Kirchenasyl-Streit zwischen Hamburg und Berlin schwelt weiter

Hamburgs Bürgermeister Tschentscher fordert von Berliner Landesregierung »Herausgabe« von Afghanen

  • Christopher von Savigny
  • Lesedauer: 4 Min.
Musterschüler in Sachen »Rückführungsoffensive«: Peter Tschentscher
Musterschüler in Sachen »Rückführungsoffensive«: Peter Tschentscher

In den Streit um drei in einer Berliner Kirchengemeinde untergekommenen Afghanen zwischen Hamburgs und Berlins Regierungschef hat sich die Linksfraktion der Hamburgischen Bürgerschaft eingemischt. »Peter Tschentscher gießt Öl in das Feuer, in dem AfD und Co. das Asylrecht und die Menschlichkeit verbrennen wollen«, sagte Fraktionschefin Heike Sudmann in einem Instagram-Video. »Der Hamburger Bürgermeister dient nicht dem Rechtsstaat, sondern den Rechten.« Die Linke-Politikerin mahnte, den Betroffenen drohe bei einer Abschiebung in ihr Heimatland der Tod, da sie zum Christentum konvertiert seien.

Hintergrund: Im vergangenen Jahr war eine Gruppe afghanischer Männer zwischen 30 und 54 Jahren aus ihrer Heimat nach Schweden geflüchtet und hatte dort um Asyl angefragt. Im Frühjahr 2025 reisten die Männer laut Berichten zunächst nach Hamburg weiter, um schließlich vor wenigen Tagen bei einer Berliner Gemeinde um Kirchenasyl zu bitten – das ihnen zum Ärger des Hamburger Bürgermeisters Peter Tschentscher (SPD) auch gewährt wurde.

Denn aus Hamburg sollten die Männer nach Schweden zurückgebracht werden, da laut dem Dublin-Abkommen der EU jeweils der Staat für die Bearbeitung von Asylanträgen zuständig ist, in dem Geflüchtete zuerst das Territorium der Staatengemeinschaft betreten haben.

Dem Amtshilfeersuchen der Hamburger Innenbehörde, die drei Afghanen aus dem Kirchenasyl herauszuholen, kam die Berliner Polizei indes bislang nicht nach. Die Hamburger Polizei wollte zwischenzeitlich selbst eine Einsatztruppe nach Berlin schicken. Davon sah die Innenbehörde der Hansestadt schließlich ab.

»Peter Tschentscher gießt Öl in das Feuer, in dem AfD und Co. das Asylrecht und die Menschlichkeit verbrennen wollen.«

Heike Sudmann  
Ko-Vorsitzende der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft

In einem in der Wortwahl offenbar ungewöhnlich scharfen Brief an Berlins Bürgermeister Kai Wegner (CDU) empörte sich Tschentscher laut Medienberichten über einen »systematischen Missbrauch von Kirchenasyl«, indem »Menschen in Kirchenräume aufgenommen werden, deren Bleiberecht nach den Regeln des Kirchenasyls bereits überprüft und deren Rückkehrpflicht in einen anderen EU-Mitgliedsstaat rechtskräftig festgestellt wurde«. Das »Zusammenwirken« von Kirchengemeinden und Berliner Polizei verhindere den »Vollzug von Recht und Gesetz«. Die Vereitelung der Abschiebung durch Berliner Behörden sei ein »schwerer Schlag gegen den Rechtsstaat« und »nicht hinnehmbar«.

Wie »Spiegel Online« am Montag berichtete, kritisierte der Berliner Regierungschef in seinem Antwortschreiben die »Tonlage« Tschentschers deutlich – und betonte, in der Hauptstadt gelte die politische Weisung, »das Kirchenasyl zu achten«.

Die Hamburger Innenbehörde erklärte am Mittwoch gegenüber »nd«, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) habe das von der Kirchengemeinde eingereichte Härtefallersuchen »intensiv« geprüft und ablehnend beschieden. Das Kirchenasyl sei aber trotz einer zwischen dem Bamf und den großen Kirchen 2015 getroffenen Vereinbarung und schriftlicher Aufforderung durch das Hamburger Amt für Migration im Mai nicht beendet worden. Vielmehr habe die Gemeinde – die allerdings eine unabhängige ist – mitgeteilt, sie werde es fortführen. »Die Anwendung europäischen Rechts wird damit verhindert«, sagte Behördensprecher Daniel Schaefer dem »nd«. Hervorzuheben sei auch, dass zwei der drei Personen bereits eine Abschiebung hinter sich gehabt hätten und sich somit illegal in Deutschland aufhielten.

»Nach den uns vorliegenden Informationen droht derzeit nur verurteilten Straftätern eine Rückführung aus Schweden nach Afghanistan.«

Daniel Schaefer Sprecher der Hamburger Innenbehörde

Das Kirchenasyl ist ein vom Staat geduldetes Sonderprivileg, mit dem Gemeinden Menschen zeitweilig vor Abschiebungen bewahren können. Ziel ist es, eine neue Prüfung des Falls durch die Ausländerbehörden zu erreichen und Zeit für die Ausschöpfung rechtlicher Mittel zu gewinnen.

Nach Auskunft der Hamburger Innenbehörde zählte das dortige Amt für Migration im Jahr 2024 insgesamt 111 Mitteilungen über Kirchenasyl. Es habe sich durchgehend um sogenannte Dublin-Fälle gehandelt. Die betroffenen Personen hätten, so Behördensprecher Schaefer, keine Rückführung in das Herkunftsland zu befürchten, sondern lediglich eine in den zuständigen EU-Mitgliedsstaat.

»Nach den uns vorliegenden Informationen droht derzeit nur verurteilten Straftätern eine Rückführung aus Schweden nach Afghanistan«, erläuterte der Sprecher gegenüber »nd«. Die Männer im Berliner Kirchenasyl seien jedoch nicht straffällig geworden. »Nebenbei bemerkt hat Deutschland in letzter Zeit deutlich mehr verurteilte Straftäter nach Afghanistan abgeschoben als Schweden«, bemerkte Schaefer. Zuletzt sei dies im Juli der Fall gewesen.

Seit dem vergangenen Jahr brechen Behörden in mehreren Bundesländern wiederholt das zuvor von ihnen respektierte Kirchenasyl und holen Menschen gewaltsam aus Gemeinderäumen, auch in Hamburg. Zugleich ist die Zahl derer, die bei Pfarreien Schutz suchen, stark angestiegen, weil immer mehr Menschen die Abschiebung fürchten müssen.

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