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Sudanesen in Kenia: Deutschland bricht Versprechen

Nach plötzlich abgesagtem Flug nach Deutschland: Petition fordert Einhaltung der Verpflichtungen aus EU-Resettlement-Programm

Sudanesische Geflüchtete im Südsudan – insgesamt hat der anhaltende Krieg im Sudan 14 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. 183 von ihnen wurde nun die zugesagte Aufnahme in Deutschland bis auf Weiteres verweigert.
Sudanesische Geflüchtete im Südsudan – insgesamt hat der anhaltende Krieg im Sudan 14 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. 183 von ihnen wurde nun die zugesagte Aufnahme in Deutschland bis auf Weiteres verweigert.

Es war nur eine unscheinbare Meldung in wenigen Medien am 5. Mai, einen Tag vor dem Amtsantritt der neuen Bundesregierung: Ein Charterflug für sudanesische Bürgerkriegsflüchtlinge von Kenia nach Deutschland sei kurzfristig abgesagt worden. Die Entscheidung dafür wurde demnach nach einem Gespräch zwischen der geschäftsführenden Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und ihrem designierten Nachfolger Alexander Dobrindt (CSU) getroffen.

Die Aufnahme dieser 183 besonders schutzbedürftigen Menschen durch die Bundesrepublik wäre Teil des sogenannten EU-Resettlement-Programms gewesen. Für dieses schlägt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR der EU besonders schutzbedürftige Personen vor, die weder im Herkunfts- noch im Erstzufluchtsland eine Perspektive haben oder besonderen Gefahren von Gewalt ausgesetzt sind und deshalb dringend eine »Umsiedlung« (so die Übersetzung von Resettlement) in einem sicheren Drittstaat brauchen.

Seit 2012 hatte sich Deutschland jährlich zur Aufnahme von bis zu 6500 Menschen über dieses Programm verpflichtet, diese Zahl aber meist unterschritten. Deutsche Behördenvertreter prüfen vor Ort jeden vom UNHCR vorgeschlagenen Einzelfall durch Interviews und Sicherheitschecks im Aufenthaltsland der Anwärter. Ein langwieriges Verfahren, an dessen Ende die Erteilung eines Visums und die Organisation der Einreise, Aufnahme und Integration steht, woran verschiedene Kooperationspartner in den Bundesländern mitwirken. Über das Programm Eingereiste müssen keinen Asylantrag stellen. Sie bekommen einen Aufenthaltstitel für drei Jahre. Im Anschluss erhalten sie die Möglichkeit auf eine dauerhafte Niederlassung – bei »erfolgreicher Integration«.

Bereits am 8. April hatte Faeser bekanntgegeben, alle Aufnahmeprogramme seien ausgesetzt, darunter auch das Resettlement-Programm. Das geschehe wegen der laufenden Koalitionsgespräche ihrer Partei mit CDU und CSU, erklärte sie. Für die Jahre 2024 und 2025 hatte die Ampel-Regierung noch einmal die Aufnahme von insgesamt 13 100 Personen über das Resettlement-Programm zugesagt, von denen im vergangenen Jahr und bis März/April dieses Jahres noch rund 5200 einreisen konnten.

Das UNHCR schätzt, dass rund zehn Prozent der 29 Millionen Geflüchteten unter seiner Obhut dringend umgesiedelt werden müssen, also knapp drei Millionen. Als besonders schutzbedürftig gelten etwa verwitwete Mütter kleiner Kinder, Minderjährige, Folteropfer oder Menschen mit Behinderungen oder dringendem medizinischen Behandlungsbedarf. Die USA, bislang größtes Aufnahmeland, haben die Zusagen im Rahmen der humanitären Neuansliedlung unter Donald Trump bereits gecancelt.

Dafür, dass der Flug aus Nairobi nachgeholt wird und dass Deutschland seine Verpflichtungen aus dem Resettlement-Programm erfüllt, haben unterdessen ehrenamtliche Helfer*innen eine Petition gestartet. Bis zum Sonntag hatten mehr als 81 500 Menschen die Eingabe unterzeichnet. Sie kommen aus dem Umfeld der großen Kirchen, die zu den Partnern des vom Bundesinnenministerium koordinierten Programms Nest (Neustart im Team) gehören. Sie hätten einige der Passagiere des abgesagten Fluges betreuen sollen, worauf sie sich bereits vorbereitet hatten. Die am Nest-Programm Beteiligten kümmern sich um Erstaufnahme und Unterstützung von Menschen aus dem Resettlement-Programm.

Einige der Sudanesen befanden sich laut der Petition zum Zeitpunkt der Absage des Charterfluges bereits im Transitbereich des Airports Nairobi. Sie mussten von dort anschließend in das UN-Flüchtlingscamp nahe der Grenze zum Südsudan 780 Kilometer nördlich der kenianischen Hauptstadt zurückkehren.

Ob der Flug nachgeholt wird, dazu gibt es von Seiten der Bundesregierung bislang keine Aussage. Eine nd-Anfrage dazu und zum Resettlement-Programm beim Bundesinnenministerium (BMI) wurde bislang nicht beantwortet. Auf eine mündliche Anfrage der Linke-Abgeordneten Clara Bünger zu dem Fall am 14. Mai im Bundestag hin verwies Christoph de Vries, Parlamentarischer Staatssekretär im BMI, lediglich auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD, dem zufolge alle »freiwilligen Aufnahmen so weit wie möglich« beendet werden sollen. Derzeit prüfe die Bundesregierung, wie dies konkret umzusetzen sei. »Dies betrifft auch den abgesagten Flug aus Kenia«, so de Vries.

Faktisch unterscheidet sich das Agieren der aktuellen Regierung indes nur graduell von dem der Ampel-Koalition in deren letztem Jahr. Bereits im Juli 2024 hatte Faeser angekündigt, die Mittel im Haushalt des BMI für Aufnahme- und Resettlement-Programme 2025 um fast 90 Prozent zu kürzen. Dies war damit also Konsens zwischen dem damals FDP-geführten Finanzministerium und der SPD, wenngleich es aus letzterer Widerspruch gab.

Unter das Resettlement-Programm fielen bislang auch die wenigen humanitären Aufnahmen syrischer Geflüchteter aus der Türkei im Rahmen des EU-Türkei-Deals von 2016. Das humanitäre Aufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan, das ebenfalls beendet werden soll, ist hingegen ein nationales. Eigentlich sollten darüber seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor vier Jahren bis zu 1000 Menschen pro Monat einreisen können, insgesamt sollten es laut BMI rund 38 100 sein. Bislang gab es aber mit Stand Oktober 2024 nur Aufnahmezusagen für gut 3000 Personen, von denen bis Februar 1262 tatsächlich eingereist waren. Ende März konnten noch einmal 174 Afghan*innen mit einer aus Pakistans Hauptstadt Islamabad kommenden Maschine einreisen.

Bemerkenswert an der Aussetzung des Resettlement-Programms: Sowohl die Ampel- als auch die jetzige Regierung argumentierten stets, man wolle illegale Migration begrenzen, aber im Rahmen humanitärer Kontingente besonders schutzbedürftigen Menschen Zuflucht geben. Die Zahl derer, die über das Programm nach Deutschland kamen, war gemessen am Problem stets verschwindend gering. Weltweit sind laut einem UNHCR-Bericht vom Juni derzeit 122 Millionen Menschen auf der Flucht. Allein 14 Millionen von ihnen sind Sudanesen.

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