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UN-Plastikabkommen: Mehr als ein Abfallproblem
Beim geplanten UN-Plastikabkommen soll der gesamte Lebenszyklus von Kunststoffen reguliert werden
Alle guten Dinge sind sechs? Fünf Verhandlungsrunden über ein UN-Plastikabkommen blieben bislang ergebnislos – ein an diesem Dienstag startender neuerlicher Marathon soll es nun richten. Das hofft man zumindest beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen, unter dessen Dach das zwischenstaatliche Verhandlungskomitee (INC) in den kommenden neun Tagen erneut berät.
Im März 2022 war auf UN-Ebene beschlossen worden, einen international gültigen und verbindlichen Rahmen zu schaffen, damit möglichst viele Länder beim einheitlich handeln, um die rapide zunehmende weltweite Plastikverschmutzung zu reduzieren. Die fünfte Runde im südkoreanischen Busan verlief im Frühjahr enttäuschend. Wissenschaftler, NGOs und Vertreter indigener Völker waren letztlich froh, dass es zu keinem Abschluss kam, da dieser viel zu schwach ausgefallen wäre. Der Vorschlag, einfach ohne die Bremserstaaten ein Abkommen zu schließen, war zuvor nicht durchgekommen. Die Verhandlungsleitung hielt an der »Konsenskultur« fest. Und so blieb das einzige handfeste Ergebnis, dass sich die Teilnehmer aus rund 170 Staaten auf eine Fortsetzung der Verhandlungen einigten, die nun im UN-Palais in Genf stattfinden wird. Offiziell ist es daher nicht die sechste Runde, sondern fungiert als INC-5.2.
Bisher gibt es trotz jahrelanger Beratungen nicht einmal eine Einigung darauf, was das Abkommen überhaupt umfassen soll. Ursprünglich war davon die Rede, den »vollen Lebenszyklus« von Kunststoffen abzudecken. Es gehe dabei um »die verringerte Nutzung und Freisetzung, weniger schädliche Chemikalien in Plastik und effektivere Recyclingmethoden, um eine Kreislaufwirtschaft für Plastik zu ermöglichen«, erläutert die Ökotoxikologin Dana Kühnel vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig.
Hingegen möchte die Plastiklobby aus Erdöl- und Chemiekonzernen alle Anstrengungen auf ein besseres Abfallmanagement beschränken. In derem Sinn blockieren Ölländer wie Saudi-Arabien, Russland und Iran weitergehende Regulierungen. Dagegen haben sich mittlerweile mehr als 100 Staaten in einer »High Ambition Coalition to end plastic pollution« unter Führung von Norwegen und Ruanda zusammengeschlossen, darunter die EU-Länder und die pazifischen Inselstaaten. Die Koalition setzt sich für weitergehende Maßnahmen ein, zum Beispiel »die Primärproduktion von Plastik zu regulieren, Einwegprodukte zu reduzieren, die Verwendung von plastik-assoziierten Chemikalien zu kontrollieren oder diese durch andere Stoffe zu ersetzen, die weniger schädlich sind«, wie es beim UFZ heißt. Die USA hatten sich lange hin- und herbewegt, unter Donald Trump positioniert sich Washington nun klar gegen strenge Beschränkungen.
Zweite zentrale Streitfrage ist wieder einmal das Geld. Der globale Süden und indigene Bevölkerungsgruppen nutzen Plastik unterproportional, sind aber überproportional von den Folgen betroffen. Daher fordern sie eine finanzielle Unterstützung von den Verursacherstaaten bei Kosten, die bei der Beseitigung von Plastik aus der Umwelt anfallen.
In der Fachwelt ist klar: Ohne Produktionsbeschränkungen lässt sich das Problem nicht in den Griff kriegen. Das liegt zum einen an den schieren Mengen: Laut UNEP-Angaben hat die Menschheit allein im Jahr 2024 über 500 Millionen Tonnen Plastik verbraucht, wobei 400 Millionen Tonnen zu Plastikmüll wurden. Zudem könnte sich ohne Gegenmaßnahmen der weltweite Plastikmüll bis 2060 fast verdreifachen.
Zum anderen ist Plastik, insbesondere wenn es auf den Meeresboden abgesunken ist, extrem langlebig und lässt sich kaum recyceln. Forscherin Kühnel verweist auf die große Materialvielfalt, weil die Industrie Plastik aus verschiedenen Ausgangsstoffen wie etwa Polymere als Grundmaterial und funktionale Additive wie Weichmacher und UV-Stabilisatoren herstellt. Mehr als 16 000 Chemikalien würden in Kunststoffen verwendet, rund ein Viertel davon sei gefährlich für Mensch und Umwelt. Und so werden global nur neun Prozent des Plastiks wiederverwertet. Das Gros wandert in die Müllverbrennung oder auf Müllkippen, knapp fünf Prozent landen in Gewässern und werden über den ganzen Globus verteilt, selbst auf alpinen Gletschern, in der Tiefsee und auch in entfernten Inselstaaten angeschwemmt.
Zudem gefährdet die Plastikproduktion den Schutz der Biodiversität und die Klimaziele. Diese Industrie verursacht rund fünf Prozent der globalen CO2-Emissionen. Diese lassen sich kaum verhindern, denn 90 Prozent davon entfallen schon auf die Produktion des Grundstoffs. Erst wenn die Menge an neuem Plastik sinkt, können daher auch die Emissionen sinken.
Die UFZ-Forscherinnen gehen angesichts der komplexen Problemstellung davon aus, dass erst dann echte Bewegung in die Verhandlungen kommen kann, wenn die »sektorenübergreifende Zusammenarbeit« von Wissenschaft, Behörden, Industrie und Zivilgesellschaft vorangetrieben wird. Das war bei der Runde in Busan nicht der Fall: Insbesondere Vertreter von NGOs beschwerten sich hinterher lautstark über mangelnde Transparenz bei den Verhandlungen. Unabhängige Wissenschaftler, indigene Gruppen und zivilgesellschaftliche Initiativen seien »aktiv von einem Großteil der Verfahren ausgeschlossen worden«, kritisierte etwa die Aotearoa Plastic Pollution Alliance aus Neuseeland. Viele Rechteinhaber, Interessengruppen und Beobachter seien nicht zu den geschlossenen Sitzungen zugelassen worden, in denen Beratungen stattfanden. Das dürfe sich bei INC-5.2 nicht wiederholen. In Genf wird man sehen, ob die Verhandlungsleitung daraus gelernt hat.
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