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AfD im »Görli«: Aufmerksamkeit ist auch (k)eine Lösung
Demonstrierende gegen eine AfD-Ortsbegegnung im Görlitzer Park ringen um richtige Formen des Protests
Am Eingang von der Skalitzer Straße zum Görlitzer Park dröhnt der letzte Refrain des Anti-Nazi-Klassikers der Ärzte, »Schrei nach Liebe«. Die Stelle, an der Sänger Farin Urlaub seine Stimme eine Oktave höher schraubt und ein letztes Mal schreisingt: »Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe! Deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit!« Und dann: »Ohoho, Arschloch!«, mitskandiert von Vertreter*innen der Kreuzberger Grünen, Linken und lokaler antifaschistischer Gruppen.
Die rund 120 Antifaschist*innen, die sich ab 9.30 Uhr dort versammelt haben, begrüßen damit zwar statt Springerstiefel- nur zwei Anzugträger samt Personenschutz mit Regenschirmen. Die Botschaft gilt für diese trotz ihres bürgerlichen Anstrichs gleichermaßen: »Der Görlitzer Park gehört immer noch uns, Faschisten bleiben unerwünscht!« So fasste ein Teilnehmer der Versammlung die seiner Meinung nach missglückte Aktion zusammen, die zwei AfD-Politiker durchführen wollten. Sie wurden nach nur 15 Minuten unter Pfiffen und »Nazis raus!«-Rufen wieder zum Ausgang hinauskomplimentiert.
Schläge gegen die Brust
Der stellvertretende Vorsitzende der Berliner AfD-Fraktion Thorsten Weiß und sein Parteikollege Alexander Bertram, ebenfalls Mitglied des Abgeordnetenhauses, hatten ihre Fraktion eingeladen, am Dienstag eine »Ortsbegehung« des Görlitzer Parks zu unternehmen, um sich »aus erster Hand ein Bild« von dem Park zu machen, der seit Monaten im Zentrum stadtgesellschaftlicher Auseinandersetzungen und medialer Aufmerksamkeit steht. So gaben sie an, sich für die Kriminalitätslage und die Sauberkeit dort zu interessieren. Die Einladung, die auf Bitte der Abgeordneten nicht nach außen kommuniziert werden sollte, lag »nd« und anderen Medien vorab vor. Auch antifaschistische Gruppen, Die Linke und die Grünen Friedrichshain-Kreuzberg wussten Bescheid und meldeten die Demonstration an, die unter dem Motto »Gegen rechte Hetze« abgehalten wurde.
Im Park selbst wurden die Abgeordneten dann von rund 200 Gegendemonstrant*innen erwartet, die die Begehung unter lautstarkem Protest begleiteten. »Die Polizei hat dann so einen Kokon um die Abgeordneten gebildet und von dort heraus immer wieder zugeschlagen, mit gezielten Schlägen gegen den Solarplexus. Die Leute wurden über Fahrräder geschmissen, einer verfehlte mit dem Kopf nur knapp eine Stahlkante«, erzählt ein Mitglied der »feministischen Antifa«, die sich Panayotta nennt. »Dann haben sie sich am Ausgang noch filmen lassen und sozusagen das Bad in der Menge genossen. Die wollten Aufmerksamkeit haben und sich inszenieren.«
Jugend mobilisiert
Ob die Einladung also vielleicht doch absichtlich durchgestochen wurde, lässt sich nicht sagen. Es gehört jedoch zur bewährten Strategie der AfD, gesellschaftliche Empörungsmechanismen auszunutzen, um ihre Positionen zu verbreiten. Das weiß auch Panayotta, die sogleich den Grünen-Abgeordneten Ario Mirzaie kritisiert, der einige Meter entfernt gerade mit ein paar jungen Leuten Antifa-Rufe für Social Media aufnimmt: »Jetzt kommt hier der Grüne und inszeniert sich noch, nachdem schon alles vorbei ist. Das ist doch Folklore, mit den Jungs hier in ihren Schlauchschals.«
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Wo ein Grüner nach Ansicht einiger vielleicht die Aufmerksamkeitsstrategie der AfD belohnt, hält Elif Eralp, die für Die Linke im Abgeordnetenhaus sitzt, es für einen Erfolg des Protests, wenn die Aufmerksamkeit Menschen erreicht, die dadurch dann antifaschistisch aktiv werden: »Toll war, dass so viele junge Menschen da waren. Im Park haben mich vorhin Schüler*innen angesprochen, wo es zur Kundgebung gegen die AfD geht«, sagt sie zu »nd«. »Das war also ein erfolgreicher Tag.«
Hintergrund der AfD-Begehung ist die Politik des schwarz-roten Senats rund um den Görlitzer Park. Er will einen Zaun bauen, den Park nachts schließen und so Drogenhandel und Gewalt eindämmen. Viele Anwohner*innen kritisieren das als Symbolpolitik, die echte Probleme nur in die umliegenden Straßen verlagere. Alternative Vorschläge umfassen daher Präventionsprogramme oder Fixerstuben. Den Law-and-Order-Vorstoß des Senats nahmen die AfD-Abgeordneten zum Anlass, mit einem Positionspapier (»Görlitzer Park – Schandfleck eines kapitulierenden Staates«) ihr eigenes Narrativ zu verbreiten. Damit profitiere die AfD vom »Streufeuer, das die CDU begonnen hat«, so formuliert es ein Protestierender. »Letzten Endes weiß ich auch nicht, ob man der AfD dann mit dem Protest einen Gefallen tut, aber man kann es auch nicht unwidersprochen stehen lassen.«
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