»Demokratie ist keine Diktatur der Mehrheit«

Rolf Frankenberger, der wissenschaftliche Geschäftsführer des Instituts für Rechtsextremismus (IRex) der Universität Tübingen im Gespräch

  • Interview: Anton Benz
  • Lesedauer: 5 Min.
Das IRex ist ein Frühwarnsystem zur extremen Rechten und auf Dauer angelegt.
Das IRex ist ein Frühwarnsystem zur extremen Rechten und auf Dauer angelegt.

Die Adresse des Instituts für Rechtsextremismus (IRex) ist nicht öffentlich. Eine Vorsichtsmaßnahme?

Ja. Forschende im Bereich Rechtsextremismus werden oft angefeindet, bedroht und teilweise körperlich attackiert. Frauen sind davon besonders betroffen. Wir haben daher eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen wie durchwurfsichere Fenster, abschließbare Flure und ein erweitertes Schutzkonzept.

Das IRex bezeichnet sich als bundesweit einzigartig. Warum?

Viele Forschungsstellen für Rechtsextremismus sind als sogenannte An-Institute oder Forschungszentren nur lose an die Universität angebunden. Unser Institut ist regulär in der Fakultäts- und Universitätsstruktur verankert. Dadurch gilt das Hochschulrecht, und das Ministerium kann uns nicht einfach abschaffen. Wir sehen das als Privileg und Verantwortung, auch andere Strukturen zu unterstützen, die mit weniger Geld ausgestattet sind oder zeitlich befristet arbeiten.

Wie kam es dazu?

Im Landtag gab es infolge des NSU-Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter zwei Untersuchungsausschüsse. Der zweite Ausschuss empfahl unter anderem die Einrichtung einer Dokumentations- und einer Forschungsstelle. Wir gewannen den Wettbewerb unter den Landesuniversitäten mit dem Konzept, ein festes Universitätsinstitut mit drei Professuren zu gründen.

Interview

Rolf Frankenberger ist wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Rechtsextremismus (IRex) der Universität Tübingen. Im Juli fand ein Festakt zur Eröffnung des nach eigenen Angaben bundesweit einzigartigen Instituts statt. Gegründet wurde es im Jahr 2023.

Sie verorten sich in der kritischen Rechtsextremismusforschung. Was bedeutet das?

2001 entwickelten Sozialwissenschaftler die »Konsensdefinition« von Rechtsextremismus, die auch Sicherheitsbehörden nutzen. Wir wollen aber nicht nur diesen klassischen Rechtsextremismus betrachten, sondern generelle Einstellungen wie Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder Klassismus, die sich eben nicht nur im harten rechten Spektrum finden, sondern auch in der gesellschaftlichen Mitte oder sogar in linken Milieus. Ziel ist zu verstehen, wie solche Einstellungen anschlussfähig werden, wie Normalisierungsprozesse ablaufen und wie rechtsextreme Inhalte in nicht-rechtsextreme Gruppen übertragen werden. Wenn man nur den engen Begriff von Rechtsextremismus verwendet, bleiben diese Phänomene unsichtbar.

An was arbeiten Sie gerade?

Eine Besonderheit ist, dass wir sehr eng mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Diese soll nicht nur Adressat von schlauen wissenschaftlichen Reden sein, sondern wir möchten unsere Forschung auch an den Bedürfnissen der Zivilgesellschaft ausrichten. Ein Beispiel ist ein Monitoring für rechtsextreme Aktivitäten in Baden-Württemberg, da geht es hauptsächlich um Dinge wie Aufkleber und Schmierereien. Anders als etwa in Sachsen oder Thüringen, wo so etwas angesichts der schieren Anzahl überhaupt nicht mehr möglich ist, können wir damit eine Art Frühwarnsystem erschaffen, das dokumentiert, wo sich die extreme Rechte in Baden-Württemberg ausbreitet.

Zum Glück ist das Narrativ, Rechtsextremismus sei allein ein Problem des Ostens, inzwischen überholt. Kann die Forschung in Baden-Württemberg etwas aus den Erfahrungen in Ostdeutschland lernen?

Es gibt schon sehr große Unterschiede: In der ostdeutschen Dynamik spielen gebrochene Biografien und die Sozialisation in einer Diktatur, in der der Rechtsextremismus nicht aufgearbeitet wurde, eine wichtige Rolle. Mobilisierungsstrategien hingegen scheinen sehr ähnlich abzulaufen, das ist tatsächlich etwas, was man von Ostdeutschland sehr gut lernen kann.
Man darf nicht vergessen, dass es gerade in Baden-Württemberg und Bayern eine lange Tradition extrem rechter Aktivitäten gibt. In den 60ern war die NPD stark, in den 90ern die Republikaner. Diese Netzwerke bestehen nach wie vor und sie sind mobilisierungsfähig: Wenn die »Richtigen« kommen, dann springen sie auf.

In einem Ihrer Forschungsprojekte beschäftigen Sie sich mit den vergangenen Wahlen in Baden-Württemberg.

Wir haben historische Datensätzem die bis in die 1930er Jahre zurückgehen, ausgewertet, anhand der Wahlergebnisse konnten wir klare Hochburgen erkennen. Wenn man dazu noch Ereignisse wie Gewalttaten und Übergriffe einbezieht, zeigen sich einzelne Regionen, die historisch Ähnlichkeiten mit Gegenden wie dem Erzgebirge aufweisen.
Daran schließt die Frage an: Wie wurden dort Mobilisierungen aufgebaut und wiederholt sich dieses Muster hier? Auffällig ist die Rolle von Jugendorganisationen: Die »Junge Alternative« war wichtig, ebenso die »Identitäre Bewegung«. Inzwischen übernimmt der »III. Weg« Teile dieser Arbeit. Doch auch alte Strukturen – Skinhead-Gruppen und nationalsozialistisch sozialisierte Familienclans – spielen eine Rolle. Hinzu kommt die AfD, die diesen Milieus politische Legitimität verschafft.

Was sagt eigentlich ein Politikwissenschaftler dazu, dass die CDU ständig entgegen der wissenschaftlichen Erkenntnis handelt, dass eine Übernahme von extrem rechten Positionen die extreme Rechte nicht schwächt?

Ich glaube, das hat wenig damit zu tun, dass wir unsere Forschungsergebnisse zu schlecht kommunizieren. Vielmehr steckt dahinter eher ein ungeklärtes politisches Profil der CDU: Will die Partei für einen modernen Konservatismus á la Angela Merkel stehen? Oder soll es in Richtung eines radikalen Konservatismus gehen, den man eher als reaktionär bezeichnen würde?

Man könnte auch entgegnen: Die klarere Abgrenzung der vergangenen Jahre hat die AfD ja auch nicht geschwächt. Was hilft wirklich gegen den Aufstieg der Partei?

Ich glaube nicht an die Entzauberung durch Macht. Was wir brauchen ist eine Debatte darüber, was es bedeutet, in einer Demokratie zu leben: Eine Demokratie ist eben etwas anderes als eine Diktatur der Mehrheit, es geht dabei auch um Dinge wie Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenschutz.
Dafür reichen herkömmliche Partizipationsangebote nicht. Wir müssen dorthin gehen, wo unterschiedlichste Menschen zusammenkommen. An Schulen zum Beispiel. Aber nicht um mit den Kindern zu sprechen, sondern mit den Eltern. Es bräuchte noch viel mehr Gespräche in Vereinen und Unternehmen. Damit könnte man den gesellschaftlichen Diskurs verändern.

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