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Brics-Staaten im Spannungsfeld mit den USA
Handelsstreit und politische Unsicherheiten belasten auch die großen Schwellenländer
Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Kaum ist das G7-Treffen der Regierungschefs der sieben führenden kapitalistischen Industriestaaten in Kanada mehr oder weniger erfolglos zu Ende gegangen, treffen sich am Sonntag die Repräsentanten der führenden kapitalistischen Schwellenländer in Rio de Janeiro. Der zweitägige 17. Brics-Gipfel hat sich mehr oder weniger die bekannten Ziele gesetzt. So soll die Abhängigkeit vom US-Dollar reduziert und geopolitisch eine multipolare Weltordnung geschafft werden. Konkret geht es diesmal um mehr Gesundheitszusammenarbeit, Fragen des Klimawandels und der Künstlichen Intelligenz sowie eine Reform des multilateralen Systems für Frieden und Sicherheit.
Neben Wladimir Putin, der wegen des internationalen Haftbefehls zuhause bleibt, kommt auch Chinas Staatschef Xi Jinping erstmals nicht zum Brics-Gipfel. Er schickt seinen Ministerpräsidenten Li Qiang. Auch wenn von Terminproblemen die Rede ist, könnte dies mit der Weigerung Brasiliens zusammenhängen, der chinesischen Seidenstraßen-Initiative beizutreten.
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Die erhöhte politische Unsicherheit und die sich verschlechternden Handelsbeziehungen haben die Wachstumsaussichten nicht allein in der G7-Gruppe geschwächt, sondern ebenfalls in den Brics-Staaten um die Gründungsmitglieder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Gleichzeitig verstärken strukturelle Schwächen etwa im Banksystem die Risiken und machen Volkswirtschaften anfälliger für ein Wiedererstarken der Inflation, heißt es in einer Analyse der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. Zugleich warnt die Dachorganisation der Zentralbanken vor einer »stärkeren internationalen Transmission« von regionalen Krisen. Die Globalisierung der Realwirtschaft und der Finanzmärkte, zuletzt getrieben von der wachsenden Bedeutung von Nichtbanken selbst in der Finanzierung von Staatsschulden, sorgt dafür, dass der berühmte Sack Reis, der in China umfällt, auch in weit entfernten Regionen der Welt zu Erschütterungen führt.
Besonders starke Erschütterungen erzeugt die wirtschaftlich wie politisch stärkste Macht unter den Brics-Staaten: China. Eine robuste Industrieproduktion und steigende Einzelhandelsumsätze deuten auf ein robustes Wachstum der Volkswirtschaft im ersten Halbjahr 2025 um mehr als fünf Prozent hin. Der weitere Ausblick ist aber nach Meinung von Ökonomen weniger günstig. Nach Verhandlungen in London haben sich China und die USA zwar Ende Juni auf eine Lockerung ihrer gegenseitigen Exportkontrollen verständigt. Einige neuralgische Punkte (Hochtechnologie) und der zunächst nur bis zum 9. Juli geltende Zollkompromiss sind damit aber längst nicht vom Tisch. Staatspräsident Xi und seine Regierung versuchen zudem, die extreme Exportabhängigkeit zu reduzieren und die Binnennachfrage in China anzukurbeln. Die Wirkung dieser Maßnahmen dürfte aber bald nachlassen.
Die Zeiten von Wachstumsraten nahe zehn Prozent scheinen im Wirtschaftswunderland China vorbei zu sein. Auch Gastgeber Brasilien mit seinen 200 Millionen Einwohnern hat schon bessere Zeiten erlebt. Für dieses Jahr wird nur noch ein Wachstum von zwei Prozent erwartet. Indien dürfte immerhin um die sechs Prozent zulegen, was angesichts der sozialen Verwerfungen und einer rasant wachsenden Bevölkerung aber nicht hinreicht.
Die meisten Brics-Staaten schneiden allerdings noch besser ab als die ärmeren Länder. Die Weltbank beklagte kürzlich in einem Bericht, dass der jahrzehntelange Aufholprozess, während dessen mehr als eine Milliarde Menschen aus der extremen Armut herauswuchsen, gestoppt sei. Seit drei Jahrzehnten sinken die Wachstumsraten.
Auch wenn sich Brics als Plattform des globalen Südens und als Rivale zur G7 sieht, ein homogener Block ist man nicht. »Antiwestlich« agierende Staaten wie Russland, Iran und China stehen oft im Gegensatz zu Staaten, die Brics lediglich als eine zusätzliche Plattform für ihre nationalen Interessen betrachten. So spricht Brasiliens Präsident Lula da Silva als Gastgeber des Treffens davon, dass Brics »ein Teil der Schaffung einer besseren, nachhaltigeren Welt sein muss«. Letztlich ist die Gruppe nicht mehr als ein weiteres Forum für Kooperation.
Ex-Kanzlerin Angela Merkel verwies kürzlich in einem Interview auf die Weltfinanzkrise ab 2007, die den Blick in Schwellen- und Entwicklungsländern auf die »marktwirtschaftliche Ordnung« verändert habe. »Damals haben sich die Brics-Staaten gebildet und versucht, ihre eigene Ordnung zu etablieren.« Dazu baut der Zehnerklub ein wachsendes Netzwerk zweiseitiger Kooperationen auf, das von Handel über Investitionen bis zu KI und militärischer Zusammenarbeit reicht.
Brics versucht derzeit, vor allem den Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent auszubauen.
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Anfang 2024 kamen der Iran, Ägypten, Äthiopien und die Vereinigten Arabischen Emirate hinzu, im Januar dieses Jahres wurde Indonesien als zehntes Mitglied aufgenommen, die größte Volkswirtschaft Südostasiens mit der viertgrößten Bevölkerung der Welt. Mehr als ein Dutzend Länder sind als »Partner« (ohne Stimmrecht) in Rio mit dabei, weitere haben ihr Interesse bekundet. Einschließlich der Partnerstaaten umfasst der Staatenverbund nun 46 Prozent des globalen BIP und 55 Prozent der Weltbevölkerung.
Brics versucht derzeit, vor allem den Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent auszubauen – als Gegengewicht zum globalen Norden. Mit dem neuen Partnerland Nigeria besitzt man hier jetzt vier Eckpfeiler. Nigeria erhofft sich Investitionen in Infrastrukturprojekte und den Zugang zu alternativen Finanzquellen wie der Brics-eigenen New Development Bank. Die Entwicklungsbank bietet Finanzierungsmöglichkeiten, die weniger restriktiv sind als die Bedingungen, die westliche Institutionen wie der Internationale Währungsfonds stellen. Anders als im Sprichwort fängt mit Geld in der Staatenwelt die Freundschaft erst an.
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