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Schwarzmaler und Schönfärber
Brandenburgs Landtag debattiert die großen Schwierigkeiten der Industriebetriebe
Ghazaleh Madani stammt aus dem Iran und hat dort Medizin studiert. 2020 verließ sie ihre Heimat und studierte in Potsdam Biochemie und Molekularbiologie. Sie gründete die Can Chip GmbH, die ein Verfahren für die Krebsforschung entwickelte, das Tierversuche vermeidet. Zu ihrem Team gehören mit Omid Nejati und Zhina Mazhari zwei weitere Molekularbiologen mit iranischer Herkunft. Der Bundesverband Deutsche Startups ehrte Madani als »Newcomerin des Jahres« und ihre GmbH erhielt am 10. Juli den Brandenburger Innovationspreis. Bei der Preisverleihung ließ sich die 29-Jährige mit Brandenburgs Wirtschaftsminister Daniel Keller (SPD) fotografieren.
Am Mittwoch erzählte Minister Keller im Landtag von Madani und davon, wie ihre in Potsdam ansässige GmbH die Krebsforschung revolutioniere. Keller sagte, es brauche ein Klima, in dem Fachkräfte aus dem Ausland gern nach Brandenburg kommen. Er verwies auf die 2500 Beschäftigten aus 60 verschiedenen Nationen beim Triebwerkshersteller Rolls-Royce in Dahlewitz. Das entgegnete Keller dem AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt, der zuvor gesagt hatte, wenn es weniger Asylmigration gäbe, würden weniger Fachkräfte das Land verlassen.
Tatsächlich gibt es Einheimische, die sich von Flüchtlingen gestört fühlten und nach Ungarn auswanderten – und einige von ihnen produzieren Internetvideos darüber, wie viel schöner die Verhältnisse dort seien als in der Bundesrepublik. Doch lebten Ende 2023 nur rund 22 000 deutsche Staatsbürger in Ungarn, darunter nicht selten Senioren, die als Arbeitskräfte gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Zum Vergleich: In die Schweiz waren 316 000 Deutsche ausgewandert, nach Österreich 225 000, nach Spanien 126 000, nach Frankreich 87 000 und in die Niederlande 84 000.
Auf Verlangen der AfD debattierte der Landtag am Mittwoch über eine »neue wirtschaftspolitische Strategie«. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) beteiligte sich mit halblauten Zwischenrufen. Mehrfach forderte Woidke auf diese Weise, AfD-Politiker Berndt möge endlich seine wirtschaftspolitische Strategie darlegen. Am Ende kommentierte Woidke ironisch: »Eine umfassende Strategie.« Berndt schimpfte, Woidke hätte zuhören sollen, woraufhin der Ministerpräsident versicherte: »Ich habe zugehört.«
Berndt hatte tatsächlich wenig bis nichts gesagt, was als wirtschaftspolitische Strategie gedeutet werden könnte. Er hatte stattdessen erzählt, wie schlecht es der PCK-Raffinerie in Schwedt und den Stahlwerken in Hennigsdorf und Eisenhüttenstadt gehe und dass für das Einlegen von Spreewaldgurken in Golßen von 200 Beschäftigten der Stammbelegschaft nur 20 übrig bleiben.
Berndt zitierte ausführlich aus einem Brandbrief von Betriebsräten an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). »Wir befinden uns in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Allein im letzten Jahr wurden 100 000 Industriearbeitsplätze ersatzlos abgebaut.« Der Ausstieg aus Atomenergie und Kohle habe Deutschland abhängig gemacht von unzuverlässigem Wind- und Solarstrom und teuren Gasimporten. »Die Zeche zahlen wir mit den europaweit höchsten Strompreisen.« Diese hohen Preise seien nicht nur sozial ungerecht, »sie bedrohen inzwischen auch unsere Wirtschaft und damit unseren Wohlstand und unseren gesellschaftlichen Frieden«.
In einem dann allerdings von den Koalitionsfraktionen SPD und BSW sowie von der oppositionellen CDU abgelehnten Entschließungsantrag hatte die AfD durchaus ein paar wirtschaftspolitische Ideen genannt: Weg von der CO2-Bepreisung und weg von der Wasserstofftechnologie! Außerdem forderte die AfD, mindestens die Lausitz und die Uckermark zu Sonderwirtschaftszonen mit niedrigsten Steuern und einem Minimum an Bürokratie zu erklären sowie Preisspitzen an der Leipziger Strombörse abzufedern.
»Wenn die Unternehmen nichts machen, können sie nicht bestehen.«
Daniel Keller Wirtschaftsminister
Der SPD-Abgeordnete Marcel Penquitt warf der AfD vor: »Sie tun so, als würden die Bundesrepublik Deutschland und der Wirtschaftsstandort Brandenburg am Abgrund stehen. Sie schüren Ängste und übernehmen in keiner Weise Verantwortung. Das ist mehr als unanständig und kaum zu ertragen.« Es gebe in Brandenburg nur 46 Insolvenzen je 10 000 Firmen und das sei im Bundesvergleich einer der niedrigsten Werte. Zwar steigt die Zahl der Arbeitslosen und der Firmeninsolvenzen. Doch Penquitt sagte: »Diese Entwicklungen sind ernst, aber sie stehen nicht für ein grundsätzliches Scheitern.« Ein Strukturwandel sei keine Krise. »Nichts wird besser, wenn wir nichts tun.«
Nichts tut erst einmal der Konzern Arcelor Mittal in seinem Stahlwerk Eisenhüttenstadt. Die 1,3 Milliarden Euro an zugesagten Fördermitteln für die Umstellung auf eine klimaneutrale Stahlproduktion hat er kürzlich ausgeschlagen. Denn selbst mit diesem Geld sei es nicht wirtschaftlich, hatte Konzernmanager Geert Van Poelvoorde erklärt. Wirtschaftsminister Keller sagte nun aber, dass die Betriebsräte nur das Wie der Dekarbonisierung bemängeln, etwa wie schnell es geschehen solle, nicht aber das Ob, weil daran kein Weg vorbeiführe. »Wenn die Unternehmen nichts machen, können sie nicht bestehen«, prophezeite Keller.
Für CDU-Fraktionschef Jan Redmann betreibt die AfD »Schwarzmalerei« und die SPD »Schönfärberei«. Eine »Bullerbü-Politik« der alten Bundesregierung von Olaf Scholz (SPD) habe die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft aus den Augen verloren. Doch die neue Bundesregierung unter Kanzler Merz sei dabei, das zu ändern. Eine historisch einmalige Senkung der Energiepreise, die zehn Milliarden Euro ausmache, sei bereits verabredet. Eine Senkung der Stromsteuer werde noch kommen. Drei Jahre Rezession hintereinander, das habe es in der Bundesrepublik vorher nie gegeben. Doch nun werde es besser werden, versprach Redmann.
»Die Lage ist durchaus ernst«, urteilte der BSW-Abgeordnete Stefan Roth. Junge Beschäftigte wüssten nicht, ob sie in drei Jahren noch Arbeit haben, eine Familie gründen und ein Haus abbezahlen können. Aber das Land Brandenburg könne wenig und vielleicht gar nichts tun. »Es sind ganz wesentlich bundespolitische Rahmenbedingungen und auch internationale«, argumentierte Roth. Er sprach von sinnlosen Sanktionen gegen Russland und geopolitischen Konflikten. Den Wildwuchs bei erneuerbaren Energien lehne das BSW auch ab und allein auf Elektroautos zu setzen, sei ein Irrsinn, gab Roth der AfD punktuell recht. Doch die von der AfD angefeindete Wasserstofftechnologie sei gar nicht so verkehrt. Stefan Roth kritisierte, die AfD sei »US-linientreu« und für die Aufrüstung und »gewiss keine Alternative mehr zu den etablierten Parteien«.
Einen Antrag der AfD, die Beschäftigungsgarantie für die Belegschaft der PCK-Raffinerie zu entfristen, lehnte der Landtag ab.
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