Medienaufsicht schont Radio Dreyeckland

Verfahren wegen Feature zu SS-Verbrechen in Italien eingestellt

Auch Enrico Pieri, ein Überlebender des NS-Massakers, protestierte 2013 in Stuttgart gegen Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler.
Auch Enrico Pieri, ein Überlebender des NS-Massakers, protestierte 2013 in Stuttgart gegen Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler.

Über ein halbes Jahr lang schwebte ein Verwaltungsverfahren über Radio Dreyeckland (RDL) in Freiburg. Die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg argwöhnte in einem Satz über die mangelnde Strafverfolgung von NS-Verbrechen eine Verletzung journalistischer Grundsätze. Am 16. Juli wurde das Verfahren eingestellt, wie der Sender auf Nachfragen erfuhr und nun bekannt machte.

Der Streit entzündete sich am RDL-Feature »Mai più Sant’Anne – nie wieder Sant’Anna!« über das SS-Massaker im toskanischen Bergdorf Sant’Anna di Stazzema vom 12. August 1944. Damals ermordeten Mitglieder der Waffen-SS über 560 Zivilist*innen. Das grausame Verbrechen blieb wie andere NS-Massaker ungesühnt. 2005 hat ein italienisches Militärgericht alle zehn noch lebenden Angeklagten zu lebenslanger Haft verurteilt – Deutschland lieferte sie jedoch nicht aus.

Eine Strafverfolgung in Deutschland wäre zu diesem Zeitpunkt wohl noch teilweise möglich gewesen. Die zuständige Stuttgarter Staatsanwaltschaft ermittelte von 2002 bis 2012 – um das Verfahren schließlich aufgrund fragwürdiger Argumente einzustellen. In dem RDL-Feature kritisierten die Autor*innen deshalb den zuständigen Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler: »Dieser verschleppte die Ermittlungen, um das Verfahren nach zehn Jahren mangels Tatverdachts einzustellen. Die Täter alterten unbehelligt, sieben von 14 Beschuldigten waren 2012 schon verstorben. Häußler ermöglichte die Einstellung des Verfahrens, indem er die Taten als verjährenden Totschlag bewertete und keine individuelle Schuld feststellte.«

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Mit dem Satz über die Verschleppung der Ermittlungen könnten die journalistischen Grundsätze »der Prüfung von Nachrichten auf Wahrheit und Herkunft« sowie die »Bestimmungen über den Ehrschutz« verletzt worden sein, meinte die Medienaufsicht und drohte mit »Aufsichtsmaßnahmen«.

Die Autor*innen hatten sich mit ihrem Feature zwischenzeitlich für den Medienpreis der Landesanstalt beworben. Wohl wegen mangelnder Einreichungen wurde es aber nicht zur Bewertung angenommen. Statt einer Auszeichnung gab es dann ein Verwaltungsverfahren derselben Behörde.

Die erkannte nun an, dass der strittige Satz eine »zulässige, das Hintergrundgeschehen bewertende zusammenfassende Stellungnahme« darstelle. So jedenfalls berichtet es der Freiburger Sender und kritisiert, dass das Verfahren überhaupt eröffnet wurde. Zudem bleibe ein schaler Nachgeschmack. Denn offenbar beharrt die Medienaufsicht indirekt noch auf ihrem ursprünglichen Vorwurf: Die namentliche Nennung des Oberstaatsanwalts erscheine auch im Nachhinein als »nicht angebracht«.

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