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Berliner Kitas: Vielfalt soll entfallen
Kitas und Arbeitskreise warnen vor Populismus im neuen Kita-Bildungsprogramm
In Kitas spiegelt sich die Vielfalt der Hauptstadt wider. Mehrsprachige Kinder spielen mit Freunden, die nur einen Elternteil oder zwei Väter haben. Ein anderes Kind in der Marienkäfergruppe ist vielleicht von Armut betroffen, hat eine Lernschwierigkeit oder musste bereits Gewalterfahrungen machen. Daher fuhr der Entwurf des aktualisierten Berliner Bildungsprogramms für Kitas herbe Kritik von Arbeitskreisen, Verbänden und Betreibern ein. Denn es fehlten dort Themen wie Inklusion, Akzeptanz, geschlechtliche Vielfalt, sexuelle Bildung und Familienarbeit entweder gänzlich oder würden nur grob von der CDU-geführten Senatsbildungsverwaltung umrissen.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband, ein Dachverband gemeinnütziger Organisationen, zu denen auch Trägervereine von Kitas gehören, kritisierte den Entwurf des Bildungsprogramms in einem Positionspapier scharf. Trotz klarer gesetzlicher Verpflichtungen zum Kinderschutz werde sexuelle Bildungsarbeit im Entwurf nicht thematisiert. »Es ist weder fachlich noch politisch vertretbar, in einer überarbeiteten Version des Bildungsprogramms auf Leitlinien zur Sexualpädagogik zu verzichten«, so der Wohlfahrtsverband. »Jeder Kita-Träger ist gesetzlich dazu verpflichtet, Verantwortung im Kinderschutz zu übernehmen. Dazu zählt auch Sexualpädagogik als zentrales Element der Prävention.«
Der Entwurf weise einen erheblichen inhaltlichen Überarbeitungsbedarf auf, heißt es weiter. Mehrsprachige Kinder, die ein Drittel aller Kita-Kinder in der Hauptstadt ausmachen, würden als »förderbedürftiger Sonderfall behandelt«, so der Paritätische. Kulturelle Vielfalt und soziale Ungleichheit würden »defizitfokussiert oder als zu bewältigende Herausforderung« beschrieben, während die Anerkennung vielfältiger geschlechtlicher Identitäten fehle.
»Diese politische Einflussnahme auf fachliche Diskurse reiht sich in besorgniserregende Entwicklungen der letzten Monate und Jahre in Berlin und bundesweit ein«, warnt der Berliner Landesarbeitskreis zur Stärkung queersensibler, genderreflektierter, intersektionaler und feministischer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (LAK QGIF) in einem eigenen Positionspapier zum Bildungsprogramm-Entwurf. »Es handelt sich um politisch und populistisch motivierte Entscheidungen, hinter denen ein Kulturkampf auf Kosten der Kinder und Jugendlichen steht.«
»Es ist weder fachlich noch politisch vertretbar, in einer überarbeiteten Version des Bildungsprogramms auf Leitlinien zur Sexualpädagogik zu verzichten.«
Paritätischer Wohlfahrtsverband Berlin
Erfahrene Fachstellen seien nicht in den Überarbeitungsprozess eingebunden worden, kritisiert der Arbeitskreis. Stattdessen sei das Feedbackverfahren »maximal intransparent und exklusiv gestaltet« worden und habe etwaige »kritische fachliche Stimmen aus der diskriminierungskritischen Pädagogik und Bildungsarbeit außen vor gelassen«, so die Vielfaltspädagogen. So falle das neue Bildungsprogramm sogar »hinter den Stand der letzten Version von 2014 zurück«.
»Für angehende Erzieher*innen in der Ausbildung bedeutet es, dass diskriminierungskritische Pädagogik in der Ausbildung nicht oder kaum mehr vorkommt und sie gegebenenfalls ohne entsprechende Kompetenzen in die pädagogische Arbeit starten«, so der LAK QGIF. Der Paritätische Wohlfahrtsverband mahnt, dass die Einführung des aktualisierten Bildungsprogramms gut organisiert, begleitet und koordiniert werden müsse, um alle Fachkräfte zu erreichen.
Falko Liecke (CDU), Staatssekretär für Jugend und Familie in der Bildungsverwaltung, sagte zu »nd«, die Verwaltung setze sich dafür ein, dass alle Kinder, unabhängig ihrer geschlechtlichen Identität, sexuellen Orientierung oder Herkunft, eine wertschätzende und unterstützende pädagogische Umgebung vorfinden. »Derzeit werden die Stellungnahmen der Verbände gesichtet und ausgewertet, dieser Prozess ist bis zum September 2025 angelegt.« Im Anschluss an die Anhörungen der Verbände würden Anpassungen des Bildungsprogramms erfolgen. Das finale Programm soll bis Juni 2026 »im Rahmen eines Kitakongresses« präsentiert werden, so Liecke.
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