- Politik
- Halbes Jahr Trump: Handelskrieg
Trumps Lektionen
Was uns die Handelspolitik des US-Präsidenten über den Weltmarkt lehrt
US-Präsident Donald Trump liebt Zölle. Er führt sie ein und setzt sie wieder aus, er kündigt neue an und zieht sie dann zurück. Damit hat Trump in seinem ersten Halbjahr etwas Neues geschaffen: eine fundamentale Unsicherheit. Unsicher ist nicht länger nur das Auf und Ab der kapitalistischen Weltkonjunktur und des Handels. Unsicher ist inzwischen der gesamte Rechtsrahmen, der das globale Geschäft regelt – was dort erlaubt ist und was verboten. Damit, so heißt es, säe Trump Chaos, seine Gegner halten ihn für verwirrt. Dabei erteilt er der Welt ein paar eindeutige Lektionen über den Weltmarkt: Auf ihm ist Angriff Verteidigung, Abhängigkeit ist Macht, Krieg ist Frieden, Macht ist Recht und Sicherheit schafft Unsicherheit.
Sicherheit schafft Unsicherheit
Die US-Regierung hat sich vorgenommen, die USA wieder zur unbestrittenen Weltmacht Nummer Eins zu machen: »America first« bezeichnet die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, den Rest der Welt dem eigenen Interesse dienstbar zu machen. Daran hängt laut der US-Regierung die Sicherheit der Vereinigten Staaten. »Andere Länder haben den amerikanischen Industriestandort ausgehöhlt, die Sicherheit unserer kritischen Lieferketten untergraben und dadurch unsere nationale Sicherheit gefährdet«, so Finanzminister Scott Bessent. Um diese nationale Sicherheit wieder herzustellen, bricht die Trump-Regierung ihren Zollkrieg vom Zaun. Andere Länder, vor allem China und die EU-Staaten, leisten dem Ansinnen der USA nicht Folge, weil sie ihrerseits ihre nationale Sicherheit bedroht sehen. Das Ergebnis ist die viel beklagte »fundamentale Unsicherheit«, die daraus entsteht, dass die Weltmächte nicht bloß »Sicherheit« anstreben, sondern Sicherheit voreinander.
Abhängigkeit ist Macht
Aus dem Streben nach nationaler Sicherheit folgen die beklagten »geopolitischen Spannungen«, mit denen sich die Weltmächte konfrontiert sehen, weil sie sie selbst ins Werk setzen. Vor diesem Hintergrund werden etablierte Geschäftsbeziehungen mit anderen Ländern – die »Globalisierung« – neu bewertet: Die Tatsache, dass die USA Waren, Dienstleistungen und Kapital aus anderen Ländern beziehen, gilt Trump als gefährliche Abhängigkeit, die die Macht der USA einschränkt. Um den Rest der Welt auf Linie zu bringen, setzt die US-Regierung vor allem auf ein Mittel: den Zugang zum riesigen US-Markt, den die anderen Länder brauchen. Über die Androhung oder Einführung immer neuer Einfuhrzölle beschränkt er diesen Zugang, um Zugeständnisse zu erzwingen. Das bedeutet zwar auch Schäden für die US-Wirtschaft. Gleichzeitig sind diese Schäden aber eine Investition, die dem Rest der Welt seine Abhängigkeit von den USA vor Augen führen soll. China und die EU antworten in gleicher Weise mit Gegenmaßnahmen und versuchen ihrerseits, Produktion »nach Hause« zu bringen, um ihre industrielle Basis zu stärken und andere Länder von sich abhängig zu machen. Ziel der voneinander abhängigen Kontrahenten ist es, den Rest der Welt ökonomisch zu benutzen, ihn aber nicht zu benötigen, was einen Widerspruch beinhaltet, der sich auf ziviler Ebene nicht auflösen lässt: Ein ökonomisches Abwehrsystem »Golden Dome« gibt es nicht.
Verteidigung ist Angriff
»Jahrzehntelang wurde unser Land geplündert, gebrandschatzt, vergewaltigt und ausgeraubt, von nahen und fernen Nationen«, sagt Trump. »Geplündert« sehen sich die USA vor allem durch eine Entwicklung: dem ökonomischen Aufstieg Chinas. Sein Erfolg gilt der US-Regierung als Angriff, gegen den man sich mit Handelsschranken zur Wehr setzen muss. Die Zollpolitik Trumps wird von Ökonomen meist als »Protektionismus« bezeichnet, die USA »kehren sich nach innen«, klagt der Internationale Währungsfonds. Doch ist diese Verteidigung zugleich ein Angriff und das defensive Regime ein sehr offensives, das auf die Wiederherstellung der globalen Dominanz der Vereinigten Staaten zielt. In ähnlicher Weise agieren die EU und China, die ihre globalen »Führungsrollen« bedroht sehen, also ihre Macht über andere Staaten. Wie bei anderen zwischenstaatlichen Konflikten, so lässt sich auch hier nicht zwischen Angriff und Verteidigung unterscheiden, beide Begriffe dienen lediglich der gegenseitigen Schuldzuweisung.
Krieg ist Frieden
»Ich lehne Trumps Strategie nicht ab, denn er hat gar keine«, sagt der US-Ökonom Paul Krugman. Der Eindruck, der US-Präsident verfolge mit den Zöllen gar kein bestimmtes Ziel, erwächst zum einen aus der Vielzahl an Zielen, die er nennt: die US-Handelsbilanzdefizite ausgleichen, andere Länder zu schärferen Grenzkontrollen oder zur Rücknahme abgeschobener Migrant*innen zwingen, die US-Industrie stärken, die Abkopplung der Welt vom US-Dollar verhindern, den Fentanyl-Schmuggel in die USA unterbinden, Handel mit Russland stoppen oder die Unterstützung rechter Politiker in aller Welt. Zum anderen verwirrt Trump die Welt mit seiner schwankungsanfälligen Politik, die mal Zölle, einführt, dann androht, dann zurücknimmt und abermals androht. Trumps Botschaft: Ziel des Zollkrieges ist es, den USA dauerhaft umfassenden Respekt zu verschaffen. Ökonomische Strafaktionen sind daher jederzeit möglich, die Anlässe zahlreich, niemand kann sich sicher fühlen, solange die USA sich nicht sicher fühlen. Der »Handelskrieg« ist gar kein Krieg, sondern ein Regime: der neue Frieden.
Macht ist Recht
Dass die US-Regierung in ihrer Weltmachtpolitik sich nicht an geltende Gesetze – weder im Inland noch international – hält, wird als »Rückkehr der Machtpolitik« beklagt, die die Herrschaft des Rechts ersetze. Trump sieht dies jedoch umgekehrt: Die geltenden Regeln »sind nicht fair«, sagt er, »wir sind betrogen worden.« Beleg für die Unfairness der Welthandelsordnung ist für ihn der relative Misserfolg der USA. Oder anders: Die geltenden Regeln verletzen das Recht der USA auf Erfolg, das durch Trumps Macht wieder hergestellt werden soll: »Wer sein Land rettet, bricht keine Gesetze.« Das zeigt: Das Recht braucht für seine Durchsetzung nicht nur die Macht, sondern es ist die Macht selbst, die bestimmt, was überhaupt als Recht gilt. Der ökonomische Erfolg der USA ist damit als Geschäftsbedingung für den Rest der Welt gesetzt – ein imperialistischer Traum von Freiheit, den andere Staatenlenker teilen: »Wer frei sein will, muss gefürchtet sein, und um gefürchtet zu sein, muss man machtvoll sein«, so begründete Frankreichs Präsident Emmanuel Macron jüngst die verstärkte Aufrüstung des Landes. Und das ist eine weitere Lektion des Handelskonflikts, der die Globalisierung ablöst: »Freihandel« sichert nicht den Frieden, sondern er schafft die Basis für kommende Kriege.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.