Auf Sand gebaut

Umnutzungen könnten leeren Bürogebäuden ein zweites Leben einhauchen und die Wohnkrise mindern – wären da nicht Bürokratie, Technik, Machtverhältnisse

Jedes vierte Unternehmen in Deutschland meldet eine zu geringe Auslastung der Büroflächen. Der Trend wird sich Expert*innen zufolge fortsetzen.
Jedes vierte Unternehmen in Deutschland meldet eine zu geringe Auslastung der Büroflächen. Der Trend wird sich Expert*innen zufolge fortsetzen.

Im Jahr 1906 entwarf ein Architekt im US-amerikanischen Buffalo einen eckigen Kasten aus rotem Sandstein. Pompöse Säulen stützten die Seitenflügel, ein begrünter Garten schmückte das Dach, eine der ersten zentralen Klimaanlagen belüftete das Gebäude. Aus fünf Stockwerken Höhe fiel natürliches Licht durch eine Glasdecke auf die Schreibtische in der Eingangshalle. Das Larkins Administration Building von Frank Lloyd Wright gilt als erstes modernes Bürogebäude, gepriesen für seine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse, geächtet als Grundstein der geistigen Legebatterie. Das Verwaltungsgebäude der Seifenfirma Larkin markierte den Beginn eines Büroarbeitstrends, dessen Wende erst die Covid-19-Pandemie einläutete. Seitdem verlagert sich Schreibtischarbeit zurück ins Homeoffice, der Leerstand in Bürogebäuden steigt – und der Ruf wird lauter, die Räume anderweitig zu nutzen.

Laut einer Umfrage des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München (Ifo-Institut) vom April 2025 meldet jedes vierte Unternehmen in Deutschland eine zu geringe Auslastung der Büroflächen. 10,3 Prozent haben ihre Flächen in den letzten Jahren bereits verkleinert, 12,5 Prozent planen es in den nächsten fünf Jahren. Dabei hält die Bautätigkeit bei Bürogebäuden an, ein Relikt aus dem Immobilienboom der Vorjahre. Zugleich fehlen einer Studie des Pestel-Instituts zufolge aktuell 550 000 Wohnungen in Deutschland, bis 2030 bräuchte es zudem mindestens zwei Millionen mehr Sozialwohnungen.

Würden mögliche Umnutzungen von Büroflächen öfter realisiert, könnte das eine Umkehrung der Preisentwicklung am Wohnmarkt bedeuten, schrieben Wissenschaftler*innen des Pestel-Instituts 2021. Das würde auch Menschen zugutekommen, die eine Wohnung im unteren oder mittleren Preissegment brauchen. Zudem können Umnutzungen im Vergleich zu Neubauten 50 Prozent der Ressourcen, der CO2-Emissionen und der benötigten Energie einsparen, betont Ulla Basqué von Architects for Future (A4F) gegenüber dem »nd«. »Nachhaltige Umnutzungen« lautet der Begriff der Stunde – zumal sich der Leerstandstrend Expert*innen zufolge fortsetzen wird. Zwar gebe es immer wieder Meldungen großer Unternehmen wie VW oder Deutsche Bank, die Angestellte wieder ins Büro zitieren. Sie bildeten aber die Ausnahme.

»Umnutzungen helfen die Wohnungskrise zu lindern, sie werden sie aber nicht lösen.«

Simon Krause Ifo-Institut

»Wir bewegen uns auf einem erwartbaren Pfad«, stellt Simon Krause vom Ifo-Institut im Gespräch mit dem »nd« fest. Er ist Ko-Autor einer 2024 in Kooperation mit dem Immobilienberater Collier erschienenen Arbeit zur Zukunft des Büros. Sie untersuchten die sogenannten Top 7, jene deutschen Städte, die für die Immobilienwirtschaft als bedeutendste gelten: München, Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Düsseldorf, Köln und Stuttgart. Die ersten vier sind auch die Bürostädte des Landes. In den Top 7 könnten laut den Berechnungen bei einer durchschnittlichen Größe von 77 Quadratmetern ungefähr 60 200 Wohnungen entstehen, Raum für etwa 102 000 Menschen. Alternativ könnte der Raum zum Beispiel auch für Bildungseinrichtungen genutzt werden.

Dabei sind laut den Berechnungen nur 30 Prozent der leerstehenden Flächen geeignet, um sie in Wohnungen umzunutzen. Das hängt mit technischen und stadtplanerischen Faktoren zusammen. Insgesamt gibt es um die 20 000 Bauvorschriften, zusätzlich divergieren Bauordnungen je nach Bundesland. Da für Bürogebäude andere Regeln gelten als für Wohngebäude, sind die Umbauten meist aufwendig. »In der Regel kann man davon ausgehen, dass Gebäude bis auf den Rohbau abgerissen werden müssen. Deshalb kann man manchmal günstiger bauen als im Neubau, aber es bleibt immer eine Einzelfallbetrachtung«, erklärt Basqué von A4F.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Änderungen des Bebauungsplans von Gewerbe- zu Wohngebieten können lange dauern. Bei Büros werden zudem Eingangsbereiche oder Archive im Untergrund den Flächen zugerechnet, bei Wohngebäuden wird nur der Raum innerhalb abgeschlossener Wohnungen berücksichtigt. Für Eigentümer bedeutet das einen Flächenverlust. Darüber hinaus reduzieren Umnutzungen den Immobilienwert, der sich über eine erzielbare Miete errechnet, egal ob diese tatsächlich erbracht wird. Büros haben höhere Bilanzwerte als Wohnungen, selbst leerstehend wirken sie sich deshalb oft besser auf das Rating der Immobilien aus. Vorteile liegen für Investoren dagegen in deutlich kürzeren Bauzeiten und einer höheren Geschossflächenzahl, die genutzt werden kann. Aus Sicht der Eigentümer sind Umnutzungen dennoch häufig nicht rentabel.

»Umnutzungen könnten zu einer Linderung der Wohnungsfrage beitragen, aber dies ist angesichts der Eigentumsverhältnisse und der Baukosten kaum denkbar«, zeigt sich die Geografin Susanne Heeg gegenüber dem »nd« skeptisch. Sie forscht an der Universität Frankfurt zum Einfluss von Machtkonstellationen auf die bauliche Entwicklung in Städten. »Eigentümer – wohl nicht selten Fonds und andere Finanzinvestoren – werden nicht ohne Anreiz bereit sein, ihre Objekte zur Umnutzung freizugeben, da dies bedeutet, vorher getroffenen Annahmen zur Entwicklung der Renditen aufzugeben.«

Selbst wenn Unternehmer bereit wären, bisherige Renditekalkulationen aufzugeben, müssten sie Objekte verkaufen oder in ihrer Eigentümerschaft Umwandlungen anstrengen, die aus dem neu geschaffenen Wohnraum Luxusobjekte werden lassen würden, vermutet Heeg. »Jedenfalls verweisen die Beispiele, bei denen Umwandlungen stattfanden, auf eine sehr hohe Preisentwicklung. Dazu tragen Gewinnerwartungen, aber auch hohe Anforderungen beim Umbau in Wohngebäude bei.«

Ein Beispiel: Das Viertel Niederrad in der Bürostadt Frankfurt am Main gilt als »Vorzeigemodell« für die Umwandlung eines monostrukturierten Quartiers mit hoher Büroflächendichte in ein gemischt genutztes, das Wohnen und Arbeiten miteinander verknüpfen soll. Aus der ehemaligen Zentrale des zerschlagenen Handelsunternehmens Coop wurde dort der Mikroapartment-Complex »Green Six« (Grüne Sechs) – ein klassisches, weiß gestrichenes Wohngebäude, das auf den ersten Blick nicht sonderlich viel hermacht. Interessierte konnten hier 2015 für stolze Mietpreise von 20 bis 24,40 Euro pro Quadratmeter einziehen. Damals lag der durchschnittliche Mietpreis in Frankfurt bei 7,81 Euro pro Quadratmeter, 22 Prozent über dem Bundesdurchschnitt.

Dem Forscher Krause vom Ifo-Institut zufolge käme ein größeres Angebot am Wohnmarkt durch Umnutzung allen zugute. Er macht sich Gedanken über mögliche Anreize für die Bauindustrie. »In das technische Potenzial kann die Politik schwer eingreifen, in das baurechtliche allerdings schon. Zum Beispiel dadurch, dass sie Bauvorschriften senkt.« Ein klassisches Beispiel für häufig monierte Anforderungen ist der Schallschutz. Dieser muss nach Umbauten Neubauregelungen entsprechen. Das bedeutet unter anderem, dass Decken und Träger verstärkt und Böden zum Teil höher gelegt werden müssen. Dadurch widersprechen wiederum Türen und Fenster anderen Vorgaben, zum Beispiel der Absturzsicherheit. Eine Option wäre darum, den Bestandschutz von Gebäuden für Umnutzungen zu erweitern, meint Krause. »Seien wir ehrlich, in Altbauwohnungen ist es ja auch oft lauter.«

Bayern experimentiert bereits seit 2023 in Pilotprojekten mit dem Gebäudetyp E – einem Konzept für einfaches Bauen, in dem von etablierten Normen und Vorschriften abgewichen werden darf. Gesetzliche Vorgaben zu Stabilität, Feuersicherheit, Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit sollen dabei weiterhin eingehalten werden. Vergangenen Sommer diskutierte die Ampel den Gebäudetyp E als Maßnahme, um Baukosten bundesweit um etwa zehn Prozent zu senken. Auch die aktuelle CDU/CSU-SPD-Bundesregierung arbeitet in der Kategorie Deregulierung. Mitte Juni beschloss sie den sogenannten Wohnungsbau-Turbo. Er soll das Bauen in angespannten Märkten erleichtern, indem beispielsweise keine gesonderten Bebauungspläne mehr vorgelegt werden müssen.

Katalin Gennburg, Stadtbauhistorikerin bei der Linkspartei, kritisiert den Beschluss. Dem Leerstand in Kommunen müsse mit Bauverpflichtungen sowie Umbaugeboten und Abrissverboten begegnet werden, nicht mit Deregulierung. Parlamente würden anderenfalls zu »Abnick-Gremien für Investorenwünsche degradiert«. Aus dem SPD-geführten Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen heißt es zu den Auswirkungen des »Turbos« auf »nd«-Anfrage, die Maßnahme würde Umnutzungen ermöglichen, wo eine Wohnnutzung, etwa aufgrund der Vorgaben eines Bebauungsplans, sonst nicht zulässig wäre. Die Zustimmung der Gemeinden sei weiterhin erforderlich. »Umnutzungen von Nichtwohnfläche in Wohnflächen bleibt ein wichtiges Thema der Legislatur. Wie dieses im Einzelnen angegangen wird, wird derzeit noch geprüft.« Auf eine »nd«-Nachfrage nach leistbarem Wohnraum durch Umnutzungen ging das Ministerium nicht ein.

Laut der Geografin Heeg wäre es dafür notwendig, einen Verkauf gesetzlich an einen nicht-marktorientierten Eigentümer deutlich unter Marktpreis herbeizuführen, um »auch nur entfernt akzeptable« Kauf- oder Mietpreise zu erreichen. »Wenn es zum Verkauf kommt, wird wohl kein Eigentümer dies unter diesen Bedingungen machen – eher bleiben Büroobjekte jahrelang ohne Nutzung.« Wenn sich der Wert der Büroimmobilien bei der Umnutzung deutlich reduziert, kann das für Bürogebäude im Eigentum börsennotierter Fonds oder Gesellschaften bedeuten, dass diese eine Gewinnwarnung an Aktionäre ausgeben müssen und eventuell ihr Fondsrating herabgestuft wird. Eigentümer nehmen demnach oft lieber den Leerstand in Kauf und reduzieren den Bilanzwert über Jahre schrittweise.

Man dürfe sich keinen Illusionen hingeben, sagt Krause vom Ifo-Insitut: »Umnutzungen helfen, die Wohnungskrise zu lindern, sie werden sie aber nicht lösen.« Für leistbaren Wohnraum und soziale Durchmischung gebe es andere bewährte Mittel wie staatliche Wohnungsförderprogramme. Im Bereich des sozialen Wohnungsbaus sieht auch Basqué von A4F Förderbedarf, um die Vorteile des Umbaus wirtschaftlich interessant zu machen und das zu bauen, »was wirklich dringend fehlt«.

Dass das grundsätzlich möglich ist, zeigen zahlreiche in Deutschland verteilte Projekte, beispielsweise das ehemalige Bezirksamt Wandsbeck in Hamburg, das seit 2020 insgesamt 132 öffentlich geförderte Wohnungen beherbergt. Dort ragt inzwischen ein roter Ziegelbau in die Höhe. Er ist mit einer Solaranlage ausgestattet, kontrollierte Lüftungen mit Wärmerückgewinnung reduzieren den Heizbedarf, sämtliche Dachflächen sind begrünt. Entfernt erinnert Hamburgs soziales und nachhaltiges Wohnkonzept an ein vor über hundert Jahren gebautes Bürogebäude in Buffalo. Das wurde in den 50er Jahren abgerissen.

- Anzeige -

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.