Berlin: Streik im Kino, Punk im Theater

Die Volksbühne erinnert an den Arbeitskampf im Berliner Kino »Babylon« vor 15 Jahren

2015 übernahm Verdi den Arbeitskampf, der von der FAU angestoßen wurde – und scheiterte.
2015 übernahm Verdi den Arbeitskampf, der von der FAU angestoßen wurde – und scheiterte.

Ein Arbeitskampf in dem Berliner Kino »Babylon« am Rosa-Luxemburg-Platz mit nicht einmal drei Dutzend Beschäftigten schlug 2009/10 ungewöhnlich hohe Wellen. Das lag auch daran, dass damals die Basisgewerkschaft Freie Arbeiter*innen-Union (FAU) die Beschäftigten vertrat. 15 Jahre später ist dieser Arbeitskampf nicht mehr so bekannt. Am Donnerstagabend wurde im Roten Salon der Volksbühne im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Vergessene Arbeitskämpfe – Ein Punk-Abend« daran erinnert.

»Es ist faszinierend zu sehen, wie gut das Konzept ›Punk trifft auf Arbeitskampf‹ funktioniert«, sagt Martin, einer der Gäste, der die im Saal angebrachte Wandzeitung ausführlich studierte. Er habe vom »Babylon«-Kampf gehört, sei damals noch Schüler gewesen und habe gerade begonnen, sich für linke Politik zu interessieren. »Mir ist aber nicht klar gewesen, dass durch den Arbeitskampf die Basisgewerkschaft FAU sogar in ihrer Existenz bedroht war.« Er habe erst während der Veranstaltung erfahren, dass der FAU damals die Gewerkschaftsfähigkeit aberkannt wurde. »Ich hätte gar nicht gedacht, dass eine solche Maßnahme in Deutschland möglich ist«, sagt Martin.

Der Rote Salon ist ein gleich in mehrfacher Hinsicht passender Ort für die Veranstaltung. Die Volksbühne befindet sich in unmittelbarer Nähe des Kinos »Babylon«. Zudem fand genau in diesem Saal am 30. Januar 2010, also vor mehr als 15 Jahren, eine Diskussionsveranstaltung über »Neue Formen von Arbeitskampf und kollektiver Organisierung« im Rahmen des Arbeitskampfes statt. Ein Mitschnitt der Debatte war am Donnerstagabend auf einem Bildschirm zu sehen. Auf einem zweiten Monitor lief ein weiterer fast einstündiger Dokumentarfilm, der von Streikenden und Unterstützer*innen vor 15 Jahren gedreht wurde.

Die Filme stießen beim Publikum auf großes Interesse. Selbst während die beiden Berliner Punkbands »Batterrrii« und »Zwang« auf der Bühne standen, widmeten sich einige den Dokumentarfilmen oder der dreiseitigen Wandzeitung, die sämtliche Stationen des fast zweijährigen Arbeitskampfes im »Babylon« auflistete.

»Es war der Mut der Belegschaft, die sich gegen die miserablen Arbeitsbedingungen in dem Kino wehrten und einen Tarifvertrag forderten«, sagt Hansi Oostinga von der FAU. Er war vor 15 Jahren als Mitglied der Basisgewerkschaft in dem Arbeitskampf aktiv. Er schildert, wie die Kinoleitung auf die Forderungen von Belegschaft und Gewerkschaft mit Ablehnung reagierte. Nur einmal sei es zu einem Treffen zwischen FAU und der Leitung bekommen, sagt Oostinga. Danach sei die Kinoleitung immer auf Konfrontationskurs gegangen. FAU-Mitglieder wurden mithilfe der Polizei aus dem Kino geworfen.

»Mir ist nicht klar gewesen, dass durch den Arbeitskampf die Basisgewerkschaft FAU sogar in ihrer Existenz bedroht war.«

Martin Besucher

Am 16. Juni 2009 begann der Streik der »Babylon«-Beschäftigen, der knapp einen Monat später mit einem Boykottaufruf verschärft wurde: Solidarische Kinobesucher*innen wurden aufgerufen, das Kino zu meiden, bis die Forderungen der Beschäftigten nach besseren Arbeitsbedingungen und einem Tarifvertrag umgesetzt sind. Solche Boykottaufrufe gehören seit vielen Jahren zu den Instrumentarien von Gewerkschaften im Arbeitskampf. Die Leitung des »Babylon« reagierte mit juristischen Mitteln und beantragte, der FAU ihre Gewerkschaftsfähigkeit abzusprechen.

Nachdem das Arbeitsgericht dem Antrag stattgegeben hatte, sei für die FAU eine »gefährliche Situation« entstanden, erinnert sich ein Mitglied der Basisgewerkschaft. »Die FAU musste zunächst jede gewerkschaftliche Aktivität einstellen, weil sonst hohe Strafzahlungen gedroht hätten.« Sofort setzte eine länderübergreifende Solidaritätskampagne ein, bis das Verbot aufgehoben wurde. Die dokumentierte Diskussionsveranstaltung war ein Höhepunkt dieser Arbeit. Dort sprachen neben Holger Marcks für die FAU auch Jochen Gester von der IG Metall und Renate Hürtgen, die 1989 als linke DDR-Oppositionelle die Initiative für eine unabhängige Gewerkschaft mitgegründet hatte. Dort hatte seinerzeit die FAU mitgearbeitet, die Hürtgen damals kennenlernte.

»Es ist nach 15 Jahren immer noch höchst interessant nachzuhören, auf welch hohem Niveau damals auf der Veranstaltung über die Notwendigkeit basisdemokratischer Strukturen in der Gewerkschaftsbewegung gesprochen wurde. Das ist heute noch genauso aktuell, aber leider wird weniger darüber geredet«, sagt Konzertbesucherin Miriam zu »nd«. Sie hat bereits zum dritten Mal eine Veranstaltung der Reihe »Vergessene Arbeitskämpfe« im Roten Salon der Volksbühne besucht. »Mich überzeugt das Konzept, neben Punkmusik noch mehr über einen Arbeitskampf zu erfahren«, so die junge Besucherin.

Bei den mittlerweile fast 50 Punk-Abenden wurden in der Reihe »Vergessene Arbeitskämpfe« unterschiedliche Streiks in aller Welt thematisiert. Der Ausstand der überwiegend migrantischen Frauen beim Autozulieferer Pierburg im Jahr 1973 stand ebenso im Mittelpunkt eines Abends wie der Arbeitskampf der Minenarbeiter*innen in Südafrika 2012 und der Streik der Streichholzfrauen in Norwegen im Jahr 1898.

Der »Babylon«-Arbeitskampf ist leider keine Erfolgsgeschichte. 2015 startete die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi dort noch einmal einen Arbeitskampf und war ebenso wie fünf Jahre zuvor die FAU mit dem Konfrontationskurs der Kinoleitung konfrontiert. Verdi konnte schließlich nur Abfindungen für ihre Mitglieder aushandeln. Heute ist das Kino wieder gewerkschaftsfrei.

Hansi Oostinga sieht schwere Fehler bei Verdi: »Die Gewerkschaft wollte vor 15 Jahren nicht akzeptieren, dass die FAU in dem Kino die größte Gewerkschaft war, und nahm Verhandlungen mit der Kinoleitung gegen den Willen der Mehrheit der Belegschaft auf.« Als die FAU im Kino kein Faktor mehr war, war auch für Verdi dort kein Platz mehr. Oostinga ist überzeugt: »Hätten wir vor 15 Jahren im «Babylon» alle an einem Strang gezogen, sähe es heute vielleicht anders aus mit der gewerkschaftlichen Organisierung in dem Kino.«

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