Revolutionen sind keine Einbahnstraße

Daniela Fuchs und Jürgen Hofmann über eine ehrgeizige Edition zur deutschen Revolution von 1848/49

Nachbau einer Barrikade in der Jägerstraße, Ecke Friedrichstraße in Berlin zum 175. Jahrestag der 1848er Revolution
Nachbau einer Barrikade in der Jägerstraße, Ecke Friedrichstraße in Berlin zum 175. Jahrestag der 1848er Revolution
Interview

Vor über drei Jahrzehnten wurde von ostdeutschen Wissenschaftlern unter der Ägide des renommierten Berliner Revolutionsforschers Walter Schmidt eine ambitionierte Edition gestartet: »Akteure eines Umbruchs. Männer und Frauen der Revolution von 1848/49«. Anlässlich des Erscheinens des siebenten Bandes sprach »nd« mit der Autorin Dr. Daniela Fuchs (1954) sowie dem Mitherausgeber Prof. Jürgen Hofmann (1943). Fuchs studierte in Wrocław Geschichte, Hofmann an der Karl-Marx-Universität Leipzig; beide sind Mitglied des Sprecherrates der Historischen Kommission beim Parteivorstand der Linkspartei.

Mit der Niederlage der Verteidiger der Festung Rastatt in Baden am 23. Juli 1849 gegen die Truppen des Deutschen Bundes unter preußischer Militärführung war die deutsche Revolution von 1948 endgültig niedergeschlagen. »Sie sind in den Gräben von Rastatt gestorben wie die Helden. Kein einziger hat gebettelt, kein einziger hat gezittert«, schrieb Friedrich über die Verteidiger dieser letzten Festung der Revolutionäre, zu denen er selbst gehörte. Wie auch Wilhelm Liebknecht, Vater des 1919 von der Soldateska der deutschen Konterrevolution ermordeten Karl Liebknecht. Sind diese beiden berühmten Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts auch in Ihrer mehrbändigen Edition über »Akteure eines Umbruchs« enthalten? Und Karl Marx auch, der zwar nicht mit der Flinte, wohl aber mit der Feder in der Hand, als Redacteur en Chef der »Neuen Rheinischen Zeitung« für die Revolution stritt?

Jürgen Hofmann: Wilhelm Liebknecht wurde in den vorliegenden Bänden noch nicht erfasst. Zu ihm ist allerdings bereits 2013 von Wolfgang Schröder umfangreiches biografisches Material vorgelegt worden, das auch seine Rolle als Akteur der Revolution 1848/49 beschreibt. Karl Marx und Friedrich Engels ist im Vorläuferprojekt »Männer der Revolution von 1848« im Band 1 von 1970 ein Aufsatz gewidmet. Zu beiden liegen jeweils Biografien und zahlreiche weitere Arbeiten vor, in denen ihr Platz in der Revolution behandelt wird.

Verdienst der inzwischen auf sieben Bände angewachsenen Edition besteht vor allem darin, unbekannte Akteure und Akteurinnen vorzustellen.

J.H.: Das ist richtig. Die Reihe »Akteure eines Umbruchs« macht es sich zur Aufgabe, bisher nicht oder kaum bekannte Personen zu erforschen und ihren Platz in der Revolution darzustellen. Deshalb sind in dem neuen Band überwiegend Männer und Frauen beschrieben, die in der damaligen und bisherigen Gesamtdarstellung keine oder nur flüchtige Erwähnung finden. Dabei gibt es immer wieder Überraschungen. So stellte sich während der Arbeit zu Julius Brill im Band 6 heraus, das der Schriftsetzer und »Stimme der Arbeiter« eigentlich ein Pionier der frühen Fotografie war. Aber auch beim hinlänglich bekannten Erzherzog von Österreich bietet der im Band 7 vorliegende Aufsatz neues Material und ein differenzierteres Bild als es in Gesamtdarstellungen möglich ist.

Es finden sich in der Edition auch Akteure beispielsweise aus Polen. Wie international war die deutsche 48er Revolution?

Daniela Fuchs: Sie war international. Die Kämpfe um die Festung Rastatt sind beispielsweise eng mit dem Namen Ludwik Mierosławskis (1814–1878) verbunden, der von Friedrich Engels sehr geschätzt wurde. Mierosławski war ein polnischer Revolutionär, Führer der polnischen Aufstände von 1846, 1848, 1863 und von Revolutionsarmeen im »Völkerfrühling« auf Sizilien und in Baden. Mierosławski setzte auf die europäische Revolution, um Polen von der dreifachen Fremdherrschaft zu befreien. Seit 1795 war Polen zwischen Russland, Österreich und Preußen aufgeteilt und hatte als Staat aufgehört zu existieren. Mierosławskis Motto war: »Wo die Revolution ist, da ist des Polen Vaterland«. Obwohl sein Weg von militärischen Niederlagen geprägt war, gelang es den Monarchien, die Polen unter sich aufgeteilt hatten, nicht, das polnische Volk gänzlich zu unterwerfen. General Mierosławski hatte einen Anteil daran. Seine Biografie konnte ich in Band 2, der 2007 erschienen ist, veröffentlichen. 

Die DDR-Historieografie hat die 1848er Revolution als Teil der seinerzeitigen europäischen Revolutionen gesehen. Es begann ja eigentlich in Paris?

J. H.: Der entscheidende Impuls für das Aufbegehren in den Ländern des Deutschen Bundes kam sicherlich aus Paris. Die dortige Februarrevolution mobilisierte. Zuvor hatte sich aber bereits 1847 in der Schweiz mit dem Sonderbundskrieg und im Januar 1848 in Palermo die europäische Revolution angekündigt. Christopher Clark hat in seinem jüngsten Buch »Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt«, das vor zwei Jahren erschien, deren europäische Dimension eindrucksvoll beschrieben. Er lenkt darüber hinaus den Blick auf die »globalen Dimensionen« dieser »transkontinentalen Lawine«. Eine Verengung auf regionale und nationale Ereignisse wird der Revolution von 1848/49 nicht gerecht.

Erinnert wird in Ihrer Edition nicht nur an Barrikadenkämpfer, sondern auch an die ersten gesamtdeutschen Parlamentarier, die Abgeordneten der Deutschen Nationalversammlung. Zu beiden Kategorien gehörte Robert Blum, der am Wiener Oktoberaufstand 1848 teilnahm und nach dessen Niederschlagung durch die k.u.k.-Truppen am 9. November des Jahres hingerichtet wurde.

J. H.: Auf die Deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche aber auch auf die preußische Versammlung in Berlin waren Hoffnungen und Erwartungen breiter Schichten ausgerichtet. Die Parlamente gehören zum Revolutionsgeschehen, auch wenn sie, wie die Versammlung in Berlin im Juni 1848 sich nicht zur März-Revolution bekennen wollten. Die preußische Versammlung zeigte dann in den Folgemonaten mit der Zustimmung zum Antrag von Julius Stein, Offiziere sollten sich reaktionären Bestrebungen fernhalten und mit dem Beschluss zur Steuerverweigerung doch noch ein konstitutionelles Profil. Die Parlamentarier der Revolutionsjahre 1848/49 sind selbstverständlich ebenfalls Akteure der Revolution und gehören deshalb in eine solche Reihe biografischer Sammelbände. Sie wurden von den Zeitgenossen als wichtige Akteure der wechselvollen Ereignisse betrachtet. Robert Blum ist in dem bereits erwähnten Band 1 der Vorläuferreihe 1970 mit einem biografischen Aufsatz gewürdigt. Der Autor Siegfried Schmidt hat diesem Märtyrer der Demokratie zugleich ein eigenes Buch gewidmet.

Erstmals werden in Ihrer Edition auch Frauen gewürdigt. Wie groß war deren Anteil an der deutschen Revolution 1848/49? Wenn ich es recht überblicke, nehmen deren biografischen Einträge fast ein Drittel der Biografien in den Bänden ein?

J. H.: Die Frauenforschung hat sich dieses Themas schon seit etlichen Jahren angenommen. Der Nachholbedarf ist aber immer noch sehr groß. Der bevorzugte Blickwinkel auf Männer, »die Geschichte machen«, haben in den tradierten Narrativen große Lücken hinterlassen. Selbst unter den Revolutionären 1848/49 wurde Frauen oftmals nur eine Beobachterrolle zugebilligt. Dazu gesellen sich der Mangel an Quellen und Selbstzeugnissen, der Forschungen zu Frauenbiografien für diese Geschichtsetappe erschwert. Dennoch zeigen schon die wenigen bisher bekannten und immer wieder zitierten Biografien den bedeutenden Einfluss, den Frauen direkt und indirekt auf die Ereignisse genommen haben, obwohl ihnen die Konventionen das in der Regel nicht zubilligten.

Die Herausgeber der Reihe »Akteure eines Umbruchs« waren jedenfalls von Beginn an bemüht, Frauen in die Bände aufzunehmen. Der Untertitel der Reihe wurde deshalb auch bewusst ergänzt, verweist auf »Männer und Frauen der Revolution von 1848/49«. So finden sich im ersten Band von 2003 Biografien von Bettina von Arnim, Amalie Krüger, Malwida von Meysenbug, Marie Norden, Louise Otto und sächsischen Schneiderinnen. Im jüngsten Band 7 werden die Frau des schlesischen Oberpräsidenten Marie Pinder und die Schriftstellerin Emilie Emma von Hallberg porträtiert.

Frau Fuchs, Sie als Autorin haben aber ein Porträt über einen Mann verfasst.  

D. F.: Im aktuellen Band 7, der in diesem Jahr erschienen ist, habe ich erneut einen polnischen Patrioten porträtiert, Karol Libelt (1807–1875) aus Posen. Er war Philosoph, Publizist, Redakteur, Lehrer, Revolutionär und Parlamentarier, kurzum ein Universalgelehrter. Er hätte eine akademische Laufbahn als »guter preußischer Untertan« einschlagen können, da er die deutsche Sprache beherrschte und als Wissenschaftler die geistigen Fähigkeiten besaß. Doch er entschied sich anders. Ihm war es wichtig, dass trotz der Fremdherrschaft sich die Polen weiterhin als eigenständige Nation empfinden und ihre Kunst, Sprache und Kultur bewahren. Seine und Mierosławskis Wege hatten sich gekreuzt, als sie 1846 einen Aufstand in den polnischen Teilgebieten vorbereiteten, der jedoch verraten wurde. Beide wurden dann im großen Polenprozess 1847 in Berlin verurteilt und durch die Märzrevolution 1848 befreit.

Nach der Niederlage der Revolution, dazu gehörte auch der Aufstand im Großherzogtum Posen, setzte Libelt auf die organische Arbeit im preußischen Teilgebiet, also Schaffung legaler polnischer Organisationen, die als ihre Interessenvertretungen genutzt werden konnten, wie zum Beispiel Agrarvereine, Lesezirkel. Übrigens Karol Libelt war auch für eine kurze Zeit Abgeordneter der Deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche. Dort hatte er an die Abgeordneten appelliert, das Prinzip der Nationalitäten anzuerkennen und den Willen anderer Völker zu achten. Doch es folgten schlimme antipolnische Hasskommentare und Gelächter. Der Keim des deutschen Chauvinismus breitete sich bereits im ersten gesamtdeutschen Parlament aus. Das sollte bei der Bewertung der ersten Nationalversammlung mit all ihren Errungenschaften nicht vergessen werden.

Nicht nur Revolutionäre, sondern auch deren Gegenspieler, Konterrevolutionäre werden in den Bänden porträtiert. Warum diese Entscheidung?

J. H.: Politische Kämpfe, insbesondere Revolutionen sind keine Einbahnstraße. Neben den Revolutionären beeinflussen auch die Konterrevolutionäre sowie die Zauderer und die Passiven letztlich über Erfolg und Misserfolg revolutionärer Auf- und Umbrüche. Eine Revolution sollte deshalb nicht nur aus einem Blickwinkel beschrieben werden. Die jeweiligen Resultate historischer Prozesse ergeben sich immer aus der Summe verschiedener und teilweise auch widersprüchlicher und konfrontativer Bestrebungen und Bewegungen. Insofern sind Konterrevolutionäre ebenfalls Akteure der Revolution, auch wenn sie sich dieser entgegenstellen.

Das Unternehmen ist bereits Mitte der 80er Jahre in der DDR konzipiert worden, unter der Ägide von Professor Walter Schmidt, aber in die Wendewirren geraten. Wie gelang es, diese Edition zu realisieren, ohne institutionellen Rückhalt?

J. H.: Das Vorhaben, die Revolution von 1848/49 am Beispiel ihrer Akteure zu veranschaulichen, geht auf den Nestor der 1848er Revolutionsforschung Karl Obermann zurück, der gemeinsam mit weiteren Autoren 1970 einen ersten Band mit Biografien veröffentlichte. Der erfuhr 1987 gemeinsam mit einem neuen zweiten Band eine erneute Auflage. Die Absicht, weitere Bände folgen zu lassen, konnte zunächst nicht verwirklicht werden. Nach einer kurzen Pause nahmen Walter Schmidt und Helmut Bleiber den Gedanken wieder auf und versammelten 1992 Forscherinnen und Forscher aus den inzwischen abgewickelten Lehrstühlen und Instituten in den neuen Bundesländern in einer Diskussionsrunde Vormärz- und 1848er Revolutionsforschung. Sie organisierte sich 2002 als Arbeitskreis bei der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin. Schon im Folgejahr konnte der erste Band der jetzigen Buchreihe »Akteure der Revolution von 1848/49« veröffentlicht werden. Inzwischen hat sich der Arbeitskreis personell erneuert und erweitert. Ihm gehören ebenfalls Forscherinnenn und Forscher aus den alten Bundesländern an. Für den jüngsten Band konnten etliche Nachwuchswissenschaftler gewonnen werden. Insgesamt enthalten die sieben Bände der Reihe 105 Biografien, zwei Gruppenbiografien und zwei Aufsätze zum bearbeiteten Forschungsfeld. Das Forschung und Publikation ohne institutionelle Bindung und Unterstützung jeden vor große Herausforderungen stellt, bedarf wohl keiner besonderen Erklärung.

Zu DDR-Zeiten ist eine repräsentative »Illustrierte Geschichte der 1948er Revolution erschienen«, im Dietz Verlag Berlin, wo entsprechende zur Frühbürgerlichen Revolution samt deutschen Bauernkrieg sowie zur deutschen Novemberrevolution 1918/19 herausgegeben worden sind. Wird in dieser neuen Edition »Akteure des Umbruchs« eine Revision damaliger Einschätzungen vorgenommen?

Der neue Band 7 der Reihe »Akteure einer Revolution« enthält einen Aufsatz von Walter Schmidt über die Entstehungsgeschichte der »Illustrierten Geschichte der deutschen Revolution von 1848/49«. Es war die einzige repräsentative Publikation zum damaligen Jubiläumsjahr. Die »Illustrierte Geschichte« wurde nicht nur als eines der schönsten Bücher des Jahres ausgezeichnet, es fand auch reißenden Absatz in den Buchläden. Bald folgte deshalb eine zweite und 1988 eine dritte überarbeitet Auflage. Der Fortschritt im Forschungsstand führt stets zu Korrekturen. Solche waren bereits in der dritten Auflage der »Illustrierten Geschichte« berücksichtigt worden. Das betraf unter anderem die Darstellung der Rolle der Bourgeoisie und die differenziertere Sicht auf die Frankfurter Paulskirche.

Welche Bedeutung hat die 1848er Revolution für heute?

J. H.: Diese Revolution war und bleibt ein Lernort für Demokratie. Ihr Nachhall hat den Gang der Geschichte wesentlich beeinflusst. Sie nötigte ihre ehemaligen Gegner zu Reformen, die von der DDR-Geschichtswissenschaft deshalb als »Revolution von oben« charakterisiert wurden. Die Orientierung an der Reichsverfassung von 1849 in den Verfassungsdiskussionen und Verfassungen bis in die Gegenwart ist offensichtlich. Das demokratische Parteienspektrum der Gegenwart hat gleichfalls seine Ursprünge in Bewegungen des Vormärz und der Revolution von 1848/49. Und dass sich Bürger für ihre Interessen ermächtigen müssen, bleibt ebenfalls eine aktuelle Botschaft.

D.F.: Die Revolution von 1848/49 ist von großer Bedeutung für unsere deutsche Demokratie- und Nationalgeschichte. Auch wenn die Revolution steckengeblieben ist, so gab es Veränderungen, die nicht mehr aufzuhalten waren. Feudale Hindernisse wurden überwunden, die Industrialisierung nahm an Fahrt auf. Die Errungenschaften der Demokratie sind keine Selbstverständlichkeit. Sie müssen immer wieder verteidigt werden, gerade in der heutigen Zeit, wo Autokraten, Diktatoren, rechte Parteien, Faschisten zunehmend an Einfluss gewinnen. Auch in unserem Land suggeriert Populismus vermeintlich einfache Lösungen für die Probleme in der Welt und fördert gefährliche Tendenzen.

Rüdiger Hachtmann/Jürgen Hofmann (Hrsg.): Akteure eines Umbruchs. Männer und Frauen der Revolution von 1848/49, Band 7. Trafo Wissenschaftsverlag, 438 S., zahlr. Abb., 49,80 €.

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