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Romantik aus der Retorte

Über Liebes-Chatbots und die Qualen der Kommunikation

Im Film »Her« verliebt sich Joaquin Phoenix in ein Computerprogramm. Was 2013 noch Science-Fiction war, ist heute bereits praktizierte Realität.
Im Film »Her« verliebt sich Joaquin Phoenix in ein Computerprogramm. Was 2013 noch Science-Fiction war, ist heute bereits praktizierte Realität.

Die romantische Zweierbeziehung bahnt sich heutzutage oft in Chats mit Unbekannten im Internet an. Genauer genommen bahnt sich da meistens nur Nervendes und Frust an, denn die Qualität dieses Austauschs ist in vielen Fällen unterirdisch, es sei denn, man mag Hundertmal nacheinander auf Fragen antworten wie: »Wie war dein Tag?«

Small-Talk über das Wetter in Supermarktschlangen erscheinen vor dem Hintergrund belangloser Chats in Dating-Apps nachgerade tiefgründig. Die Kommunikation ist eine Qual. Doch der Fetisch der romantischen Liebe ist den Menschen so tief ins Bewusstsein eingeschrieben, dass sie allerlei in Kauf nehmen, um sich diesen so sehnlichen Traum im echten Leben zu erfüllen. Aber selbst wenn sie es bis in den Hafen der Liebe schaffen, gehen die kommunikativen Qualen weiter, von Missverständnissen, Umstimmigkeiten bis zum Kommunikationsmangel und dem häufig formulierten: »Du hörst mir gar nicht zu!«

Es gibt kein Problem, für das der Kapitalismus keine passende warenförmige Lösung zu bieten hätte und das sind im Fall unbefriedigender Beziehungskommunikation persönliche KI-basierte (Liebes-)Chatbots. Diese haben, verglichen mit realen Personen, den enormen Vorteil, dass sie sich, trainiert durch den Nutzer oder die Nutzerin, an die jeweiligen Kommunikationsbedürfnisse anpassen. Sie lassen uns nicht auf Antworten warten, und sind nur dann kritisch oder herausfordernd, wenn wir das wollen.

Das funktioniert so gut, dass manche Bot-Nutzenden die Bindung als »emotional erfüllend, romantisch und manchmal sogar intensiver als zu echten Menschen« beschreiben, wie aus einer aktuellen Studie der TU Berlin hervorgeht. Bei der Erhebung fielen in Bezug auf die KI auch Aussagen wie: »Ich liebe sie mehr als jeden Menschen zuvor.«

Die einen mögen eine monogame Beziehung mit ihrem Chatbot führen, andere eher eine ergänzende zu ihrer als unbefriedigend empfundenen zwischenmenschlichen. Richtig trainiert kann der KI-Chatbot verständnisvoll zuhören und die menschlichen Partner*innen positiv bestärken, was sich viele Menschen wohl von ihren Traumpartner*innen wünschen würden und die wenigsten regelmäßig erleben.

Die Frage bleibt: Ist die emotionale Beziehung zur KI nun das Ende der romantischen Liebe, weil diese damit jeglicher Auseinandersetzung mit einem anderen Gegenüber beraubt wird und sich das Selbst nur noch in seinem selbstgeschaffenen Avatar spiegelt? Oder rettet die KI-Beziehung die Romantik, deren immanente unerfüllbare Versprechen eh eine Enttäuschung sind – aber diese nun zumindest reibungslos und effizient erfüllt werden können?

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