion. Es war das erste seit zehn Jahren

Eigentlich wie bei GZSZ: Seit 50 Jahren das gleiche Programm, aber irgendwie ist das auch beruhigend.
Eigentlich wie bei GZSZ: Seit 50 Jahren das gleiche Programm, aber irgendwie ist das auch beruhigend.

70 Jahre alt ist der kleine Mann jetzt. Und er muss immer noch eine Schuluniform tragen. Zumindest auf der Bühne. Und er muss in seinem fortgeschrittenen Alter fürs Publikum, das derlei erwartet für sein Geld, den Alleinunterhalter und pubertierenden Quatschmichel spielen.

Das ist das Schicksal von Angus Young, Gründungsmitglied und Leadgitarrist der australischen Rock-Combo AC/DC. Doch das hat der Mann, der seit den 1970er Jahren die prägende charismatische Figur dieser Band ist, sich selbst eingebrockt. Wobei: Er macht das ja anscheinend gern. Das Rumpelstilzchenhafte, das er immer an sich hatte, ist geblieben, wenn auch das rhythmische Vor- und Zurückschleudern des Oberkörpers bei gleichzeitigem Headbanging, das er über Jahrzehnte hinweg kultivierte, heute eine Spur langsamer und gemessener praktiziert wird als früher.

Der Betrachter wird den Eindruck nicht los, dass tatsächlich die Gitarre den Mann spielt und nicht der Mann die Gitarre.

Doch wer will’s ihm verdenken. Das Alter geht an niemandem spurlos vorüber. Und dennoch ist der Mann auch heute noch permanent ruhelos in Bewegung, sodass man als Betrachter den Eindruck nicht los wird, dass tatsächlich die Gitarre den Mann spielt und nicht der Mann die Gitarre. Sein Mund ist meist offen und formt analog zur Musik den Buchstaben »O« in unterschiedlichen Größen. Seine Knie zittern fortwährend vor und zurück in einem wiederkehrenden Muster, seine Füße klopfen ununterbrochen den Takt. Und die Gesten, die er im Laufe des Montagabends beim Konzert im Berliner Olympiastadion macht, sind die klassischen drei Gesten, die man von ihm kennt.

Die erste ist die Hörgeste. Dabei schaut er erwartungsvoll mit aufgerissenen Augen und führt die Innenfläche seiner rechten Hand hinter sein Ohr, als wolle er damit sagen: Jetzt seid ihr dran, jetzt kommt euer Gebrüll. Die zweite ist die Zeigefingergeste, die er zu variieren weiß. Dabei zeigt er entweder mit dem Zeigefinger, als bewege dieser sich autonom ohne sein Zutun, gleichsam traumverloren ins Nirgendwo. Oder er hebt, begleitet von einer Mimik, die wohl eine Aufforderung zur Konzentration ausdrücken soll, den Zeigefinger, als wolle er sagen: »Jetzt mal kurz aufgepasst, Freunde, jetzt kommt etwas Bedeutsames!« Die dritte Geste ist die Teufelshörnchengeste. Dabei führt er die ausgestreckten Zeigefinger an die Stirn, die so viel sagen soll wie: Wir lassen‘s heute ganz schön krachen, Freunde, nicht wahr?

Wenn er, wie auch an diesem Abend natürlich, zum wiederholten Mal mit wehendem weißen Haar und mit offenstehendem Mund im Duckwalk über die Bühne spurtet, tut er das aus zwei Gründen: Weil er als ungestümer Jüngling beim öffentlichen Gitarrespielen einst diese Tanzvariante für sich erfunden und als diffus befriedigend empfunden hat. Und weil er weiß, dass man dem Publikum geben muss, was das Publikum will. Das Publikum will qualitativ sauber runtergespielten AC/DC-Bumsrock, möglichst ornamentfrei, mit den üblichen voluminösen Gitarrenriffs. Und den bekommt es selbstverständlich auch. Eine Sorte Musik, bei der das Gehirn auch mal wohlverdient Pause machen darf und bei der man den Refrain auch noch mit sieben oder acht Bier in der Birne locker mitsingen kann.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Der Kompagnon, mit dem Angus Young jetzt seit ziemlich genau 45 Jahren zusammenarbeitet, der Sänger Brian Johnson, der breitbeinig umherstakst und dabei in hospitalistischer Manier mit den Armen rudert, fungiert als Sidekick. Er ist eine wunderbar knuffige Figur. Er hat etwas im besten Sinne Volkstümliches an sich mit seiner notorischen Schiebermütze und seinem ärmellosen Wams, mit dem er Reklame für eine Motorradmarke macht. Fest steht: Niemand auf der Welt kann so gut die Faust ballen und die »Daumen-hoch«-Geste machen und dabei so gewinnend und zuversichtlich lächeln wie er. Und er hat eine vergleichbare Arbeitsethik wie sein langjähriger Kollege. Fleiß, Disziplin, Zuverlässigkeit. Alles geben für den Rock’n’Roll-Zirkus.

Das Geschehen wird auf großen Leinwänden links und rechts der Bühne gezeigt, auf denen erkennbar Young und Johnson dominieren, die beiden verbliebenen Traditionsmitglieder und bewegungsfreudigen Bühnentiere. Die Vorstellung läuft immer gleich ab, was zugleich auch ihre unbestrittene Qualität ist. Es ist die AC/DC-Revue, die die Fans schon kennen und die die immergleichen einzelnen Stationen hat: Bei »Hells Bells« wird die große Kunststoffglocke über der Bühne herabgelassen. Bei »Whole Lotta Rosie« wird die Karikatur einer extrem üppigen weiblichen Schönheit auf den die Bühne flankierenden Großleinwänden gezeigt (früher wurde eine gigantische Gummipuppe über der Bühne aufgeblasen). Bei »Let there be rock« wird während Angus’ mindestens zehnminütigem Gitarrensolo die unvermeidliche Konfettikanone gezündet. Bei »For those about to rock« werden rechts und links und auf der Bühne Kunststoffkanonen aufgefahren, aus denen es punktgenau knallt, wenn der Refrain erklingt, und denen Rauchschwaden entweichen.

AC/DC hat sich selbst im Verlauf von 50 Jahren erfolgreich zur Marke gemacht. Und befriedigt ein inniges Verlangen der Menschen, so wie kaltes Bier und frittierte gesalzene Kartoffelstäbchen das tun. Die Band bietet auch an diesem Abend einen auf die allereinfachsten Elemente reduzierten, dabei aber dynamischen Bluesrock dar, dessen erstaunliche Simplizität zugleich seine enorme Anziehungskraft ausmacht. Never change a winning system. So ist es ja auch mit der Schuluniform, die Angus Young trägt und die ja schon längst tatsächlich keine echte Schuluniform mehr ist wie im Jahr 1974, als der seinerzeit 19-jährige AC/DC-Gitarrist dieses Outfit auf der Suche nach einem zu ihm passenden Image erstmals ausprobierte, sondern ein speziell für den heutigen Rockstar angefertigtes Bühnenkostüm, das in Schnitt und Design an eine Schuluniform erinnern soll. Eine artifizielle Fantasie-Schuluniform also. Angus Young sagte einmal: »Das ist mein Ding. Warum kommen die Leute zu unseren Konzerten? Es ist der Schulanzug. Er funktioniert!« So wie die drei Streifen auf den Produkten eines Sportartikelkonzerns oder der rote Weihnachtsmann, mit dem ein Limonadenkonzern seit Jahrzehnten wirbt.

Wo wir gerade bei »Funktionieren« sind: AC/DC scheint zu funktionieren wie eines dieser mittelständischen Traditionsunternehmen, wo die Chefs noch persönlich die Qualitätskontrolle verantworten, mit den Arbeitern per Du sind, wo man sich freundlich auf die Schultern klopft und sorgsam darüber wacht, dass nicht von irgendwelchen depperten Marketing-Tölpeln am bewährten Unternehmenskurs herumgepfuscht wird, dass alles beim Alten bleibt und das Erfolgskonzept nicht geändert wird: Zwei bis drei markante Gitarrenriffs, Schuluniform, Teufelshörnchen. Eins-Zwei, Bumm-Zack, Eins-Zwei, Bumm-Zack. Das ist der Rhythmus, bei dem man als AC/DC-Fan mit muss. Der darf nicht geändert werden, unter keinen Umständen. Wo kämen wir sonst hin.

Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.

Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen

Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.