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Von Psychiatrie auf polizeiliche Liste: Feindbild psychisch krank
Julian Daum über den autoritären Drang, ihre Mitmenschen auf Listen zu setzen
Wir schlagen also das neueste Kapitel des autoritären Drifts in Deutschland auf: Psychiatrisch erkrankte Menschen »sind eine Gefahr für sich und die Gemeinschaft.« Sie sollen deshalb »den Ordnungsbehörden gemeldet werden.« So erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der hessischen CDU Ralf-Nobert Bartelt in einem Instagram-Video sehr konkret ein Vorhaben, für das Parteikollege Carsten Linnemann vor ein paar Monaten noch recht unspezifisch die bundesdeutschen Akzeptanzwasser getestet hatte: Mit den Stimmen der SPD soll nun auf Landesebene einen Gesetzesentwurf eingebracht werden, der den als »Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz« ins Behördendeutsch gegossenen Euphemismus reformieren soll. Demnach sollen bestimmte psychisch erkrankte Menschen der Polizei gemeldet werden, auch nachdem sie die Psychiatrie verlassen haben.
Der autoritäre Staat, in dem eine Vielfalt körperlicher, politischer und psychischer Lebensrealitäten nicht vorgesehen ist, betrachtet von Rassismus Betroffene, queere Menschen oder psychisch Erkrankte als Bedrohung. Sie werden markiert, überwacht und langfristig in ihrer Existenz bedroht. Das spiegelt sich in den Worten Bartelts: Psychisch Erkranke sind nicht etwa der Hilfe bedürftig, sondern eine Gefahr, die eingehegt werden muss. Bei tödlichen Polizeieinsätzen befanden sich geschätzt zwei Drittel der Opfer in psychischen Ausnahmesituationen. Trotzdem soll eben jenen Behörden, die medizinisch weder Nutzen noch Expertise aufweisen, deren Aufgabe nicht Hilfe, sondern Abwehr und Kontrolle ist, Listen von Menschen erhalten, die nichts verbrochen haben.
Es gibt historische Vorbilder dafür, gerade und vor allem in Deutschland. Am Ende stand Euthanasie – hunderttausendfacher, staatlich organisierter Mord.
Derweil will die hessische CDU natürlich missverstanden worden sein. Man kennt es als mediale Strategie der AfD: Man habe das ja alles ganz anders gemeint. Es ginge ja nur um ganz bestimmte Fälle unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Nur weshalb wurde das dann nicht gleich so kommuniziert? Vielleicht, weil der Meinungskorridor da schon verschoben wurde und die Menschen nun schon seit zwei Tagen darüber diskutieren, ob ihre Mitmenschen wieder auf Listen gesetzt werden sollen, so wie die vor 90 Jahren.
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