- Berlin
- Suchthilfe
Drogen-Todesfälle in Berlin: Das Schlimmste verhindern
Expertin aus der Suchthilfe unterstützt Handlungsempfehlungen des Bezirks Neukölln
Mehr Drogenkonsumräume, mehr Drug Checking, mehr Straßensozialarbeit: Der Bezirk Neukölln will Todesfälle durch Drogenkonsum verhindern. In seinem aktuellen Bericht zur Lage in Neukölln hat der Bezirk eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die dazu umgesetzt werden sollten. Der Neuköllner Bericht zeige, »wo Handlungsbedarf besteht und welche Strategien zur Prävention und Hilfestellung wir weiterentwickeln müssen«, sagt der Neuköllner Gesundheitsstadtrat Hannes Rehfeldt (CDU) in einer Pressemitteilung.
Die Handlungsgempfehlungen des Bezirks stoßen bei Nina Pritszens auf große Zustimmung. Sie ist seit 20 Jahren in der Drogenhilfe aktiv und aktuell Geschäftsführerin des Suchthilfeträgers Vista Berlin, der berlinweit etwa Beratungsstellen betreibt und mit mehreren Standorten auch in Neukölln aktiv ist. »Das ist ein guter Vorstoß, der Maßnahmenplan ist sehr pragmatisch«, sagt Pritszens.
Neben dem Einsatz für Drogenkonsumräume und Drug Checking beinhalten die Handlungsempfehlungen auch eine Ausweitung des Einsatzes von Naloxon bei einer Opioid-Überdosierung. Für Pritszens ist das Medikament alternativlos. Als Nasenspray sei es leicht anzuwenden und habe keine negativen Auswirkungen, selbst wenn es bei Menschen ohne Opioidkonsum angewandt werde. Laut dem Neuköllner Bericht ist geplant, das Medikament für alle Berufsgruppen verfügbar zu machen, »die mit drogengebrauchenden Menschen arbeiten«, also vor allem in der Drogen- und Suchthilfe, der Obdachlosenhilfe und der Polizei.
Um auf eine mögliche Opioid-Krise auch in Berlin vorbereitet zu sein, müssten die vom Bezirk vorgeschlagenen Maßnahmen flächendeckend umgesetzt werden, so die Suchthilfe-Expertin. Denn im Drogenhilfesystem sei man aktuell durchaus besorgt über den Einzug synthetischer Opioide, die sehr leicht überdosierbar und damit tödlich sind.
»Das Land und die Bezirke können die Rahmenbedingungen schaffen, um diese Maßnahmen umzusetzen.«
Nina Pritszens Vista Berlin
Die Möglichkeit, eigene Drogen vor Konsum durch Drug Checking auf Verunreinigungen und gefährliche Inhaltsstoffe überprüfen zu lassen, muss laut Pritszens deutlich ausgeweitet und weiteren Zielgruppen zugänglich gemacht werden. Auch der Ausbau von Straßensozialarbeit sei wichtig und vor allem ein niedrigschwelliger Zugang zu einer Substitutionstherapie für Opioid-Abhängige, auch wenn sie zum Beispiel nicht krankenversichert sind. Denn aktuell erreiche man mit der Behandlung nur jeden zweiten Opioidverbraucher. »Wir empfehlen, trotzdem mit der Behandlung zu beginnen. Meistens besteht ein Versicherungsanspruch und das lässt sich dann im Verlauf der Behandlung aufklären«, sagt Pritszens. Weiterhin brauche es eine bessere Verschränkung der Hilfesysteme, vor allem der Suchthilfe und der Wohnhilfe.
Was im Neuköllner Bericht noch fehle, sei der Aufbau eines flächendeckenden Frühwarnsystems, sagt Pritszens. Wenn etwa neue und gefährliche Drogen auf den Markt kämen oder beigemischt zu anderen Drogen festgestellt würden, dann müssten solche Informationen schnellstmöglich ausgewertet und an die Bevölkerung und ans Hilfesystem vermittelt werden.
Für ein solches System setzt sich auch die Kampagne »Gib mir 5« ein, bei der Pritszens mitmacht. Die vom Verein Akzept zusammen mit weiteren Akteur*innen der akzeptierenden Suchthilfe gestartete Kampagne hat zur Veröffentlichung der Anzahl an im Jahr 2024 verstorbenen Drogengebrauchenden fünf Maßnahmen vorgeschlagen, um Todesfälle zu reduzieren. Neben dem Frühwarnsystem sind das jene, die auch der Bezirk Neukölln vorschlägt: Drug Checking, Konsumräume, Naloxon-Verfügbarkeit und Opioid-Substitutionstherapie. »Das Land und die Bezirke können die Rahmenbedingungen schaffen, um diese Maßnahmen umzusetzen«, sagt Pritszens.
In Berlin sind im vergangenen Jahr 297 Menschen durch Konsum illegaler Drogen gestorben, erklärte Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) anlässlich des Internationalen Gedenktags für verstorbene Drogengebrauchende am Montag. Das sind 26 Menschen mehr als 2023, 2022 waren es 230 Todesfälle. In Neukölln bewegten sich die Todeszahlen seit 2020 konstant zwischen 20 und 30 Personen jährlich, heißt es im Bericht des Bezirks. Um diese Zahl zu reduzieren, bemühe sich der Bezirk Neukölln, »Mittel für einen weiteren Konsumraum sowie für die Ausweitung der Straßensozialarbeit« zur Versorgung und Anbindung wohnungsloser Suchtkranker an das Hilfesystem »bei der für Gesundheit zuständigen Senatsverwaltung und dem Abgeordnetenhaus einzuwerben.«
Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.
Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen
Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.