Raffinerie braucht Russland

Kundgebung auf dem Schwedter Platz der Befreiung fordert Aufhebung des Ölembargos

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Bewohner der Stadt Schwedt und die Beschäftigten von PCK kämpfen um ihre Raffinerie.
Die Bewohner der Stadt Schwedt und die Beschäftigten von PCK kämpfen um ihre Raffinerie.

Der Platz der Befreiung in Schwedt füllt sich am Mittwoch gegen 17 Uhr zusehends. Viele Einwohner der Stadt und umliegender Ortschaften sind gekommen. Ziemlich zuletzt mischen sich noch junge Leute mit großen Bannern unter die Menge. Es sind Lehrlinge der bedrohten PCK-Raffinerie, für deren Rettung hier heute demonstriert wird. 60 eigene Lehrlinge bildet der Betrieb im Moment aus und 40 weitere für Kooperationspartner. »Die betrifft es besonders«, erklärt einer ihrer Ausbilder. Die Stimmung in der Raffinerie sei angespannt, der Betrieb in einer schwierigen Lage. »Gerade für die jungen Leute ist es nicht einfach. Darum hoffen wir, dass wir schnell Gewissheit bekommen.«

Als sich vor drei Jahren angesichts des Krieges in der Ukraine ein Importverbot für russisches Erdöl abzeichnete, das Anfang 2023 in Kraft trat, schaute der damalige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorbei. Habeck stieg auf einen Tisch und sicherte den »vollumfänglichen« Weiterbetrieb der Raffinerie zu. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kann sich an den exakten Wortlaut noch erinnern und zitiert den Satz am Mittwoch auf dem Platz der Befreiung.

Doch auf Habeck ist die Bevölkerung der Stadt nicht mehr gut zu sprechen. Fällt sein Name, wird gebuht. Dies geschieht auch, als es Ministerpräsident Woidke wagt, Habeck für dessen Einsat für die Raffinerie zu danken, auch wenn nicht alles so gelaufen ist, wie es notwendig gewesen wäre.

Die PCK-Raffinerie ist nur noch zu 80 Prozent ausgelastet. »80 Prozent ist nicht das, was wir aus der Vergangenheit gewöhnt waren. Wir sind eine Beinahe-Volllast-Raffinerie«, erläutert Geschäftsführer Ralf Schairer. Nicht nur die Grünen träumten bisher, die Raffinerie für die Wasserstofftechnologie umzurüsten. »Hier treffen klimapolitische Ambitionen auf wirtschaftliche Realität«, sagt Schairer. Er stammt nicht aus der Region, ist erst seit drei Jahren dort. Ihn berührt die große Anteilnahme der Bevölkerung für das Schicksal der Raffinerie.

»Die jetzt erreichten 80 Prozent reichen auf Dauer nicht aus«, weiß Ministerpräsident Woidke. »Wir brauchen dringend mehr Öl.« Die neue Bundesregierung solle mehr diplomatische Initiative für einen gerechten Frieden in der Ukraine zeigen – und wenn dieser Frieden da sei, sollten schnell wieder gute Beziehungen und Wirtschaftsbeziehungen zu Russland aufgebaut werden.

Seit kein sibirisches Öl mehr aus der alten Druschba-Pipeline fließt, werden in Schwedt bis zu 30 verschiedene Sorten Rohöl oft minderer Qualität zu Benzin, Diesel und Kerosin verarbeitet. Das sorgt für einen erhöhten Schadstoffausstoß, für den das Landesumweltamt gerade wieder eine Ausnahmegenehmigung erteilt hat. Sonst müssten Entschwefelungsanlagen eingebaut werden, was eine Millionensumme verschlingen würde. Davon abgesehen ist es umständlich und teuer, die Kraftstoffproduktion immer wieder auf andere Ölsorten zu justieren.

»Es kommt Rohöl in Schwedt an, aber längst nicht in den Mengen und vor allem nicht in der Qualität, die man für eine wirtschaftliche Produktion benötigt«, beklagt der Landtagsabgeordnete Reinhard Simon (BSW). Die immer wieder befristeten Beschäftigungsgarantien für die Mitarbeiter bieten seiner Ansicht nach keine Sicherheit. Simon betrachtet sie als »Sterbehilfe auf Zeit«. Die PCK Raffinerie GmbH fahre notgedrungen einen Sparkurs. »Einstellungsstopp und fehlende Investitionen sind die Folge.« Auch wenn es noch keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben habe, so würden altersbedingt ausgeschiedene Kollegen nicht ersetzt, und es verlören schon viele Menschen ihren Arbeitsplatz in Firmen, die von der Raffinerie abhängig sind. »Wenn nichts passiert, wird dieser Betrieb untergehen und die anderen Raffinerien in Deutschland werden sich die Hände reiben«, sagt Simon.

Ohne Reinhard Simon wäre diese Kundgebung nicht zustande gekommen. Er hatte die Idee und schmiedete dafür ein überparteiliches Bündnis, das sich zur Vorbereitung sechsmal in einem Hotel der Stadt getroffen hat, wie der BSW-Abgeordnete berichtet. Der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) habe auch Interesse gezeigt, sei aber beim ersten Treffen verhindert gewesen, und ein Vertreter sei nicht aufgetaucht.

Görke kämpfte unermüdlich dafür, dass die Raffinerie mit Öl aus Kasachstan beliefert wird. Sie sollte seiner Ansicht nach nur noch von dort Öl beziehen, weil das kasachische Öl in seiner Zusammensetzung von dem seit 1964 gewohnten russischen Öl praktisch nicht zu unterscheiden ist. Das bedeutet, es ist von genauso hoher Qualität und verursacht in der Verarbeitung keine Schwierigkeiten.

»Das sinnlose freiwillige Ölembargo hat bisher nur geschadet, und zwar uns selbst«, kritisiert in Schwedt der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Koeppen. Er löst mit seiner Rede Beifallsstürme aus, sagt unter anderem: »Ohne eine verbindliche Lösung hätte es dieses Embargo niemals geben dürfen.« Die verheißene Entwicklung zu einem Standort für die Wasserstofftechnologie müsste man in Jahrzehnten denken, nicht in Monaten, sagt Koeppen. Er fordert von der neuen Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU), das Embargo zu beenden: »Machen Sie den Schieber wieder auf!«

Ministerpräsident Woidke will die neue Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) nach Schwedt einladen. Landrätin Karina Doerk (CDU) glaubt, auf einen Handschlag von ihr könne man sich mehr verlassen als auf einen ihres Vorgängers Robert Habeck. Denn bei Reiche stecke »keine grüne Ideologie dahinter, sondern Wirtschaftskompetenz«.

Eine unangemeldete Gegendemonstration, von der ein Aufruf kursierte, lässt sich nicht blicken. Laut Reinhard Simon war der Aufruf auf Krawall gebürstet und in eine politische Richtung nicht einzusortieren. Die Polizei versicherte Simon unmittelbar vor der Kundgebung, sie würde etwaige Störungen unterbinden. »Dafür brauchen wir die Polizei nicht, dass schaffen wir allein«, droht ein Demonstrant später an. Die Stimmung ist nicht nur in der Raffinerie angespannt. Ihre Lage betrifft die ganze Stadt, die ohne diesen Betrieb nicht leben kann.

»Wenn nichts geschieht, wird dieser Betrieb untergehen.«

Reinhard Simon 
BSW-Landtagsabgeordneter

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