Ausbildung in Berlin: Zankapfel Umlage

Bei Auftritt vor IHK: Arbeitssenatorin kann Ausbildungsplatzumlage nicht verteidigen

Dieser Azubi könnte bald Gold wert sein: Für jeden Auszubildenden sollen Unternehmen künftig eine Pauschale erhalten.
Dieser Azubi könnte bald Gold wert sein: Für jeden Auszubildenden sollen Unternehmen künftig eine Pauschale erhalten.

Man sieht sich immer zweimal im Leben: Vor zehn Jahren sind sich Cansel Kiziltepe und Sebastian Stietzel schon einmal begegnet. »Wir standen im Stau und sie ist mir hinten aufgefahren«, erzählt der heutige Präsident der Industrie- und Handelskammer von dem kuriosen Vorfall. Ein klassischer Auffahrunfall also.

Unfallfrei konnte die heutige Arbeitssenatorin Kiziltepe (SPD) auch ihren Auftritt beim wirtschaftspolitischen Frühstück der IHK am Mittwoch nicht beenden. Die Senatorin wirkte über weite Teile der Veranstaltung fahrig und defensiv. Zugegeben: Dass der Termin nicht einfach werden würde, stand schon vor Beginn fest. Denn die Berliner Wirtschaft läuft seit Wochen gegen eines von Kiziltepes zentralen Amtsvorhaben Sturm: die Ausbildungsplatzumlage.

»Willkommen in der Höhle der Löwen«, hieß es dann auch treffend in einem Einspieler, der zu Beginn der illustren Runde Berliner Unternehmer gezeigt wurde. »Ist das Ziel ein Zwang zur Ausbildung?«, fragte IHK-Präsident Stietzel im Anschluss. Die Umlage schaffe nur Bürokratie und keine zusätzlichen Ausbildungsplätze. »Wir waren froh, dass die Lösung in einem Bündnis entstehen sollte«, sagte Stietzel in Anspielung auf das Berliner Ausbildungsbündnis, in dem Unternehmer, Verwaltung und Gewerkschaften zusammenarbeiten sollen, um 2000 zusätzliche Ausbildungsverträge bis zum Ende des Jahres zu schaffen.

Dass unter der Ägide des Ausbildungsbündnisses die Zahl der Ausbildungsverträge weiter stagniert, ließ Stietzel lieber unerwähnt. Aber auch Kiziltepe ließ den Ball vor dem leeren Tor liegen. »Alle sind bemüht«, lobte sie stattdessen die weitgehend fruchtlosen Bemühungen der Unternehmen. Erst auf Nachfrage begann Kiziltepe, das Vorhaben zu verteidigen. »Berlin schafft es als einziges Bundesland nicht, genügend Menschen in Ausbildung zu bringen«, sagte sie. Die Ausbildungsquote in Berlin entspreche gerade mal der Hälfte des Bundesschnitts. Daher wolle man mit der Ausbildung diejenigen Betriebe stärken, die ausbilden.

Die angestrebte Umlage sieht vor, dass an ausbildende Unternehmen eine Pauschale pro Azubi gezahlt werden soll. Diese soll sich an der durchschnittlichen Ausbildungsvergütung orientieren. Finanziert werden soll das aus einem Fonds, in den alle Unternehmen einzahlen. Die Höhe der Abgabe wird auf Grundlage der im Fonds benötigten Gesamtsumme berechnet, damit alle Betriebe, die ausbilden, die Pauschalen erhalten können. Maßgeblich für die Höhe der zu zahlenden Abgabe für das jeweilige Unternehmen soll dabei die an seine Beschäftigten gezahlte Bruttolohnsumme sein. Das Gesetz sieht eine Obergrenze von 0,5 Prozent der Bruttolohnsumme vor, zudem sollen Kleinstbetriebe von der Abgabe ausgenommen werden. Das geht aus dem Gesetzentwurf vor, den »nd« in der vergangenen Woche veröffentlichte.

»Ich will keinen Cent von der Abgabe behalten«, versicherte Kiziltepe. »Die Einnahmen werden komplett an die Unternehmen zurückgegeben.« Nicht mal die Verwaltungskosten sollen demnach aus den Erträgen der Umlage getragen werden, sondern aus dem Landeshaushalt. Die Umlage, so Kiziltepe, solle belohnen, nicht bestrafen.

»Berlin schafft es als einziges Bundesland nicht, genügend Menschen in Ausbildung zu bringen.«

Cansel Kiziltepe (SPD) Arbeitssenatorin

Bei den anwesenden Unternehmern überzeugte das wenig. »Bürokratiemonster« und »Strafabgabe« waren noch die freundlichsten Umschreibungen für die geplante Umlage. Die Schulabgänger in Berlin seien nicht ausbildungsfähig, die Vermittlung durch die Arbeitsagentur zu schlecht, beschwerten sich die Firmeninhaber. Eine Ausbildungsumlage könne falsche Anreize setzen, warnte die nach einer Plagiatsaffäre gestürzte Ex-Senatorin und heutige IHK-Geschäftsführerin Manja Schreiner. In manchen Branchen könnte künftig über den Bedarf ausgebildet werden, die fertig ausgebildeten Azubis dann keine Anschlussbeschäftigung finden.

»Wenn die Umlage kommt, werde ich dafür sorgen, dass die Lohnbruttosumme sinkt, bis ich keine Abgabe mehr zahlen muss«, ereiferte sich ein Mikroelektronikunternehmer mit hochrotem Kopf. Das bedeute, dass er Arbeitsplätze in andere Bundesländer verschieben werde, drohte er an. Bei den anwesenden Mitgliedern der IHK, die sich auf ihrer Webseite selbst als »Motor der Stadt« bezeichnet, sorgte das für tobenden Applaus.

Statt zur Gegenattacke anzusetzen, wich Kiziltepe der harschen Kritik weitgehend aus. »Wir werden Ihre Hinweise berücksichtigen«, versuchte sie zu beschwichtigen und übte sich in Phraseologie: »Kein Gesetz verlässt das Parlament so, wie es reingekommen ist.« Einer inhaltlichen Diskussion verweigerte sie sich weitgehend.

- Anzeige -

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -