- Politik
- Gefängnisskandal in Bayern
Neue Foltervorwürfe gegen Justizbeamte
Gegen 18 Bedienstete der Justizvollzugsanstalt Gablingen wird seit Monaten ermittelt. Jetzt berichten weitere Gefangene von erlittener Gewalt
Im vergangenen Herbst war bekannt geworden, dass eine Gefängnisärztin bereits im Oktober 2023 einen Brandbrief ans bayerische Justizministerium geschrieben hatte. Ihre Anzeige von Missständen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Gablingen nahe Augsburg war immerhin an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden. Dagegen waren zahlreiche Beschwerden von Häftlingen, eine davon ging schon Monate vor dem Brandbrief ein, im Ministerium »versandet«.
Die Medizinerin hatte über wochenlange Isolationshaft von Häftlingen berichtet, die dabei nur mit einer Papierunterhose bekleidet waren und auf einer Betonliege ohne Decke schlafen mussten. Nach Einschätzung der Medizinerin wurden die Betroffenen ohne triftige Gründe in »besonders gesicherte Hafträume« (bgH) gesteckt – so der Fachterminus. In solche Zellen dürfen Gefangene höchstens kurzzeitig gebracht werden, wenn sie sich selbst oder andere akut gefährden.
Am Donnerstagabend berichtete das ARD-Magazin »Kontraste« nun über weitere Vorfälle. Inhaftierte, mit den Journalisten sprachen, erheben schwere Vorwürfe gegen Mitarbeiter der JVA Gablingen. Laut dem Magazinbericht fand in einem anderen Gefängnis, dem Gefängnis für junge Strafgefangene in Neuburg-Herrenwörth, am 23. Oktober 2024 eine Drogenrazzia statt. Dafür hatte deren Leitung die sogenannte Sicherungsgruppe (SIG) der 50 Kilometer entfernten JVA Gablingen angefordert. Es handelt sich dabei um eine speziell geschulte Einheit.
Ein junger Gefangener – bei dem sich im Nachhinein der Verdacht des Drogenbesitzes als haltlos erwies – berichtete gegenüber »Kontraste«, er sei von zwei schwarz gekleideten SIG-Beamten in den Nebenraum der Turnhalle gebracht worden. Er habe sich ausziehen müssen, danach sei er unter Gewaltandrohung aufgefordert worden, seinen »Stoff« herauszugeben. Er berichtet von Schlägen gegen Kehlkopf und Gesicht sowie von Würgegriffen durch die Beamten.
Ähnliches berichtete ein weiterer junger Häftling. Obwohl ihm die Beamten die Hände über den Kopf gedrückt hätten, hätten sie von ihm verlangt, seine Hände auf den Rücken zu nehmen. Als er der Aufforderung nicht nachkommen konnte, habe einer der Beamten erklärt, der Gefangene widersetze sich, und ihm mit der Faust in die Rippen geschlagen.
Für den Kriminologen Thomas Feltes stellen die Vorgänge, sollten sie so abgelaufen sein, »die Paradesituation einer Folter« dar. Es sei »indiskutabel«, »durch Gewalt oder durch Zufügung von Schmerz irgendwelche Aussagen quasi zu erpressen«.
Dafür, dass die Aussagen der Gefangenen richtig sind, spricht, dass der Leiter der JVA Neuburg-Herrenwörth sofort das bayerische Justizministerium kontaktierte und mitteilte, es bestehe der Verdacht, dass die Gablinger SIG-Beamten vier seiner Häftlinge verletzt hätten. Das Ministerium informierte die Augsburger Staatsanwaltschaft und später den Justizausschuss darüber.
Ein in Gablingen selbst inhaftierter Gefangener, Gunter E., schilderte gegenüber den ARD-Journalisten ebenfalls massive Gewalterfahrungen. Er berichtete, er habe mit zwei Beamten diskutiert und dabei die Zellentür offen gehalten. Einer der beiden Beamten habe ihm daraufhin »einen unerwarteten Hieb auf die Stirn« versetzt und ihn danach »gezielt und völlig enthemmt« verprügelt. Mit Schlägen auf Kopf, Hals und Oberkörper. Anschließend habe man ihn sofort in einen der besonders gesicherten Hafträume gesperrt. Dort klagte E. über Schmerzen, wie aus einem internen Protokoll hervorgeht. Fotos zeigen Blutergüsse auf seinem Körper, Röntgenbilder belegen einen zweifachen Rippenbruch. Ein HNO-Arzt vermerkte Einblutungen der Stimmlippen, eine häufige Folge von Schlägen gegen den Kehlkopf.
Doch ermittelt wurde gegen das Opfer. Das Amtsgericht Augsburg verurteilte Gunter E. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Laut Urteil soll er einem Gablinger Beamten ins Gesicht geschlagen haben. Bei seiner Fixierung habe er »massiven Widerstand geleistet«. Nach Einschätzung des Experten Feltes stützen die dokumentierten Verletzungen eher die Version des Häftlings. Seiner Ansicht nach hätte E. sofort in ein Krankenhaus gebracht werden müssen. Ihn mit seinen Verletzungen in einen bgH zu sperren, »hätte unter Umständen tödliche Folgen haben können«, so Feltes gegenüber »Kontraste«.
Nach Angaben des bayerischen Justizministeriums hat die Staatsanwaltschaft Augsburg inzwischen »einige eingestellte Ermittlungsverfahren« gegen Justizbedienstete wieder aufgenommen. Gunter E. hatte nach dem Vorfall die damalige stellvertretende Leiterin der JVA Gablingen informiert. Sie ist mittlerweile wie die frühere Chefin der JVA, Zoraida Maldonado de Landauer, vom Dienst suspendiert. Ihr Anwalt teilte mit, seine Mandantin habe sich »pflichtgemäß« um Aufklärung und Weiterbehandlung des Sachverhalts durch die zuständigen Instanzen gekümmert.
Die damalige stellvertretende Leiterin der JVA Gablingen war auch bei der Razzia in der JVA Jugendgefängnis Neuburg-Herrenwörth im Oktober anwesend. Ihre Rolle bei den mutmaßlichen Misshandlungen von Häftlingen sei Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, erklärte das Justizministerium. Der Anwalt der Ex-Vizeleiterin wies Darstellungen eines Gefangenen zurück, seine Mandantin habe während der Übergriffe in der Nähe gestanden.
Die JVA Gablingen äußert sich bislang nicht zu den neuen Vorwürfen. Wegen der bisher bekannten Vorwürfe ermittelt die Staatsanwaltschaft Augsburg mittlerweile gegen mindestens 18 Bedienstete der Anstalt, darunter die frühere Leitung.
Der Leiter des Strafvollzugs im bayerischen Justizministerium wurde unterdessen zum 1. August auf einen anderen Posten innerhalb des Ministeriums versetzt, wie die »Augsburger Allgemeine« Anfang der Woche berichtete. Er war in die Kritik geraten, weil er vergangenes Jahr die Vertreter der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter in einem Brief aufgefordert hatte, »zukünftig von unangekündigten Besuchen« in bayerischen Haftanstalten »abzusehen«. Ein unangekündigter Besuch einer Delegation der Kommission in Gablingen zweieinhalb Wochen vor dem Schreiben aus dem Ministerium hatte dazu beigetragen, dass die Missstände dort öffentlich wurden.
Die Vertreter der Kommission antworteten auf den Brief, man lehne das Ansinnen »entschieden ab«; die Aufforderung sei »mehr als irritierend«. Das Justizministerium erklärte dazu, die »individuelle Äußerung« des Leiters der Vollzugsabteilung entspreche nicht der Haltung von Justizminister Georg Eisenreich (CSU). Die Abteilung des versetzten Beamten wird auch dafür verantwortlich gemacht, dass die Beschwerden von Inhaftierten nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurden, so der Bayerische Rundfunk.
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