EuGH-Urteil: Harter Schlag für Giorgia Meloni

Italiens Regierung reagiert erbost auf Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Albanien-Modell

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.
Januar 2025: Italien verfrachtet Geflüchtete illegal nach Shengin in Albanien.
Januar 2025: Italien verfrachtet Geflüchtete illegal nach Shengin in Albanien.

Nun hat die rechtsextreme Regierung von Giorgia Meloni einen vermeintlichen Feind mehr. Jetzt trachten ihr sinnbildlich nicht nur die italienischen Richter nach dem Leben, sondern auch die europäische Justiz. So liest man es zumindest in mehreren Stellungnahmen von Regierungsseite, nachdem entschieden wurde, dass die Festlegung »sichererer Herkunftsländer« nicht Sache der Exekutive, sondern der Judikative ist. Und gerade das Gegenteil ist einer der Grundpfeiler der gesamten »Operation Albanien«.

Am 6. November 2023 hatte die Regierung ihren Plan verabschiedet, von nun an Asylsuchende aus ebendiesen »sicheren« Herkunftsländern nicht nach Italien, sondern in ein Auffanglager in Albanien zu bringen. Hier sollte ein »beschleunigtes Asylverfahren« stattfinden, um die Migranten dann in ihre Heimatländer auszuweisen. Drei Monate später wurde aus dem Plan ein Gesetz, das vom Parlament verabschiedet wurde. Dann wurden diese »Überseegefängnisse« in Windeseile aus dem Boden gestampft. Offiziell hieß es, Italien werde sich von nun an »noch stärker für eine EU-Mitgliedschaft« des kleinen Balkanstaates einsetzen. Bisher soll Italien die ganze Operation fast eine Milliarde Euro gekostet haben.

Keine sicheren Herkunftsländer

Doch dann, als man die ersten sechs Migranten in das Lager gebracht und offiziell ausgewiesen hatte, meldete sich die italienische Justiz zu Wort: Ägypten und Bangladesch – von dort kamen die Migranten – seien keine »sicheren Herkunftsländer«, und also könne man niemanden gegen seinen Willen dorthin zurückbringen. Das Gleiche passierte mit demselben Ergebnis weitere Male, und die Richter baten also den Europäischen Gerichtshof um ein Urteil, das nun am vergangenen Freitag gesprochen wurde. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Meloni-Regierung in der Zwischenzeit eine eigene offizielle Liste der »sicheren Herkunftsländer« erlassen hatte. Die Richter müssen selber nachprüfen können, wie man zu dieser Einschätzung gekommen sei, sagt der EuGH. Die letzte Entscheidung darüber liege bei der Justiz.

Die Reaktionen auf das Urteil kann man wohl als hysterisch bezeichnen. Es ist von »Invasion« durch die EU-Richter die Rede, und der Vize von Frau Meloni und Sekretär der Lega, Matteo Salvini, geht noch weiter: »Das Urteil des EuGH ist eine weitere Ohrfeige für die nationale Souveränität unseres Landes (…) und ein weiterer Beweis nicht nur für die Nutzlosigkeit solcher europäischen Institutionen, sondern auch für ihre Schädlichkeit, für die die italienischen Bürger bezahlen, die ständig gedemütigt werden.« Die Regierung erklärt in einer offiziellen Verlautbarung, dieses Urteil müsse »alle beunruhigen«, da es die »Politik gegen die illegale Massenimmigration und für die Verteidigung der nationalen Grenzen schwächt«.

Vertreter der Justiz und der Opposition sind da ganz anderer Meinung. Elly Schlein, Chefin der Demokratischen Partei, greift in ihrer Erklärung die Regierung frontal an: »Sie muss endlich die Verantwortung dafür übernehmen, dass sie die italienischen und europäischen Gesetze nicht gelesen hat. Mit den inhumanen Zentren in Albanien hat sie eine rechtswidrige Entscheidung getroffen, die die Grundrechte der Migranten und Asylsuchenden mit Füßen tritt.«

Die Judikative bremst die Exekutive

Eleganter und weniger militant ist die Reaktion der Richter. »Die Justiz macht die Gesetze nicht, sondern wendet sie achtsam an«, heißt es in einer Stellungnahme. »In den letzten Monaten haben italienische Richter genau das getan und sind dafür von der Politik immer wieder brutal angegriffen worden, was das Urteil des EuGH jetzt bestätigt. Wir haben die Grundfesten des Rechtsstaates verteidigt.«

Damit ist der Streit zum Thema Einwanderung und Ausweisungszentren in Albanien aber sicher nicht beendet. Stefano Galieni, einer der Verantwortlichen für das Thema Immigration der Europäischen Linken, sagt: »Ich gehe davon aus, dass das Urteil ein harter Schlag für die Regierung ist. Aber auch abgesehen vom EuGH ist die Delokalisierung in Albanien ein Flop.« Nun müsse man erst einmal abwarten, ob, wie und wann die neuen Richtlinien für die Migrationspolitik Europas verabschiedet würden. »In Italien leben derzeit mindestens eine halbe Million ›nicht reguläre‹ Personen. Selbst wenn man jetzt 50 davon ausweisen kann, ist das sicher keine Lösung für den Tatbestand der Migration.« Die sei kein Notstand, »sondern eine Tatsache, die man mit Lösungen angehen muss, die auf dem internationalen Recht und den Menschenrechten fußen«.

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