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»Free Speech Aid«: Meinungsfreiheit als Kampfbegriff
Eine rechtslastige NGO will sich für Redefreiheit einsetzen
In Deutschland hat sich diese Woche eine neue Organisation gegründet, die sich dem Schutz der Meinungsfreiheit widmen will: »Free Speech Aid«. Denn nach Ansicht der Initiator*innen wird das demokratische Grundrecht zunehmend durch Zensurmechanismen bedroht. Westliche Demokratien, so ihre Argumentation, bauten »still und effizient ihre eigenen Überwachungssysteme zur Kontrolle des Sagbaren« aus, während sie gleichzeitig autoritäre Staaten für deren Repression kritisierten.
Das Zitat stammt von Jakob Schirrmacher, Journalist und Sohn des 2014 verstorbenen FAZ-Mitherausgebers Frank Schirrmacher. In einem Gastbeitrag für die rechtsnationale »Preußische Allgemeine Zeitung« beschreibt er Deutschland als Gesellschaft, die sich »durch die Einschränkung von Rede stabilisieren will«. Schirrmacher betont, viele Unterstützer von »Free Speech Aid« hätten dies erlebt.
Zu den weiteren Mitgründern zählen die ehemalige AfD-Politikerin Joana Cotar, Marcus Pretzell (ebenfalls FDP und AfD), der FAZ-Autor Rainer Meyer (»Don Alphonso«) und der Staatsrechtler Josef Franz Lindner. Die Beteiligten eint, dass sie regelmäßig gegen eine linke »Cancel Culture« polemisieren – und behaupten, in Deutschland habe eine »Wokeness« die Demokratie abgelöst.
Der Begriff meint ein Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeiten und Diskriminierung sowie das Bestreben, diese aktiv zu bekämpfen. Die Blase um »Free Speech Aid« versteht »Wokeness« indes als linken politischen Aktivismus staatlich alimentierter Nichtregierungsorganisationen, der ihrer Ansicht nach zu Intoleranz gegenüber Andersdenkenden führt.
Als ihr Hauptfeind gelten auch nach der Bundestagswahl die Grünen – allen voran der einstige Vizekanzler Robert Habeck. Die Partei wird etwa für die Einrichtung von Meldestellen verantwortlich gemacht, die auch nicht strafbaren Hass im Internet verfolgen sollen. Allerdings ist das keine grüne Erfindung, sondern eine Pflicht zur Umsetzung des Digital Services Act, einer EU-Richtline.
In seinem kürzlich erschienenen Buch »Desinformiere dich!« spricht Schirrmacher von einem sogenannten »Censorship Industrial Complex« und meint ein Netzwerk aus Regierungen, Technologieunternehmen, NGOs, Medien und Faktenprüfern, das vorgibt, demokratische Werte zu verteidigen, dabei jedoch – so seine These – die Grundlagen der offenen Gesellschaft untergräbt. Es beruhe auf subtilen Mechanismen wie »algorithmischer Sichtbarkeitssteuerung«, informellen Sanktionen und politischen Förderprogrammen.
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»Free Speech Aid« bekräftigt deshalb den Status als unabhängige NGO ohne staatliche Fördermittel. Ziel sei es, Fälle von Zensur zu dokumentieren. Offen bleibt jedoch, nach welchen Kriterien die Organisation diese auswählt. Es ist damit zu rechnen, dass auch weiterhin vor allem Fälle thematisiert werden, die mit der eher konservativen oder sogar rechten politischen Ausrichtung der Gründergruppe kompatibel sind.
Die Organisation verweist dazu auf Beispiele wie »Hausdurchsuchungen wegen satirischer Bildbeiträge« und lässt den Kontext weg: etwa die strafrechtliche Relevanz solcher Beiträge bei Volksverhetzung oder Bedrohung. Auch die Bezugnahme auf bekannte Dissidenten wie »Ai Weiwei, Nawalny, Snowden, Assange, Böhme, Biermann« durch Jakob Schirrmacher überzeugt nicht: Diese Personen stehen für Widerstand gegen autoritäre Systeme, den die Nennung im Kontext der Verfolgung von hetzerischen Social-Media-Inhalten bagatellisiert.
»Free Speech Aid« dürfte es mithin nicht um den umfassenden Schutz pluralistischer Debatten allgemein gehen – sondern um die gezielte Verteidigung eines rechten Meinungsspektrums. Die Organisation steht damit exemplarisch für eine Entwicklung, bei der der Freiheitsbegriff zunehmend von rechts politisiert wird.
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