Gefängnisse einfach abschaffen

Sarah Yolanda Koss über die überfüllten deutschen Knäste

Vergitterte Fenster am Zellentrakt der JVA in Butzbach, Hessen
Vergitterte Fenster am Zellentrakt der JVA in Butzbach, Hessen

Es ist wieder einmal soweit: Die deutschen Justizvollzugsanstalten platzen aus allen Nähten. Über 90-prozentige Auslastung vermelden Bremen, Hamburg, Baden-Württemberg und das Saarland. In Rheinland-Pfalz gibt es gar keine freien Plätze mehr, dafür Mehrfachbelegungen in den Räumen. In der Regel folgt aus derlei Meldungen Vorhersehbares. Nämlich Rufe nach mehr Investitionen in die Knast-Infrastruktur. Im Normalfall lässt auch die Gewerkschaft des Bundes der Strafvollzugsbediensteten nicht lange auf sich warten und schreit nach mehr Personal.

Dabei ist inzwischen eingehend erforscht: Mehr Gefängnisse führen zu mehr Inhaftierten führen zu mehr Gefängnissen führen zu mehr Inhaftierten. Gerichte neigen dazu, vorhandene Haftplätze zu füllen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Darüber hinaus funktioniert die deutsche Resozialisierung nicht: Beinahe jede zweite Person wird nach der Entlassung aus einer Haftstrafe rückfällig, viele landen wieder hinter Gittern. Die Logik, wie jahrelange Isolation, oft einhergehend mit Job- und Wohnungsverlust, dazu führen soll, dass sich Menschen besser in eine Gesellschaft integrieren, erschließt sich ohnehin nicht.

Deutlich sinnvoller wäre es dagegen, die Entkriminalisierung voranzutreiben, also weniger Delikte zu sanktionieren und die Gefängnisse so zu leeren. Klassistische Strukturen wie Ersatzfreiheitsstrafen, die de facto dazu führen, dass Menschen es sich leisten können müssen, ihre Freiheit zu kaufen, könnten als Erstes abgeschafft werden. Dass das eine realitätsnahe Forderung ist, zeigte sich während der Pandemie. Damals wurden jene Strafen ausgesetzt, um in den Anstalten das Ansteckungsrisiko durch Überbelegungen zu minimieren. In vielen anderen Ländern kam es während der Pandemie im Übrigen aus demselben Grund zu Massenentlassungen aus Knästen. Und davon ging die Welt auch nicht unter.

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