Läuterung des syrischen Übergangspräsidenten überzeugt nicht

Exil-Oppiositionelle fordern Ende der Zusammenarbeit mit der syrischen Übergangsregierung

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein drusischer Kämpfer steht nach dem Waffenstillstand in der Stadt Al-Suweida an einem Kreisverkehr, der mit der drusischen Flagge und einem Porträt eines lokalen Führers geschmückt ist.
Ein drusischer Kämpfer steht nach dem Waffenstillstand in der Stadt Al-Suweida an einem Kreisverkehr, der mit der drusischen Flagge und einem Porträt eines lokalen Führers geschmückt ist.

Über 1300 Menschen sind bei den Kämpfen in der südsyrischen Provinz Al-Suweida getötet worden. Das ist die vorläufige Bilanz der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) mit Datum 22. Juli. Unter den Getöteten befinden sich demnach 471 Angehörige der Regierungstruppen. 637 Menschen seien in der vor allem von Drusen bewohnten Provinz Al-Suweida ums Leben gekommen, davon 104 Zivilisten. 196 Personen seien exekutiert worden, Videos davon zirkulieren seit Tagen im Netz. Durch die Kämpfe hat sich die humanitäre Lage in der Region weiter verschärft, 145 000 Menschen seien bisher vertrieben worden, teilte das UN-Nothilfebüro Ocha mit. Die meisten von ihnen seien innerhalb der Provinz Al-Suweida vertrieben oder in der benachbarten Provinz Daraa. Von der Gewalt betroffen sind schätzungsweise 220 000 Menschen.

Für die syrische Exil-Opposition ist die Lage klar: Im Syrien der von Interimspräsident Ahmad Al-Scharaa angeführten Übergangsregierung müssen Drus*innen, Kurd*innen, Alawit*innen und andere Minderheiten um ihr Leben fürchten, haben sie keinen gleichberechtigten Platz. Cansu Özdemir, außenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, sieht es daher »kritisch«, dass die Bundesregierung an dieser Übergangsregierung festhalte. Sie hat gemeinsam mit Ko-Parteichef Jan van Aken verschiedene Vertreter*innen gesellschaftlicher Gruppen aus Syrien zu einem Pressegespräch eingeladen, um nach dem Gewaltausbruch in Al-Suweida über die Lage zu debattieren.

»Die Zusammenarbeit mit Präsident Ahmad Al-Scharaa muss beendet werden« forderte Metin Rhawi, Vorsitzender der European Syriac Union, einem Dachverband verschiedener syrisch-aramäischsprachiger politischer Organisationen und Kulturvereine in Europa, und lieferte gleich die Begründung dazu: »Al-Scharaa ist kein Politiker, er ist ein Kämpfer«, und Kämpfer brauche Syrien nicht. Er unterzeichne Regierungsakte als Al-Scharaa, »aber er agiert wie Al-Dscholani«, sagt Rhawi in Bezug auf dessen Kampfnamen als Mitglied der islamistischen Bewegung Haiat Tahrir Al-Scham (HTS). Und er betonte: »Es wollen gerade mehr Menschen aus Syrien flüchten, als dass Geflüchtete in die frühere Heimat zurückkehren wollen.«

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Die deutsche Politik scheint das jedoch nicht wirklich zu interessieren. So fordert CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann, auch nach Syrien wieder Straftäter abzuschieben. Er würde das »ausdrücklich für richtig« halten, sagte der Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag der Deutschen Presse-Agentur. Die Frage müsse erlaubt sein, ob es nicht auch in solchen Ländern sichere Rückzugsbereiche gebe, in die man abschieben könne. »Das kann nicht per se sein, dass man sagt, ich schiebe in ein ganzes Land nicht ab, weil da die politische Lage unsicher ist.« Offensichtlich gilt Hoffmann die Sicherheitslage in Syrien nicht als ausreichend prekär, auch nicht angesichts der massiven Gewalt von Regierungstruppen oder mit ihr verbandelter Milizen in den vergangenen Monaten gegen die verschiedenen Bevölkerungsgruppen: im Südwesten, im Nordwesten an der Küste und im Nordosten.

Al-Scharaas Wandlung vom Dschihadisten Al-Dscholani zum Demokraten Al-Scharaa kauft ihm von der Exil-Opposition niemand so recht ab. Tareq Alaows, Sprecher von Pro Asyl, spricht vom »Rebranding von Al-Dscholani«. Die Bundesregierung müsse sich für den Schutz aller Minderheiten einsetzen und dürfe die Morde nicht als Auseinandersetzung zwischen drusen und Beduinen herunterspielen. Konkret solle sich Berlin für eine internationale, unabhängige Untersuchungskommission starkmachen, die die jüngsten Massaker in Al-Suweida und auch die an den Alawiten im März in der Region Latakia an der Mittelmeerküste untersuche. Auch Verbrechen aus der Vergangenheit von HTS-Kämpfern, die heute der Regierung angehören, müssten vor Gericht.

Die Opposition sieht vor allem eine Konzentration der Macht in Händen einer sunnitisch-arabischen HTS-Regierung, die keinen Raum lässt für die Belange der Minderheiten. Anfangs sei viel versprochen worden, sagte Nhzad Dher, Vertreter der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), »aber bis jetzt sehen wir nur Massaker, Ausgrenzung und die Entwürdigung von Menschen«. Die derzeitige Regierung in Damaskus akzeptiere Pluralität und Diversität nicht, »weil das nicht zu ihrer Ideologie passt«, so Dher.

Ähnlich sieht es auch Ali Ibrahim von der Vereinigung der syrischen Alawiten in Europa. Seiner Ansicht nach setzen die Kämpfer der Regierung ihre islamistische Ideologie fort. »Das merkt man, wenn man die systematische Gewalt in Latakia betrachtet: Aufrufe zum Dschihad, Entführung von Frauen, auch jetzt in Al-Suweida«. Ein kürzlich erstellter Bericht zur Aufarbeitung der Massaker in Latakia, der von der Übergangsregierung in Auftrag gegeben worden war, hat Tareq Alaows zufolge keinen Deut zur Aufklärung geleistet. Darin heißt es demnach, dass die Regierung keine Schuld an den Hinrichtungen trage, unbekannte Kämpfer dafür verantwortlich seien und es keine systematische Unterdrückung der Alawiten gebe. »Der Bericht ist ein Schlag ins Gesicht der Zivilgesellschaft«, sagt Alaows.

Warum also hält die Bundesregierung an der Übergangsregierung von Ahmad Al-Scharaa als Partner fest? Ganz einfach, meinte Cansu Özdemir: Um Abschiebungen nach Syrien möglich zu machen.

Am Freitag, 25. Juli, startet um 15 Uhr ein Demonstrationszug vom Auswärtigen Amt in Berlin. Das Motto: »Solidarität mit den Drusen«. Die Demo soll zum Brandenburger Tor führen, die Kundgebung vor der US-Botschaft stattfinden.

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