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- Torhüterin Ann-Katrin Berger
Kahns Nachfolgerin
Nur ein Fehler: Bei der Fußball-EM war Torhüterin Ann-Katrin Berger die beste deutsche Spielerin
Liebe gegen Liebe. Das gibt es nicht so oft im Fußball und wenn, dann nur bei den Frauen, bei den Männern ist es immer noch allerstrengstens geheim. Beinahe wäre die deutsche Torfrau Ann-Katrin Berger im EM-Finale auf ihre Lebenspartnerin, die englische Innenverteidigerin Jessica Carter, getroffen. Doch England spielt am Sonntag in Basel gegen Spanien, denn Deutschland ist draußen. Durch einen Stellungsfehler von Berger, der besten deutschen Spielerin des Turniers in der 113. Minute.
Danach meinte Bundestrainer Christian Wück, es sei doch atemberaubend, dass die Deutschen überhaupt bis ins Halbfinale, bis in die Verlängerung gegen den Weltmeister Spanien gekommen seien. Wie toll ist das denn? Denn sie waren nicht besonders gut. Ihr Fußball sei auf dem Stand von 2010 eingefroren, hatte die »Taz« kritisiert. Kämpfen statt Spielen. Kraft statt Kombination. Viel Rennen und die anderen umhauen, wenn sie einem entgegenkommen. Das nennt Wück »Mentalität zeigen« und das ist ein zweitklassiger Ansatz: So steigen chancenlose Zweitligisten in die Bundesliga auf und attackieren die Mannschaften, die ihnen technisch und taktisch weit überlegen sind. Das klappte nur gegen Frankreich. Was für ein krasser Defensivkick in Unterzahl – aber eben reine Zerstörung statt Zauberei.
Weil sie keine richtigen Ideen hatten, wirkten die deutschen Spielerinnen bei der EM so angespannt und unsicher. Nur nicht Ann-Katrin Berger. In ihrem Blick lag keine Angst, sie schaute fast etwas entrückt und war doch ganz bei sich. So lange warten, bis es klappt. Im Elfmeterschießen gegen die Französinnen sich so lange erfolglos in die linke Ecke werfen, bis die Französinnen denken, jetzt sei die rechte Ecke dran und dann ist Berger die Siegerin. So ähnlich muss sie auch schon zweimal ihren Schilddrüsenkrebs besiegt haben.
Berger wurde erst mit 30 Nationaltorfrau und erst mit 34 Stammtorhüterin, 2024 bei den Olympischen Spielen in Paris. Da hatte Horst Hrubesch als Interimstrainer mal eine gute Idee. Erst mit 16 spielte Berger im Tor, vorher hatte sie schon Sturm, Mittelfeld und Abwehr ausprobiert. Bei den Olympischen Spielen wurden die Deutschen Dritter. Und Berger, mittlerweile in den USA bei Gotham FC, weil sie bei Chelsea als zu alt galt, wurde »Deutschlands Fußballerin des Jahres«.
Und dieses Jahr sprachen auf einmal alle wieder von den »deutschen Tugenden«. Über den Kampf ins Spiel kommen wollen, eine Erinnerung aus dem Jupp-Derwall-Land der Schäferhunde und Gartenzwerge. Diese Art Fußball wurde bei den Frauen 2010 eingefroren? Man kann auch zu den Männern schauen, ins Jahr 2002. Damals kamen die Deutschen bei der WM mit dem sogenannten Rumpelfußball bis ins Finale gegen Brasilien. Ihr bester Spieler war Oliver Kahn, »der Titan« (»Bild«) im Tor. Und der versagte dann beim Höhepunkt seiner Karriere, sogar zweimal. Pech gehabt, auch nur ein Mensch mit Nerven.
Berger wurde von »Bild« zur »Titanin« erklärt. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätten die DFBlerinnen niemals die Verlängerung gegen Spanien erreicht. Und dann macht sie diesen einen Fehler. Arghhhh... aber: Nach dem Spiel sagte sie aufgeräumt, diese Niederlage sei enttäuschend – und ihre Schuld. Das hätte Oliver Kahn so niemals über die Lippen gebracht. Wie toll war das denn?
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