Bürgergeld wird zur Systemfrage

Die erste Haushaltsdebatte im Bereich Arbeit und Soziales drehte sich um die Finanzierung von Grundsicherung, Rente und Inklusion

Ein Protestierender sprüht »Stoppt Sozialabbau« an eine Scheibe des Jobcenters Wedding in Berlin.
Ein Protestierender sprüht »Stoppt Sozialabbau« an eine Scheibe des Jobcenters Wedding in Berlin.

Zwei Mahnungen gab es in der Haushaltsdebatte zum Etat für Soziales und Arbeit. Eine erhielt ein AfD-Politiker für eine geringschätzende Formulierung, die andere Tamara Mazzi (Die Linke). Ihre Anrede »Frau Präsidentin, werte Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen« widerspreche der Einigung des Bundestags auf »nicht ausschließende Grußformeln«.

Davon, und von so mancher Kritik der Opposition abgesehen, verlief die Debatte überraschend ruhig. Dabei bleibt der Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auch in diesem Jahr der ausgabenstärkste im Bundeshaushalt. Geplant sind Aufwendungen in Höhe von 190,3 Milliarden Euro. Das ist mehr als ein Drittel des Gesamtetats und eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 14,63 Milliarden Euro. Viele Eckpunkte des Sozialetats sind allerdings gesetzlich garantiert und liefern deshalb wenig politischen Verhandlungsspielraum. Der Löwenanteil fließt in die Rentenversicherung und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dafür sieht der Entwurf 134,38 Milliarden Euro vor (2024: 127,3 Milliarden Euro).

Löwenanteil Renten

Damit soll das Rentenniveau bei 48 Prozent gesichert und außerdem die Mütterrente vereinheitlicht werden. Konkret sollen die Erziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder mit drei Rentenpunkten auf dem Rentenkonto berücksichtigt werden. Für Carsten Linnemann (CDU) war dieser Freitag ein »Tag für die Wirtschaft und damit auch eine Punktlandung für den Arbeitsmarkt«. Auch weil die Koalition es mit ihrer Rentenpolitik nun »jenen leichter machen« würde, »die länger arbeiten können und wollen«. Eine Anspielung auf die Flexibilisierung des Arbeitsantritts durch die geplante »Aktivrente«.

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Kritik gab es von Bündnis 90/Die Grünen. So wertete Leon Eckert das Rentenpaket als ambitionslos. »Dass Menschen altern, wussten auch Sozialminister*innen der letzten 30 Jahre«, spielte er auf seiner Meinung nach unzureichende rentenpolitische Eingriffe von CDU/CSU und SPD an. Laut Sara Vollath (Die Linke) ist der Renten-Etat gemessen am Bundeshaushalt gesunken, selbst wenn inzwischen jeder vierte Euro des Budgets in die Rente fließt.

Sie forderte ein Rentensystem, in das alle einzahlen, außerdem eine Erhöhung des Rentenniveaus: »Seien sie einfach mal mutig, heben sie das Rentenniveau auf 53 Prozent.« Bei der Rente handle es sich nicht um einen Generationenkonflikt, sondern um einen Konflikt »zwischen superreichen Freunden« der Politiker*innen und jenen Menschen, »die sich ihr Leben lang kaputt buckeln und dann Pfand sammeln müssen«. Die Arbeitszeiterhöhung in der Rente und Hetze gegen Bürgergeldempfänger*innen gingen als Klassenkampf von oben Hand in Hand, so auch ihre Parteikollegin Mazzi.

Bürgergeld als Systemfrage

Das Bürgergeld blieb Kern der freitäglichen Bundestagsdebatte. Das ist nun mit 29,6 Milliarden Euro eingestellt, 2024 waren es noch 26,5 Milliarden Euro. Für die Eingliederung in Arbeit sehen die Planungen 4,1 Milliarden Euro vor (2024: 4,15 Milliarden Euro). Manche würden »ausgerechnet bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik« den Rotstift ansetzen wollen, kritisierte Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) zu Beginn der Haushaltsdebatte. Das sei, als würde man in die Feuerwehr investieren »und am Ende am Wasser sparen«.

Im gleichen Atemzug machte sie sich einmal mehr für »Maßnahmen gegen Arbeitszeitbetrug« stark. Applaus erhielt sie dafür von CDU/CSU und der AfD. Beim Vorgehen »gegen den Missbrauch« habe Bas die »volle Unterstützung«, so Vertreter*innen der beiden Parteien. Sogenannte Arbeitsverweigerung betrifft nachweislich einen verschwindend geringen Teil der Menschen im Bürgergeldbezug.

»Nur mit gezielten Investitionen in die soziale Infrastruktur, Klimaschutz und eine gerechte Daseinsvorsorge lassen sich wachsende Ungleichheiten wirksam überwinden und das Vertrauen in den Sozialstaat und unsere Demokratie stärken.«

Joachim Rock Paritätischer Wohlfahrtsverband

Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke verwiesen deshalb wiederholt auf eine neue Studie des Vereins Sanktionsfrei und des Umfrageinstituts Verian, laut der jede zweite befragte Person angab, dass in ihrem Haushalt vom Bürgergeld nicht alle satt würden. Insbesondere Eltern verzichten demnach für ihre Kinder auf Essen. »Es muss sich doch keiner mit Stichworten wie mafiösen Strukturen an die Union anbiedern«, verwies Eckert von den Grünen auf die von Bas losgetretene Debatte zu angeblichem Sozialbetrug.

Anstelle einer »Hetzkampagne gegen Bürgergeldempfänger*innen« brauche es eine »sanktionsfreie Mindestsicherung, die zum Leben reicht«, forderte Mazzi von Die Linke. Außerdem müssten Verwaltungslöcher gestopft werden. Auch Sozialverbände wie der VdK forderten vor der Bundestagsdebatte vor allem eine Ausfinanzierung der Jobcenter.

Dem VdK zufolge sind die Ausgaben für die Verwaltung im Budget zu niedrig angesetzt. Die Unterdeckung könnte künftig noch größer ausfallen. Denn auch die Jobcenter sind von Preissteigerungen betroffen, etwa durch höhere Tarifabschlüsse oder gestiegene Heiz- und Energiekosten. Umschichtungen von Geldern für Fördermaßnahmen zum Verwaltungshaushalt führen bisher dazu, dass Programme wie der soziale Arbeitsmarkt reduziert werden. »Diese Entwicklung gefährdet die langfristige Integration von Menschen in den Arbeitsmarkt und verstärkt die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung«, kritisiert der VdK in einer Aussendung.

Leeres Bekenntnis zu Inklusion

Alle Parteien betonten als dritten Punkt die Wichtigkeit inklusiver Maßnahmen wie die Stärkung des Bundesteilhabegesetzes. De facto kürzte die Bundesregierung das Budget dafür aber von 234,03 Millionen Euro auf 135,45 Millionen Euro zusammen. Mit 389,62 Millionen Euro soll darüber hinaus die Inklusion von Menschen mit Behinderungen gefördert werden (2024: 523,7 Millionen Euro).

Vor der Haushaltsbesprechung rief zudem ein breites Bündnis aus Wohlfahrtspflege, Gewerkschaften sowie Umwelt- und Sozialverbänden zu Investitionen in »soziale Sicherheit, ökologischen Fortschritt und gesellschaftlichen Zusammenhalt« auf. Konkret forderte auch das Bündnis unter anderem, die Eingliederung in Arbeit auskömmlich auszugestalten, um nachhaltige Beschäftigungspolitik zu befördern.

»Nur mit gezielten Investitionen in die soziale Infrastruktur, Klimaschutz und eine gerechte Daseinsvorsorge lassen sich wachsende Ungleichheiten wirksam überwinden und das Vertrauen in den Sozialstaat und unsere Demokratie stärken«, so Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in einer Presseaussendung.

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