Drei Häftlinge nach Protesten wegen Suizid verlegt

Nach Tod des 15-jährigen Nelson bleiben Beamte trotz Vorwürfen im Dienst

Zäune und Stacheldraht säumen den Zu- und Ausgang der Justizvollzugsanstalt in Ottweiler.
Zäune und Stacheldraht säumen den Zu- und Ausgang der Justizvollzugsanstalt in Ottweiler.

Nach dem Suizid des 15-jährigen Nelson und darauffolgenden Protesten in der saarländischen Justizvollzugsanstalt Ottweiler sind mittlerweile drei Inhaftierte als Rädelsführer in Gefängnisse der Nachbarbundesländer Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verlegt worden. Das teilte Wiebke Zimdars, Richterin am Oberlandesgericht, mit. Bei dem Protest am 2. August hatten sich 17 Gefangene nach einer »Freistunde« geweigert, in ihre Hafträume zurückzukehren. Auch anderen drohen Konsequenzen: »Die Mitwirkungsanteile der betroffenen Personen werden ausgewertet und ermittelt«, so Zimdars zu »nd«.

Die Gefangenen warfen Justizbeamt*innen vor, den Schwarzen Jugendlichen vor seinem Tod verletzt zu haben. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken überprüft hierzu in Vorermittlungen gegen zwei Justizbeamte, ob ein Anfangsverdacht »hinsichtlich etwaigen Körperverletzungen zu Lasten des verstorbenen Inhaftierten« vorliegt. Im Fokus steht ein Bediensteter, der unmittelbar vor Nelsons Suizid in dessen Zelle gewesen sein und ihn geschlagen haben soll. Zusätzlich zu den Anzeigen mehrerer Mithäftlinge liegt der Staatsanwaltschaft auch eine Strafanzeige von Nelsons Vater vor.

Disziplinarmaßnahmen gegen die Bediensteten wurden von der Anstaltsleitung aber nicht angeordnet, erklärte die Richterin Zimdars. Die Obduktion von Nelson hat laut der Staatsanwaltschaft keine Hinweise auf Fremdeinwirkung und keine äußeren Verletzungszeichen ergeben. Dennoch kursieren in sozialen Medien Vorwürfe rassistischer Gewalt. Aus diesem Grund ermittelt die Staatsanwaltschaft jetzt auch wegen Bedrohung der beschuldigten Beamten, berichtet der Saarländische Rundfunk. Dabei gehe es um den Verdacht der Beleidigung, Störung des öffentlichen Friedens sowie die Aufforderung und Androhung von Straftaten gegen JVA-Beschäftigte.

Der Jugendliche Nelson war aufgrund eines Sicherungshaftbefehls in der JVA, der beispielsweise ausgestellt wird, wenn eine Bewährung rückgängig gemacht wird. Unbekannt ist aber, weshalb er unter besonders restriktiven Haftbedingungen festgehalten wurde – fünf Wochen lang gesondert und »sicher verwahrt« mit zusätzlicher Videoüberwachung. Die Staatsanwaltschaft hält aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und laufender Ermittlungen weitere Informationen zurück

Der Vorfall war auch Thema einer nicht öffentlichen Sondersitzung im Justizausschuss des saarländischen Landtags. Nach Angaben des CDU-Abgeordneten Christopher Salm war der Jugendliche zunächst gesondert und »sicher verwahrt« untergebracht – auch mit Videoüberwachung. Er sei von Psychologen, Arzt und Sozialdienst engmaschig betreut worden. An dem Tag, an dem seine Verlegung in einen normalen Haftraum beschlossen wurde, habe er sich dort das Leben genommen.

Vergangene Woche reagierte auch die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) mit einer Stellungnahme auf Nelsons Suizid. »Sein Tod ist kein tragischer Einzelfall, sondern Teil eines tödlichen Systems, das von strukturellem Rassismus und institutioneller Verantwortungslosigkeit geprägt ist«, erklärte die Organisation. Die ISD verwies auf ihre mit der Berliner Kampagne gegen Polizeigewalt (KOP) geführte Kampagne »Death in Custody«, die zwischen 1990 und 2022 mindestens 203 Todesfälle rassifizierter Menschen in polizeilichem oder justiziellem Gewahrsam dokumentierte.

Die ISD fordert eine unabhängige, öffentliche und umfassende Untersuchung von Nelsons Tod sowie die sofortige Einführung einer bundesweiten Melde- und Dokumentationspflicht für alle Todesfälle in Gewahrsam. »Von Rassismus betroffene Menschen sind einem besonders hohen Risiko ausgesetzt, in staatlichem Gewahrsam zu sterben«, heißt es in der Stellungnahme.

Eine Spendenaktion unter dem Titel »Gerechtigkeit für Nelson« hat bereits über 26 000 Euro gesammelt. Das Geld soll Anwaltskosten, Beerdigungskosten und ein unabhängiges medizinisches Gutachten finanzieren. Eine Petition, die offenbar von der Mutter einer Mitschülerin von Nelson gestartet wurde, fordert ebenfalls eine unabhängige und lückenlose Aufklärung des Vorfalls sowie die sofortige Suspendierung der beschuldigten Beamten, bis die Vorwürfe vollständig geprüft sind. Die Frau begleitet die Schüler*innen nach eigenen Angaben auch als Trauerbegleiterin und schreibt: »Die Kinder wollen Antworten.«  Mit Agenturen

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