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Frontex verteidigt um­strit­tene Abschiebungs­broschüre

EU-Grenzagentur will Kindern »weniger angst­einflößendes« Erlebnis bieten

»Leitfaden zur Rückkehr« – Frontex verteidigt um­strit­tene Abschiebungs­broschüre

Frontex will mit ihrer umstrittenen Broschüre »Mein Leitfaden zur Rückkehr« Minderjährige bei Abschiebungen unterstützen. »Wir entscheiden nicht, wer zurückgeführt wird. Aber wir haben die Möglichkeit und die Verantwortung, dieses Erlebnis für ein Kind weniger angsteinflößend zu gestalten«, schreibt die EU-Grenzagentur in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linke-Abgeordneten Özlem Demirel zu der heftig kritisierten Publikation.

Die 169 Seiten umfassende Broschüre richtet sich in drei Versionen an Kinder, Jugendliche sowie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Sie war vor einem Monat durch ein Posting des Hessischen Flüchtlingsrates bekannt geworden und hatte im Internet für Empörung gesorgt. Kritiker*innen werfen Frontex vor, mit kindgerechter Sprache und bunten Bildern die Zwangsmaßnahme der Abschiebung zu verharmlosen.

Statt »Abschiebung« offen zu benennen, spricht die Publikation immer von »Rückführungen« und beschreibt euphemistisch, Kinder würden anschließend »im Heimatland der Familie leben«. Auf diese »große Veränderung« könnten die Kleinen »gespannt« sein. Ein Bildchen einer Person mit Handschellen wird in der Broschüre erklärt mit: »So sind er und die anderen sicher.«

Von der Broschüre wurden nach Angaben von Frontex über 35 000 Exemplare in 15 Sprachen gedruckt, darunter Arabisch, Farsi, Albanisch, Kurdisch und Tamil. Die Gesamtkosten für Design, Übersetzung, Korrektur, Druck, Lagerung und Verteilung beliefen sich bislang auf rund 74 000 Euro. Der Druck erfolgte vor zwei Jahren über das Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union.

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Nach Angaben von Frontex wurde die Broschüre »in enger Zusammenarbeit« mit Kinderschutzexperten, Psychologen und Migrationsfachleuten entwickelt. Sie verwende bewusst »einfache Sprache und vertraute Bilder«, da Kinder in Stresssituationen darauf ansprechen würden. Dieser Ansatz sei mit Beiträgen von Kinderrechtsexperten entwickelt worden, »die verstehen, wie Kinder Traumata erleben und wie man am besten mit ihnen in Momenten des Umbruchs kommuniziert«.

»Die Rechtfertigung von Frontex ist genauso ekelhaft wie ihr Abschiebe-Kinderbuch selbst«, sagt dazu die Fragestellerin Özlem Demirel zu »nd«. Es sei äußerst fraglich, welche Kinderschutzexperten sie dazu konsultiert haben will: »Denn diese sind sich gewöhnlich einig darin, dass Abschiebungen nicht mit Kinderrechten vereinbar sind«. Kindern zu sagen, dass die Gewalt und das Trauma, das ihnen zugefügt wird, ihrer Sicherheit dienen, hält die Linke-Politikerin für eine »perfide Indoktrination«.

Die Idee für den Leitfaden sei aus Workshops hervorgegangen, die Frontex 2019 und 2020 mit den EU-Staaten abhielt, erklärt die Agentur in der Antwort. Überprüft worden sei die Broschüre vom Grundrechtebüro der Agentur, dem Beratungsforum und verschiedenen internen und externen Interessengruppen. Verschiedene Mitgliedstaaten hätten während des gesamten Prozesses mitgewirkt. Dabei hätten nationale Behörden »den Bedarf an kinderfreundlicheren Instrumenten« betont, »um Kindern und Familien zu helfen, den Rückkehrprozess besser zu verstehen«.

Frontex weist die Kritik zurück, die Broschüre verschleiere die Realität oder versuche die Rückführung zu trivialisieren. Ziel sei es, Kinder zu unterstützen, wenn die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten – und nicht Frontex – entschieden hätten, sie zurückzuführen.

Allerdings lässt die Agentur dabei außen vor, dass am Sitz in Warschau seit einer Neufassung der Frontex-Verordnung von 2019 ein eigenes »Europäisches Rückkehrzentrum« aufgebaut wird. Es steht unter Leitung des ehemaligen Bundespolizei-Ausbilders Lars Gerdes und soll Abschiebungen als Rundum-Dienstleistung für die Mitgliedstaaten anbieten – klimaneutral und nötigenfalls mit »Fesselungstechniken«. Gerdes ist auch einer der drei Vizedirektor*innen von Frontex.

Der Antwort zufolge will Frontex sicherstellen, dass auch die erzwungenen Rückführungen »unter Achtung der Rechte und Würde der Betroffenen durchgeführt werde«. Die meisten von Frontex unterstützten Maßnahmen seien freiwillig, was bedeute, dass die Familie bewusst die Entscheidung zur Rückkehr getroffen habe, oft in Abstimmung mit Reintegrationshilfen im Herkunftsland.

»Die behauptete Freiwilligkeit der Rückführungen besteht in den meisten Fällen nur in der Wahl zwischen Abschiebung und selbst in das Flugzeug steigen«, kommentiert Timmo Scherenberg vom Hessischen Flüchtlingsrat »nd«. Frontex beteilige sich an einem gewaltförmigen Abschiebungsprozess und sei deshalb »schlicht nicht geeignet, den Kindern quasi neutral zu erklären, was da gerade passiert«. Scherenbergs Schlussfolgerung: »Wenn es Frontex ernst sein sollte mit der Wahrung von Kinderrechten, sollten diese schon bei der Entscheidung über die Abschiebung selbst viel stärker berücksichtigt werden – und diese standardmäßig von unabhängigen Kinderrechtsorganisationen überwacht werden.«

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