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Nur sicher ist sicher
EU-Gerichtshof zieht Grenzen für beschleunigte Asylverfahren
In einem sogenannten sicheren Herkunftsland dürfen nicht nur bestimmte Gruppen, sondern die gesamte Bevölkerung muss sicher sein. Dieses Prinzip legte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) seinem am Freitag gefällten Urteil in einem Verfahren im Zusammenhang mit Italiens »Albanien-Modell« für ins Ausland verlagerte schnelle Asylverfahren zugrunde. Die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten ist dafür eine Grundvoraussetzung.
Damit dürfen die Mitgliedstaaten – zumindest bis zum Inkrafttreten einer neuen EU-Asylregelung, die das aufweichen will – einen Drittstaat nicht zum »sicheren« Herkunftsstaat erklären, wenn etwa homosexuelle Menschen dort nicht sicher sind. Zwar können die EU-Länder selbst bestimmen, welche Staaten sie als sicher ansehen. Diese Einschätzung, so legte EuGH nun fest, muss aber durch die Offenlegung der Quellen einer solchen Einschätzung gerichtlich überprüfbar sein.
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In dem Fall, der dem EuGH-Urteil zugrunde liegt, hatten in Italien zwei Menschen aus Bangladesch gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge geklagt. Sie gehörten zu denjenigen Migranten, die nach Albanien in Lager verbracht wurden. Das mit dem Fall befasste italienische Gericht hatte sich an den EuGH gewandt, um zu klären, ob die Liste der sicheren Herkunftsländer der italienischen Regierung mit EU-Recht vereinbar sei. Der Gerichtshof hat dafür jetzt Vorgaben gemacht, die auch für die anderen EU-Länder bindend sind.
Der vor zwei Jahren von der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihrem albanischen Amtskollegen Edi Rama ausgehandelte Migrationsdeal mit dem Adria-Nachbarn ist das Prestigeobjekt der rechtsextremen Regierungskoalition in Rom. Rechtlich stand es von Beginn an auf wackligen Beinen.
Albanien erhielt von Italien viele Millionen Euro für die Errichtung von zwei Auffanglagern, in denen bis zu 3000 irreguläre Migranten untergebracht werden können. Italienische Beamte sollten dort die Asylanträge von männlichen erwachsenen Migranten, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen und auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, in Schnellverfahren prüfen. Faktisch stellen sie Abschiebezentren mit haftähnlichen Bedingungen dar. Die Stellung eines Asylantrags allein rechtfertigt aber keine Inhaftierung. Die linke Opposition gegen die Meloni-Regierung kritisiert die Pläne als »koloniale Deportation« und Untergrabung des Asylrechts.
Wegen Entscheidungen der italienischen Justiz liegt das Albanien-Projekt, in das bereits rund 800 Millionen Euro italienischer Steuern geflossen sind, derzeit auf Eis. Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation ActionAid und der Universität Bari waren die Zentren 2024 effektiv nur an fünf Tagen in Betrieb.
Das Luxemburger Urteil stärkt die Kompetenzen nationaler Gerichte bei der Überprüfung von Asylverfahren. Aus Sicht der italienischen Regierung mische sich der EuGH damit in unzulässiger Weise in die politische Sphäre ein. Das erschwere die »Bekämpfung der illegalen Masseneinwanderung und den Schutz der nationalen Grenzen«, erklärte Ministerpräsidentin Meloni. Die Regierung der Chefin der Fratelli d’Italia will nun nach möglichen technischen und rechtlichen Lösungen suchen, bis in zehn Monaten der neue EU-Migrations- und Asylpakt in Kraft tritt.
Das im Mai 2024 beschlossene Gesetzespaket zur Senkung der Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die in die EU gelangen, hat zum Ziel, die Einreisenden lückenlos biometrisch zu erfassen, Asylverfahren zu beschleunigen und an die Außengrenzen zu verlagern. Es sieht auch schnellere Abschiebungen und strengere Regeln für den Umgang mit sicheren Herkunftsländern vor. Mit Agenturen
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