- Kultur
- Comics
Taiwan: Kultur auf Angriff
Wie verändert sich Taiwan, sollte China tatsächlich angreifen? In der Comic-Szene ist Krieg ein Thema, das immer beliebter wird
Irgendwann musste es passieren. Xi Jinping hat das getan, was er über Jahre angedroht hat – und Chinas Volksbefreiungsarmee in die Offensive geschickt. Taiwan wird angegriffen. Damit bricht etwas aus, das fortan als der »Westpazifische Krieg« bezeichnet wird. Dieses weltpolitische Ereignis, datiert irgendwo zwischen 2025 und 2035, wirbelt die globale Ordnung durcheinander. Und haut viele Leserinnen und Leser in Taiwan um.
»Der Westpazifische Krieg« ist zwar in Wahrheit nicht ausgebrochen, aber es ist der Titel eines in Taiwan auffallend beliebten Manhua-Werkes. Besonders an diesem Comic oder Manga ist, dass die Hauptcharaktere auffallend deutlich an die Realität erinnern. Der US-Präsident in der Story ist ein Showman, der aussieht wie Donald Trump; Chinas Präsident ein Taktierer, der Xi Jinping gleicht.
»Donald Trump ist die Vorlage für den US-Präsidenten in meiner Geschichte, dort heißt er aber Tump. Und Xi Jinping habe ich für die Story andere chinesische Schriftzeichen gegeben, die sich aber auf die gleiche Weise lesen lassen«, erklärt Liang Shao-Hsien, der Autor des Werkes, die Ähnlichkeiten. »Und ich habe beide Politiker realistisch gezeichnet und konzipiert. Trump ist ein sehr charismatischer Typ. Aber auch einer, der lieber verhandelt, als zu schießen. Ich glaube, meine Geschichte ist insgesamt realistisch.«
Dies dürfte jedenfalls der Grund sein, warum dieses Manhua so populär ist: Es beschreibt die reale Politik. Das von Peking aus regierte Festlandchina betrachtet die demokratisch regierte Insel Taiwan als Teil seines eigenen Territoriums und droht seit Jahren mit einer Invasion. Die USA, die China als größten Rivalen betrachten, warnen Peking vor so einem Schritt. Und die taiwanische Regierung sucht internationale Bündnisse, um sich zu schützen.
»Der Westpazifische Krieg«, der seit 2017 in vier Folgen auf den Markt gekommen ist, denen noch vier weitere folgen sollen, ist bis jetzt rund 8000 Mal verkauft worden. Beim publizierenden Verlag Bardon Chinese ist man trotzdem hochzufrieden »Die Verkäufe geben jetzt einen neuen Standard für dieses Genre vor«, findet die Verlagsmitarbeiterin Hsieh Meng-Ying. »Als die erste Folge auf den Markt gekommen war, musste schon nach ungefähr einer Woche neu gedruckt werden, weil alle Exemplare verkauft waren. Das ging überraschend schnell!«
Thematisch floriert das Kriegsszenario, das schließlich alle im Land beschäftigt.
Generell ist der Markt für illustrierte Geschichten aus Taiwan – genannt Manhua – noch klein. Die Menschen konsumieren eher westliche Comics oder japanische Manga. Aber das ändert sich gerade. Die taiwanische Regierung fördert sowohl im Inland als auch international lokale Verlage. Die japanische Zeitung »Japan Times« schrieb im März von einer Boombranche: »Das illustrierte Medium erlebt dank eines florierenden Ökosystems aus unabhängigen Künstlern, Verlagen, Vertriebsplattformen und staatlichen Förderern eine neue Blütezeit.«
Zu den wichtigsten Förderern der Branche zählt die 2019 vom Kulturministerium gegründete Taiwan Creative Content Agency. Diese unterstützt die einheimische Kulturproduktion unter anderem in den Bereichen Bild und Ton und betreibt eine Reihe speziell auf Manhua zugeschnittene Initiativen. Thematisch wiederum floriert das Kriegsszenario, das schließlich alle im Land beschäftigt. Denn Taiwan sieht sich durch Festlandchina in seiner Existenz bedroht.
Wenn man so will, ist die staatliche Förderung einer internationalen Verbreitung taiwanischer Kulturgüter Teil des Konflikts, der in »Der Westpazifische Krieg« beschrieben wird. Denn Taiwan – offiziell: Republik China – sucht auch auf diese Weise nach internationaler Aufmerksamkeit, um sich eben vor einem Angriff durch die von Peking aus regierte Volksrepublik China zu schützen. Der Hintergedanke: Je größer die Sichtbarkeit und daher die Soft Power, desto geringer die Gefahr einer Invasion.
Der Konflikt reicht in den Chinesischen Bürgerkrieg zurück, der 1949 mit dem Sieg der Kommunisten und der Flucht der unterlegenen Nationalisten auf die Insel Taiwan endete. Auf dem Festland etablierte sich die Volksrepublik, ein Einparteienstaat, den die Kommunistische Partei anführt. Die Nationalisten führten ihre zuvor auf dem Festland begründete Republik China auf Taiwan weiter. Beide erhoben weiterhin den Anspruch, ganz China zu repräsentieren. Wobei dies heute vor allem noch das Festland behauptet.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
In Taiwan wiederum – das zunächst über Jahrzehnte eine Militärdiktatur war, ab den späten 80er Jahren aber zu einer Demokratie wurde – würde man sich lieber mit sich selbst beschäftigen. Umfragen zeigen, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung heute nicht als »chinesisch«, sondern als »taiwanisch« versteht. Längst hat Taiwan auch seine eigene Kulturszene, wo etwa in den Manhua alle möglichen Themen verhandelt werden: von queeren Genderfragen bis eben zum Szenario der Invasion durch Festlandchina.
»Diese Art Kampfliteratur zeigt sich im Moment nicht nur im Manhua, sondern auch bei Fernsehserien«, sagt Claus Soong, gebürtiger Taiwaner und Experte für Sicherheitspolitik am Thinktank Mercator Institute for China Studies. »Unter den jungen Menschen sehen viele China als Bedrohung. Es ist ja auch eine Bedrohung. Viele sehen aber auch die Chancen, die möglichst gute Beziehungen mit China bieten könnten.« Je nachdem, wie man eingestellt ist, interessiere man sich oft mehr oder weniger für diese Kriegsliteratur.
Autor Liang Shao-Hsien, der selbst 20 Jahre in Taiwans Militär diente, reklamiert jedenfalls, dass er sich mit Geopolitik und Sicherheitsfragen auskenne. So sei seit der Veröffentlichung des ersten Buches im Jahr 2017 vieles von dem, was er in seinem Manhua vorausgesagt habe, auch wirklich eingetreten: »Auf Seite 207 im Prequel habe ich vorhergesagt, dass Trump ein zweites Mal zum Präsidenten gewählt wird. Ich habe auch vorausgesagt, dass es einen Attentatsversuch gegen ihn geben wird.«
Was bisher nicht eingetreten ist, wäre der Putsch in Chinas Kommunistischer Partei. Aber der könne ja noch kommen, meint der Zeichner. Wobei er zugibt, dass nicht alles in seiner Story realistisch ist: »90 Prozent der Waffen, die ich in der Geschichte beschreibe, gibt es auch in Wahrheit. Aber ein paar hab ich mir ausgedacht: eine Roboterarmee zum Beispiel oder genetisch modifizierte Menschen. Aber so etwas macht die Story etwas spannender!«
Wie der Krieg ausgeht, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Im Hause Bardon Chinese hofft man nämlich darauf, dass »Der Westpazifische Krieg« bald in weitere Sprachen übersetzt wird.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.