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Habemus Labubu
»Back to school« – aber nicht ohne Bentoboxen
Howdy aus Texas, liebe Lesende,
während in Europa der August als ultimativer Urlaubsmonat gilt, ging in Texas vergangene Woche die Schule los. Aber da die Sommerferien bereits Mitte Mai beginnen, ist der Schulstart lang ersehnt und wird ausgiebig zelebriert. »Back to school« ist in den USA eine Institution wie die Außenbeleuchtung zu Weihnachten, das Truthahnessen zu Thanksgiving oder das »Tailgating« zur Spielsaison (dazu demnächst mehr). »Back to school« ist selbstverständlich auch ein Aufruf zum Shoppen – für Rucksäcke und Lunchzubehör, das aus folgenden unverzichtbaren Elementen besteht: Bentoboxen, isolierte Lunchboxen für eben genannte Bentoboxen, vorzugsweise mit gleichem Motiv wie der Rucksack, Eispacks in Einhorn- oder Dino-Form für ebenjene Boxen (Amis lieben’s kalt), Minibesteck, monogrammierte Trinkflaschen, saisonale Servietten.
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.
Schon lustig, dieser ganze Aufwand, wenn doch die größte Fast-Food-Kette der USA das Schulkantinensystem ist! Aber manchmal schmeckt es eben nicht – was mich kein bisschen überrascht. Und was genau man den Bälgern in die Bentobox packen soll, wenn sie mal keine Lust auf Cafeteria-Pizza haben, wird Wochen vor Schulbeginn auf Social Media verbreitet: Reisbällchen mit essbaren Augen und Öhrchen, Minnie- oder Mickymaus-Gesichts-Pancakes und jede Menge Snacks. Denn Snacks kann man als Amerikaner nie genug haben, genau wie Synthetikklamotten. Die Kinderoutfit-Hauls der Muttis für »Back to School« sind teilweise verstörend: Fünf Paar neue Turnschuhe für jeden Wochentag, »Modesty«-Shorts (Amis lieben’s anständig) und Haarschmuck farblich passend zu jedem Kleid, Charms für Crocs. Ja, Kind trägt weiterhin Crocs zur Schule.
Auch obligatorischer Teil des »Back to School«-Prozesses: Ein Facebookpost von jeder Mutti, die du kennst, mit jedem Gör, das sie hat, das jeweils Schildchen mit seiner Info hochhält à la: »Name: Kennedy, Klasse: 3., Traumjob: Influencerin«. Man muss die Karriere früh manifestieren. Und nicht zu vergessen, die Geschenke! Schultüten wären hier sinnlos, denn Schulunterlagen werden bereits im Sommer für 60 Tacken bei der Schule vorbestellt und Süßigkeiten sind zu alltäglich.
Bis eben dachten Sie vielleicht noch, dass ich an all den gerade beschriebenen Riten nicht teilnehme, mich nur über meine Mitmamis und Mitamis lustig mache. Leider muss ich gestehen, dass ich Teil des Problems bin. Für die Gründe (Immigrations,- Integrations- und Einbürgerungsstress) müsste ich mich mal therapieren lassen, aber bis es so weit ist, lassen Sie mich gestehen, dass ich meiner Tochter einen Labubu zum Schulanfang geschenkt habe.
Falls Sie noch immer nicht wissen, was Labubus sind, ist es ohnehin zu spät – die Dinger sind bald wieder out. Aber gerade noch sind die kleinen Plüschfigürchen mit ihren gruseligen Fratzen sehr schwer zu kriegen. Sie werden um bestimmte Uhrzeiten auf die Website des Hongkonger Ladens Pop Mart gestellt, sind in Sekunden weg und man weiß nicht einmal, welchen dieser kleinen Teufelchen man kriegt, denn sie kommen in sogenannten »Blind Boxes« ̶ jeder Shoppingakt eine Überraschung, perfekt für die Amerikaner! Auch mir, die ihrerzeit Monchichis und Trolle mochte, imponieren die Dingerchen. Erfunden wurden sie vom Künstler Kasing Lung, der sich von nordischer Mythologie inspirieren ließ (ich fördere mein Kind eben gern kulturell!).
Das App-Stalking und Falsche-Fellfarbe-Risking fand ich dennoch doof und wandte mich den Mutti-Facebookgruppen zu. Für 50 statt 30 Tacken kriegten wir von einer Mom, die nächtelang aufbleibt und Labubus aufkauft, ein lila Monsterchen, dessen Echtheit ich sofort mithilfe von Google prüfte (auch Vorstadtmuttis können Kriminelle sein). Psychologen nennen solch dekadente Kleinigkeiten den »lipstick effect«: In einer Wirtschaft, in der wir uns immer weniger Großes leisten können, boomen die »little luxuries« wie überteuerte Heißgetränke, »Touchland«-Handdesinfektionsmittel für zwölf Dollar (mit einer Hülle für 20) oder Labubus. »Aber nicht an den Schulrucksack hängen«, warnt unsere Labubu-Dealerin, »die werden gestohlen!« Kennedy, bleib bei deinen Karriereplänen!
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