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Syrien: Kampfansage an die Minderheiten
Mirco Keilberth über die Eskalation der Lage im Süden Syriens
Der Startschuss zu einem größeren Konflikt wurde abgefeuert. Statt auf Diplomatie zwischen Stammesältesten setzte Syriens Übergangspräsident Al-Scharaa auf die Milizen seiner HTS-Bewegung. Als die Umstände der Entführung eines Lastwagenfahrers noch unklar waren, kam es bereits südwestlich von Damaskus zu Schusswechseln zwischen drusischen und beduinischen Syrern. Da die Drusen unter dem Schutz Israels stehen, das deren Siedlungsgebiet zur demilitarisierten Zone erklärt hat, war klar, dass ein Eingreifen Damaskus’ die Lage eskalieren würde.
Auf Panzern rollten die sunnitischen HTS-Kämpfer in die drusische Stadt Al-Suweida, offiziell als Streitschlichter, doch sie schnitten drusischen Männern die Bärte ab. Schnell wurde aus dem Einsatz eine Kampagne gegen »Ungläubige«, ähnlich wie zuvor gegen die Alawiten. Das Video über die Verunglimpfung eines 80-jährigen drusischen Geistlichen ging wie ein Lauffeuer durch soziale Medien.
Der von israelischen Luftangriffen beendete Vormarsch der sunnitischen Kämpfer mit Al-Qaida-Ideologie ist eine Gefahr für den Vielvölkerstaat Syrien. In sozialen Medien wird zeitgleich mit dem Angriff auf Al-Suweida gegen Drusen, Kurden, Alawiten und Christen gehetzt. Kritiker Al-Scharaas glauben, dieser Populismus gegen Minderheiten diene der Mobilisierung von Anhängern. Denn die Mehrheit der Syrer ist wegen der bisher ausgebliebenen Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Regimes und der Wirtschaftslage enttäuscht. Drusen wird nun die Kooperation mit Israel vorgeworfen, während Präsident Al-Scharaa die israelische Besetzung syrischen Staatsgebietes bisher kommentarlos hinnimmt. Und Europa schweigt dazu, dass der Süden Syriens gerade der neue Konfliktherd der Region wird.
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