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Maduro ist taub für linke Kritik
Venezuelas Präsident verschärft Repression gegen unabhängige Chavisten
Fünf Tage nach ihrer Verhaftung war Martha Lía Grajales wieder zu Hause. Am Mittwoch vergangener Woche kam die linke Menschenrechtsaktivistin in Venezuela unter Auflagen vorerst frei. Zuvor hatten sich Hunderte Organisationen und Einzelpersonen für Grajales eingesetzt. Darunter sind auch prominente Namen wie der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel, die argentinische Organisation »Madres de Plaza de Mayo« oder der französisch-brasilianische Soziologe Michael Löwy.
»Dass Martha Lía das Gefängnis verlassen durfte, liegt vor allem an der großen Solidarität innerhalb Venezuelas und auf internationaler Ebene«, betont ihr Ehemann Antonio González Plessmann, der genau wie Grajales Mitglied der linken Menschenrechtsorganisation SurGentes ist, gegenüber »nd«.
Die Vorwürfe »Anstiftung zum Hass, Verschwörung mit einer ausländischen Regierung und Bildung einer kriminellen Vereinigung« werden bislang jedoch aufrechterhalten. SurGentes bezeichnet sie als »juristisch konstruiert«.
Verhaftung bei einer Protestaktion
Am 8. August war Grajales bei einer Protestaktion des »Komitees von Müttern zur Verteidigung der Wahrheit« von der Polizei gezwungen worden, ein Fahrzeug ohne Nummernschild zu besteigen. Das Komitee setzt sich für die Rechte von 124 jungen Erwachsenen ein, die infolge der Unruhen infolge der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Juli 2024 nach wie vor inhaftiert sind. Anschließend fehlte von Grajales tagelang jede Spur. Eine offizielle Bestätigung ihrer Verhaftung erfolgte erst am 11. August. Generalstaatsanwalt Tarek William Saab, einst selbst ein anerkannter Menschenrechtler, erklärte, der Haftbefehl gegen Grajales basiere auf »Aktionen gegen die venezolanischen Institutionen und den Frieden der Republik«.
Grajales stammt ursprünglich aus Kolumbien, hat einen venezolanischen Pass und ist in Venezuela seit etwa 15 Jahren an der chavistischen Basis tätig. Das linke Menschenrechtskollektiv SurGentes setzt sich seit Jahren kritisch mit Polizeigewalt in den Armenvierteln oder der Regierungspolitik auseinander, denen es unter Maduro einen deutlichen »Rechtsruck« attestiert. Vor dem Tod von Hugo Chávez 2013 hatten verschiedene Mitglieder von SurGentes selbst Positionen innerhalb der Regierung und des staatlichen Sektors inne. So begleitete González als Experte und Soziologe etwa den Prozess der fortschrittlichen Polizeireform ab 2006, der längst als gescheitert gilt. Grajales arbeitete vorübergehend in der universitären Menschenrechtsschulung für Polizist*innen.
Seit Grajales’ Freilassung prangern regierungsnahe Kreise die Finanzierung von SurGentes und anderer linker Gruppen an. Seit Jahren arbeitet etwa die deutsche Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS), die der Partei Die Linke nahesteht, mit SurGentes zusammen. Finanzielle Zuwendungen wurden stets transparent kenntlich gemacht. Verschiedene Beiträge in den sozialen Medien versuchten, die Stiftung als Vertreter der deutschen Regierung darzustellen, da sie – wie alle parteinahen Stiftungen in Deutschland – ihre finanziellen Mittel von verschiedenen Ministerien bezieht. Am vergangenen Montag dann griff Venezuelas Präsident Nicolás Maduro diese Argumentation in einer Fernsehansprache auf. »Rosa Luxemburg ist unsere Heldin, die Heldin der echten Sozialisten«, erklärte er. »Aber dann haben sie eine Stiftung gegründet, die NGO Rosa Luxemburg, um Leute zu gewinnen und zu finanzieren, die einmal links waren oder vorgeben, links zu sein.« Ziel sei es, seine Regierung mittels eines linken Diskurses »von innen heraus anzugreifen«.
Whistleblower sind nicht erwünscht
In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu selektiver Repression gegen linke Gruppen und Personen. Für scharfe Kritik sorgte an der linkschavistischen Basis etwa der Fall Aryenis Torrealba und Alfredo Chirinos. 2020 hatten die beiden jungen Mitarbeiter*innen des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA auf interne Missstände und Korruption hingewiesen. Daraufhin wurden sie zunächst der Spionage bezichtigt, inhaftiert und dann unter Hausarrest gestellt. Im April 2023 erlangten sie schließlich ihre Freiheit zurück, nachdem sich ihre Vorwürfe als zutreffend herausgestellt hatten. Nach der von Betrugsvorwürfen überschatteten Präsidentschaftswahl im Juli 2024 beklagen rechte wie linke Sektoren eine verstärkte Repression. Vor wenigen Tagen erhielt die linke Anwältin María Alejandra Díaz politisches Asyl in Kolumbien. Der ehemalige chavistische Bürgermeister von Caracas, Juan Barreto, lebt seit Monaten de facto unter Hausarrest, da permanent ein Fahrzeug der Geheimdienstpolizei vor seinem Wohnhaus stationiert ist. Sowohl Díaz als auch Barreto hatten nach Maduros erklärter Wiederwahl öffentlich transparente Wahlergebnisse eingefordert. Seitdem das Oberste Gericht 2023 die Parteistrukturen der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) wie bereits zuvor bei anderen linken Parteien einem regierungsnahen Sektor zusprach, hat die regierungskritische Linke zudem keine legale Möglichkeit mehr, eigene Kandidaturen aufzustellen.
González Plessmann von SurGentes überrascht das jüngste Vorgehen gegen unabhängige Linke nicht. »Offen für Kritik war die Regierung Maduro nie«, sagt er gegenüber dem »nd«. »Da die rechte Opposition mittlerweile sehr stark geschwächt ist und praktisch führungslos dasteht, wird die linke Opposition sichtbarer. Das ist der Hintergrund der jüngsten Attacken.«
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