Einkaufszentren in Berlin: Höchstmiete oder Leben

Berliner Grüne wollen stärkere Präsenz der öffentlichen Hand in Einkaufszentren

Im Center »Wilma Shoppen«: Sebastian Brux, Julian Schwarze, Kirstin Bauch, Bettina Jarasch (alle Grüne), Center-Managerin Catja Schneider und Nils Busch-Petersen vom Handelsverband
Im Center »Wilma Shoppen«: Sebastian Brux, Julian Schwarze, Kirstin Bauch, Bettina Jarasch (alle Grüne), Center-Managerin Catja Schneider und Nils Busch-Petersen vom Handelsverband

»Ich glaube nicht, dass alle 70 in zehn Jahren noch dastehen werden«, sagt Nils Busch-Petersen. Er meint die fast 70 Einkaufszentren, die es in Berlin gibt. Angesichts der Umbrüche im Konsumverhalten der Menschen und deren negativer Auswirkungen vor allem für den stationären Handel sagt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg: »Die Center, die die Rolle des Nahversorgers erfüllen, und die in Innenstadtlagen werden bleiben.«

Um dem allgemeinen Trend der ausdünnenden Einkaufszentren zu begegnen, hat die Grünen-Fraktion ein Positionspapier erarbeitet, das die Krise als Chance begreifen will – sowohl für die Wirtschaft als auch für die Kundschaft und die Nachbarschaften. Um diese Chance zu nutzen, setzen die Grünen auf eine stärkere Beteiligung der öffentlichen Hand: des Landes und der Bezirke. Angebote wie etwa Bibliotheken würden das Besucheraufkommen in den Centern erhöhen. Die Besucher*innen würden dann nicht nur Bücher und andere Medien entleihen, sondern gleich auch noch Einkäufe erledigen, so die Idee.

Der schwarz-rote Senat hat das Thema Einkaufszentren ebenfalls auf dem Zettel und in den letzten zwei Jahren jeweils einen Zentren-Gipfel organisiert. In vielen Punkten stimmen die Ansätze des Senats mit denen der Grünen überein. Doch die Rolle des Landes Berlin als Mieter von Flächen, die es selbst bespielt oder von Dritten bespielen lässt, wird im Papier der Grünen noch mal herausgehoben.

»Die öffentliche Hand bietet sehr großes Potenzial«, zeigt sich der Unternehmensvertreter Busch-Petersen zufrieden. Das Positionspapier, für das der Handelsverband den Grünen Kontakt zu acht Center-Manager*innen vermittelt hatte, weise eine hohe Überschneidung mit den eigenen Positionen auf, sagt er. »Es ist sehr praxisorientiert.« Allerdings, so Busch-Petersen, enthalte das Papier Ideen zu Maßnahmen, die in vielen Centern bereits umgesetzt würden. Und das nicht erst seit gestern.

Das Linden-Center in Hohenschönhausen etwa, erklärt Busch-Petersen, sei Mitte der 90er Jahre, als in Berlin noch Bedarf nach mehr Einkaufsflächen bestand, schon mit einer Bibliothek und einem Postamt geplant worden. Auch eine Arztpraxis und ein Blutspendezentrum befinden sich am Standort. Dennoch kämpft das Linden-Center mit ständigem Leerzug von Ladenflächen. 2020 schloss die Galeria-Kaufhof-Filiale, die bis dahin Verkaufsflächen über drei Etagen bewirtschaftet hatte.

Seit Längerem plant der Bezirk eine Aufwertung der Gegend. Zwischen Linden-Center und S-Bahnhof Hohenschönhausen soll das »Urbane Zentrum Neu-Hohenschönhausen« entstehen. Vorgesehen ist ein vielfältiges Angebot an Dienstleistungen, Gastronomie und Einzelhandel. Baustart soll allerdings frühestens 2027 sein. Ob sich das Linden-Center solange über Wasser halten kann, bleibt abzuwarten.

»Wenn die Menschen nicht mehr zu uns ins Rathaus müssen, um ihren Personalausweis abzuholen, sondern das in ihrem Kiez mit etwas Nützlichem verbinden, haben wir es geschafft.«

Kirstin Bauch (Grüne) 
Bezirksbürgermeisterin Charlottenburg-Wilmersdorf

Um ihre Positionen zu untermauern, haben die Grünen positive Beispiele ausgesucht: Das Forum Kienberg in Marzahn sei vor fünf Jahren mit großem Leerstand von einem neuen Betreiber übernommen worden. »Im Zuge eines aktiven Mietermanagements und mit einem klaren Fokus auf gesundheitliche und öffentliche Angebote« sei der Standort revitalisiert worden, heißt es in dem Papier der Grünen. Es gebe dort Facharztpraxen, eine Stadtteilbibliothek, gesundheitliche Beratungsstellen, künftig auch eine Zweigstelle des Gesundheitsamtes – und mittlerweile wieder eine Vermietungsquote von 90 Prozent. »Im Osten der Stadt fehlt es oft an guter Gesundheitsversorgung. Die Leute am Kienberg wissen jetzt, dass sie einen Gesundheitsstandort haben, zu dem sie gehen können«, sagt Fraktionsvorsitzende Bettina Jarasch bei der Vorstellung des Papiers.

Auch der Ort, an dem der Pressetermin am Mittwoch stattfindet, die Markthalle im Einkaufszentrum »Wilma Shoppen«, wurde mit Bedacht gewählt. Unterm Dach des Einkaufszentrums in der Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg befindet sich eine Außenstelle des Bezirksamts. »Wenn die Menschen nicht mehr zu uns ins Rathaus müssen, um ihren Personalausweis abzuholen, sondern das in ihrem Kiez mit etwas Nützlichem verbinden, haben wir es geschafft«, sagt Kirstin Bauch (Grüne), Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf.

Das Konzept der Mischnutzung funktioniere nur dort, wo es ein aktives Center-Management gibt, so Grünen-Fraktionschefin Jarasch, »nicht mit einem Fonds, der von fernab auf die höchste Rendite zielt«. Warum es sinnvoll ist und wie es klappen kann, auf die Höchstmiete zu verzichten und das Bürgeramt reinzunehmen, verstehe man nur, wenn man eine Ahnung von der jeweiligen Lage vor Ort habe, sagt Jarasch.

Gratis würden die Flächen leider nicht vermietet, erklärt die Center-Managerin von »Wilma Shoppen« Catja Schneider. Klar sei aber auch, dass die Eigentümer wüssten, dass Leerstand nicht gut sei, und dass sich der Handel stetig zurückziehe. »Insofern hören wir uns immer alles an«, sagt Schneider.

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