Christen: Gepamperte Minderheit

Christoph Ruf sinniert über den Einfluss christlicher Überzeugungen auf sein Leben als Atheist

Die Spitze des Petersdoms
Die Spitze des Petersdoms

Am vergangenen Sonntag wurde in Deutschland ein »stiller Feiertag« begangen, genauer gesagt der Totensonntag. Sie haben das nicht gemerkt? Dann waren Sie wahrscheinlich am Sonntag nicht im Bochumer Ruhrstadion, um sich das Regionalliga-Spiel zwischen der U23 des dortigen VfL und dem FC Gütersloh anzuschauen. Bochum wurde 1984 vom dort geborenen Herbert Grönemeyer besungen, das Lied wird seit 1992 vor jedem Heimspiel angespielt und ergriffen mitgesungen. Am Sonntag war das anders, der VfL spielt nämlich nicht nur »Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt«, sondern vor allem in Nordrhein-Westfalen. Und dort gelten an stillen Feiertagen wie dem Totensonntag strenge Auflagen.

Ein »Unterhaltungsprogramm«, wozu auch das schnöde Abspielen von Musik zählt, ist an diesem evangelischen Feiertag erst ab 18 Uhr erlaubt. Und genau da wurde das Spiel angepfiffen, selbstredend, ohne dass die Leute vorher »Bochum« gehört hätten. Hat das irgendeinen Sinn, den der Staat strafbewehrt schützen müsste? Ich stelle mir gerade die Fans vor, wie sie noch um 17.59 Uhr mit traurigem Blick ihrer Angehörigen gedenken, um pünktlich um sechse wieder ihrem Job als Fan nachzugehen und den Schiedsrichter zu beleidigen. Vielleicht war’s aber doch anders und die Leute brauchen gar keinen verordneten Rahmen für höchst private Gefühle?

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Schön wäre es indes, wenn der Staat sich öfter gegen den allmächtigen Gott der Neuzeit, euphemistisch »Markt« genannt, durchsetzt. Den Göttern der Vergangenheit muss er hingegen nicht mehr hinterherlaufen. Tut er aber, wofür sich die Kirche in unverbrüchlicher Loyalität bedankt: Keine Minderheit wird staatlicherseits derart gepampert wie die Christen, von denen etwa drei Prozent ihren Glauben praktizieren. Ihnen treiben mit Steuermitteln bezahlte Finanzbeamte gebührenfrei die Steuern ein. Ihnen erlaubt man, dass vielerorts ab frühmorgens alle Viertelstunde die Kirchenglocke lärmt. Und ihnen gewährt man Sitze in den Rundfunkräten, wo das Klerikervolk erstaunlicherweise das öffentlich finanzierte Fernsehprogramm mitgestalten darf. Es dürfte dort oft das Argument bemüht werden, dass diese Handlung oder jene Aussage die religiösen Gefühle der Gläubigen verletze, während es wieder niemanden kümmert, wenn meine atheistischen Gefühle verletzt werden.

Welches Kunstverständnis den Klerikalen zueigen ist, sieht man, wenn man sich mal die Filme anschaut, die die FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) für Karfreitag untersagt hat. Die Liste wird seit 2015 nicht mehr aktualisiert, hat aber noch heute ebenso Gültigkeit wie das Tanzverbot. Über 750 Filme stehen auf dem Index, das grandiose »Leben des Brian«, aber auch diverse dümmliche US-Komödien wie »Police Academy« oder – echt jetzt – »Heidi in den Bergen« von 1975. Letzteres, vermutet ein einschlägig gebildeter Freund, weil der »Alm-Öhi« hin und wieder kirchenskeptische Gedanken äußert, was fraglos eher ein Beweis für die positiven Auswirkungen frischer Bergluft auf den menschlichen Organismus ist. Weiter oben als in den Schweizer Bergen zensiert die Kirche eh rigoros. Wer muss schon »Alien« gucken? Wo doch jeder weiß, dass im Weltall allenfalls die Englein herumfliegen?

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