»Was ist linke Außenpolitik, Herr van Aken?«

Der Ko-Vorsitzende der Links­partei zu Nahost, zum Krieg in der Ukraine und zum Kurs Deutsch­lands in der internationalen Arena

  • Interview: Pauline Jäckels und Felix Jaitner
  • Lesedauer: 8 Min.
Protestaktion gegen Waffenlieferungen
Protestaktion gegen Waffenlieferungen

Die Linke ist weit davon entfernt, in eine Position zu kommen, in der sie die deutsche Außenpolitik mitgestalten kann. Welche Rolle spielt Außenpolitik für die Linkspartei?

Die Linke hat dafür gesorgt, dass überhaupt kritisch über Auslandseinsätze und Waffenexporte gesprochen wird, und damit dazu beigetragen, dass immer weniger deutsche Soldat*innen im Ausland sind. Da haben wir, ohne mitzuregieren, etwas bewirkt.

Viele Jahre waren die außenpolitischen Positionen der Linkspartei geprägt von drei sogenannten Haltelinien: Nein zu Waffenlieferungen, Nein zu Auslandseinsätzen und Nein zur Nato. Seit Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht hat sich die Diskussion verändert. Was sind heute die Grundpfeiler der Linkspartei?

Der Kern ist: Wir sind Internationalist*innen. Wenn irgendwo Unrecht geschieht, dann müssen wir uns alle die Frage stellen: Wie mischst du dich ein? Unser Blick ist dabei ein friedenspolitischer. Das ist der Unterschied zu den anderen Parteien im Bundestag, die im Zweifelsfall Waffen und Soldat*innen schicken. Aber zwischen militärischem Handeln und Nichtstun gibt es im zivilen Bereich viele Handlungsoptionen, die ein Staat wie Deutschland hat, und über die wollen wir zuerst reden.

Interview

Jan van Aken ist einer von zwei Vor­sitzen­den der Partei Die Linke. Der Friedensaktivist befasst sich seit vielen Jahren mit Abrüstung und Friedenspolitik. Er hat von April 2022 bis Oktober 2024 für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu internationalen Konflikten gearbeitet. Von 2004 bis 2006 arbeitete er als Biowaffen­inspekteur für die UN. Im vorigen Jahr ist sein Buch »Worte statt Waffen. Wie Kriege enden und Frieden verhandelt werden kann« erschienen.

Und damit sind wir im Prinzip auch schon beim Ukraine-Konflikt. Da ist die Frage der Waffenlieferungen, bei der es in der Partei durchaus unterschiedliche Positionen gibt. Du bleibst bei deinem Nein zu Waffenlieferungen. Könntest du das noch mal begründen?

Wir als Internationalist*innen stehen an der Seite der Menschen in der Ukraine. Das ist unser Ausgangspunkt: Allen Unterdrückten, Ausgebeuteten, Angegriffenen, Gefolterten gehört unsere Solidarität. Und von diesem Ausgangspunkt ist jetzt die Frage: Mit welchen Methoden kann ich sie am besten gegen einen imperialistischen Aggressor wie Russland unterstützen? Da gibt es unterschiedliche Auffassungen.

Ich bin in die Ukraine gefahren, habe auch an diversen Zooms mit ukrainischen Linken teilgenommen und meine Haltung erklärt, die eben nicht die Wagenknecht-Haltung ist, die sagt: »Legt doch die Waffen nieder, übergebt das ganze Land Russland!« – also lasst den Aggressor gewinnen –, sondern immer aus einer Haltung an der Seite der Menschen in der Ukraine und für einen gerechten Frieden. Dazu gehört für mich keine Zustimmung zu Waffenlieferungen, das ist für unsere ukrainischen Freund*innen nicht immer leicht zu verdauen.

Also würdest du kritisieren, dass die westliche Politik gegenüber der Ukraine nicht darauf ausgerichtet ist, wirklich zu einem Ende des Krieges beizutragen und dafür alle erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen, sondern letztendlich den Krieg zu verlängern?

Ja. Also ich würde schon zugestehen, dass auch die Bundesregierung immer das Ziel hatte, den Krieg zu stoppen oder zu verkürzen. Aber sie war nicht bereit, dafür den Preis zu zahlen. Sie war zum Beispiel nicht bereit, ein Ölembargo über Nacht zu machen, weil das der deutschen Wirtschaft hätte schaden können im Wettbewerb mit China und den USA.

Wie kann man deiner Meinung nach Russland zu ernsthaften Verhandlungen bewegen?

Ich finde es völlig offensichtlich, dass Russland bisher kein Interesse an echten Verhandlungen hatte. Die Ukraine hatte das bis vor einem Jahr auch nicht. Es ist immer die Frage: Wie bekommst du Kriegsparteien an den Verhandlungstisch? Da haben Akteure von außen relativ eingeschränkte Möglichkeiten, aber es gibt sie.

Was passiert eigentlich nach dem Krieg in der Ukraine?

Das Ziel muss eine kooperative Sicherheit gemeinsam mit Russland und China sein. Kooperative Sicherheit setzt voraus, dass alle Beteiligten den Status quo akzeptieren. So hat es im Kalten Krieg geklappt, mit der Entspannungspolitik von Willy Brandt. Die Grundlage war, dass sowohl die Nato als auch die Sowjetunion die Grenzziehung akzeptierten. Und auf der Basis konnte man tatsächlich die gegenseitigen Sicherheitsinteressen berücksichtigen, zu Abrüstungsschritten kommen usw.

Russland akzeptiert aktuell den Status quo nicht. Es hat ein Nachbarland überfallen, es will Grenzen verschieben und die Regierung gewaltsam austauschen. Deswegen gibt es null Vertrauen. Selbst wenn jetzt der Krieg in der Ukraine vorbei sein sollte, wird es ein paar Jahre brauchen, um wieder Vertrauen herzustellen.

Kommen wir zu Gaza, wo ja sehr deutlich wird, dass die israelische Politik jetzt das Ziel verfolgt, den Gazastreifen ethnisch zu säubern und die Westbank vollständig zu annektieren. Und der Grund, warum Israel das machen kann, ist, dass es die volle Unterstützung der USA hat. Wie könnte man dem entgegentreten?

Es ist nicht nur die volle Unterstützung der USA, sondern sehr weitgehend auch die Europas. Es gab lange ein zumindest gebremstes Agieren der israelischen Regierung, weil klar war: Sobald sie offen über Annexion redet, gibt es ein Stoppzeichen aus Europa oder aus den USA. Aber jetzt ist klar, aus den USA kommt das nicht mehr, und Europa hält sich zurück.

Jetzt fangen ein paar Staaten an zu diskutieren, man müsse das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel aussetzen. Das ist neu. Aber noch verhindern Deutschland und andere Staaten in Europa, dass es dazu kommt. Und deswegen muss man hier auf Deutschland gucken und sagen: »Ihr müsst jetzt eure Politik gegenüber Israel verändern.«

Ich finde es völlig richtig, dass die Bundesregierung immer sagt: Das Existenzrecht Israels ist unverhandelbar. Wir haben da eine besondere deutsche Verantwortung. Die sehe ich genauso, die fühle ich auch so, und die muss man auch wahrnehmen. Aber das darf doch nicht dazu führen, dass man eine rechtsradikale Regierung ungehindert schalten und walten lässt.

Wir haben jetzt diese Situation, wie kommen wir da raus?

Wir brauchen die Zweistaatenlösung. Aber zwei verfeindete Staaten zu haben, die einen hohen Zaun ziehen, das wird nie funktionieren. Du kannst die israelischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet nicht lassen, weil dann von Palästina nicht viel übrig bleibt. Du kannst sie aber auch nicht alle vertreiben; das sind 600 000, 700 000 Siedler*innen, die teilweise seit 40 Jahren dort leben. Innerhalb Israels lässt sich das auch gar nicht durchsetzen.

Deswegen sagen ja auch viele, die Zweistaatenlösung sei tot. Ich finde das falsch, weil es sehr gute Ideen von israelischen und palästinensischen Friedensaktivist*innen gibt, die sagen: Wir brauchen eben nicht zwei Staaten mit einem hohen Zaun dazwischen, sondern wir brauchen zwei Staaten, die durchlässig füreinander sind. So wie das in Europa ja völlig normal ist, diese Durchlässigkeit der Grenzen. Dafür gibt es verschiedene Modelle, aber der Kern des Ganzen ist, das Land wird von beiden einvernehmlich genutzt. Da sagen mir alle Friedensaktivist*innen in Israel, das könne nur aus Europa kommen.

Derzeit wird hierzulande ja auch versucht, wieder offensiver deutsche Interessen zu formulieren und das zu verbinden mit einem Führungsanspruch. Ist das nicht auch Teil eines Kurswechsels?

Ja, vielleicht. Man darf jetzt also in Anbetracht der russischen Aggression plötzlich wieder über militärische Stärke reden. Das war jahrzehntelang verpönt in Deutschland – was ja gut und auch Teil unseres Erfolges als antimilitaristische Linke war. Aber die Mehrheit der Deutschen ist heute dafür offen, weil der große Aggressor gerade vor der Tür steht. Das heißt, für eine EU- und Landesverteidigung brauchst du auch Militär. Das ist mein Ausgangspunkt. Und daraus folgt die Frage: Was also brauchst du für die EU- und Landesverteidigung? Und dann muss man sagen: Viel weniger, als man denkt, wenn man die Ausgaben konsequent an dieser Aufgabe ausrichtet. Bei den riesigen Summen, über die gerade geredet wird, geht es nicht nur um EU- und Landesverteidigung, sondern auch um diese Weltmacht-Europa-Projektion. Ohne das glaube ich, dass wir mit dem jetzigen Militärhaushalt hinkommen für eine reine EU- und Landesverteidigung.

Jetzt mal angenommen, du wärest Außenminister oder sogar Bundeskanzler. Was wäre dann deine Vision für eine eigenständige deutsche Außenpolitik?

Meine Vision ist eine Friedensmacht Deutschland. Und darin steckt schon auch das Wort Macht. Das mag jetzt viele Linke verschrecken, aber völlig egal, wie du das findest: Deutschland ist eine Macht – schon allein als eine der größten Wirtschaftsmächte der Welt. Irgendwie hast du Einfluss überall auf der Welt. Und ich würde diese Macht nutzen für den friedlichen Weg. Und falls wir dann in drei Jahren mitregieren, um zum Anfang zurückzukommen, dann würde ein linker Außenminister auch die entsprechenden Formate voranbringen, etwa eine internationale, sehr hochkarätige Friedenskonferenz einsetzen.

Funktioniert der Verzicht auf Profite – wenn man zum Beispiel sagt, wir handeln nur noch mit Staaten, die wir moralisch okay finden – innerhalb einer kapitalistischen Ordnung?

Nur mit Staaten, die wir moralisch okay finden – kannst du dann überhaupt noch mit dir selber Handel treiben? Also genau darum geht es nicht, sondern darum, dass du bestimmte extreme Ungerechtigkeiten wahrnimmst. Das Lieferkettengesetz beispielsweise war ja ein guter Anfang. Ich würde sagen, wir müssen mal eine globale Debatte darüber anstoßen, dass überall Mindestlohn gezahlt wird. Mindestlohn wie in der EU, also immer 60 Prozent vom Medianlohn, das kann man ja berechnen. Und Deutschland erhebt dann Sonderzölle auf Länder, die nicht den Mindestlohn zahlen. Das musst du auch gegen harte Wirtschaftsinteressen durchsetzen, aber ich halte es für möglich. Oder nehmen wir Lula, Brasiliens linken Präsidenten, der jetzt mit einer globalen Vermögensteuer kommt. Natürlich ist die viel zu niedrig, aber dass jetzt überhaupt eine Debatte darüber stattfindet, ist gut.

Das wäre im Prinzip ein durch Ethik eingeschränkter Kapitalismus.

Das Ziel der Abschaffung des Kapitalismus bleibt. Aber selbst wenn wir als Linke den Kanzler stellen, werden wir nicht morgen den Kapitalismus abgeschafft haben. Doch es gibt ja viele Möglichkeiten, wie man eine Trendwende einleiten kann, hin zu einer anderen Art des Wirtschaftens, die nicht mehr so kapitalistisch dominiert ist: internationale Standards stärken, die Macht der Vermögenden zurückdrängen. Aber zu glauben, du kannst es in vier Jahren global abschließen, halte ich für illusorisch. Da geht es erst mal darum, von gewaltvollen zu friedlichen internationalen Beziehungen zu kommen.

Stark gekürzte und leicht bearbeitete Fassung des Interviews aus der ersten Folge von »Weltunordnung«, dem neuen, von Pauline Jäckels und Felix Jaitner moderierten Podcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Internationaler Politik.

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