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Fledermäuse in Berlin: Die Hauptstadt Europas
In Berlin leben mehr als 18 Fledermausarten – mehr als in jeder anderen mitteleuropäischen Stadt
»Wir sind hier an einem echten Fledermaus-Hotspot«, sagt Nora Pedroso Holthöfer. Die Landschaftsökologin vom Lichtenberger Umweltbüro steht am malerischen Ufer des Obersees in Alt-Hohenschönhausen. Es dämmert und der Himmel färbt sich leuchtend rosa. Wie bestellt, zeichnet sich über dem Wasser die Silhouette einer fliegenden Fledermaus ab. »Das ist wahrscheinlich ein Großer Abendsegler«, erklärt Pedroso Holthöfer.
Knapp 20 Gäste hören ihr aufmerksam zu. Sie macht eine Fledermausführung rund um den Ober- und den Orankesee. Die kleinen fliegenden Säugetiere sind in Berlin oft zu beobachten. Denn die Hauptstadt ist europaweit die Stadt mit den meisten Fledermäusen. »In Deutschland gibt es 25 Arten, 18 davon wurden in Berlin schon nachgewiesen«, sagt Pedroso Holthöfer. Dass die Führung am See stattfindet, ist kein Zufall: »Hier ist mückenmäßig viel los.« Alle in Europa vorkommenden Fledermausarten sind Insektenfresser. Und weil die Flughäute sehr empfindlich auf Trockenheit reagieren, bevorzugen sie Orte mit höherer Luftfeuchtigkeit.
Während das letzte Sonnenlicht langsam verschwindet, packt Pedroso Holthöfer ein rotes Plastikgerät aus, das etwas größer als eine Streicholzschachtel ist: Mit dem sogenannten Bat Detector, einem Fledermaus-Detektor, kann festgestellt werden, was für eine Fledermaus zu sehen beziehungsweise zu hören ist. Fledermäuse können zwar gut sehen, orientieren sich aber in der Dunkelheit per Echoortung. Bei der Jagd schreien sie quasi permanent. Objekte, sei es ein Nachtfalter, eine Wand oder ein Baum, werfen den Schall zurück, die Fledermäuse können so hören, wo sie sind.
Für menschliche Ohren ist dieses Ultraschall-Konzert nicht wahrnehmbar, dafür braucht es den Bat Detector, der die Rufe in hörbare Frequenzen umwandelt und in Verbindung mit einem Tablet anzeigt, um welche Art es sich handelt. Denn jede Fledermaus hat ihren eigenen charakteristischen Ruf. »Bei der Zwergfledermaus klingt das wie ›Blipblipblip‹, beim Großen Abendsegler sind die Abstände länger«, sagt Pedroso Holthöfer.
Der Detektor zeigt dann auch an, dass diese beiden Arten um den Obersee flattern. Es sind die häufigsten in Berlin. Die Zwergfledermaus hat einen großen ökologischen Vorteil: Sie findet einfacher Quartiere. Wie der Name schon sagt, ist sie sehr klein. Mit einer Körpergröße von 4,5 Zentimetern, also Bat-Detector- oder Streichholzschachtelgröße, fühlt sie sich selbst in Rissen von Baumrinde zu Hause.
»Viele Arten sind in Berlin gefährdet«, erklärt Pedroso Holthöfer. Das Insektensterben auf der einen Seite, aber auch dass Grünflächen beräumt werden, wirke sich auf die Populationen aus, vor allem wenn für Fledermäuse wichtige alte Bäume entfernt würden. Beobachten konnte man das beispielsweise auf den Falkenberger Krugwiesen. Dort wurden im Rahmen einer ökologischen Aufwertung alte Bäume entfernt. Danach habe es wesentlich weniger Fledermäuse gegeben, so Pedroso Holthöfer. »Dafür haben es dort jetzt Offenlandarten wie Vögel leichter.«
»Die Fledermäuse brauchen sehr unterschiedliche Räume über das Jahr«, sagt die Landschaftsökologin. Aktuell befinden sie sich in ihren Sommerquartieren. Die Weibchen schließen sich in sogenannten Wochenstubengesellschaften zusammen. Dort werden die Jungtiere geboren und großgezogen. Die Männchen leben in eigenen Quartieren und übernehmen keinerlei Verantwortung für den Nachwuchs. Wenn die Jungtiere entwöhnt sind und selbstständig auf Insektenjagd gehen können, ziehen Fledermäuse ab Mitte September ins nächste Quartier, das sogenannte Balz- und Paarungsquartier. Dort wird geflirtet und nach erolgreicher Partnersuche paaren sich die Säuger.
»In Deutschland gibt es 25 Arten, 18 davon wurden in Berlin schon nachgewiesen.«
Nora Pedroso Holthöfer
Umweltbüro Lichtenberg
Von der Paarung bis zur Befruchtung vergehen aber einige Monate. Dazwischen, von Anfang November bis Ende März, halten die Fledermäuse Winterschlaf. Und auch dafür braucht es passende Quartiere. Kühl und feucht müssen sie sein, aber ohne Frost. Der Umweltschutzorganisation Nabu zufolge gibt es 50 solcher Quartiere in Berlin. Das bekannteste ist die Zitadelle in Spandau. Über 10 000 Fledermäuse überwintern dort. Neben der Zwergfledermaus und dem Großen Abendsegler unter anderem auch das Braune Langohr oder die Breitflügelfledermaus. Auch alte Bunker und Anlagen der Berliner Wasserbetriebe liegen hoch im Kurs.
Während wir zur heißen Jahreszeit weiter im Büro schwitzen und das Parlament in den Ferien ist, tapst und kratzt und raschelt und flattert die Berliner Tierwelt wie gewohnt durch die Stadt. Wir nehmen uns von Woche zu Woche ein Berliner Wildtier vor. Jeden Dienstag vom 15. Juli bis zum 2. September erwarten Sie an dieser Stelle spannende Geschichten aus dem Großstadtdschungel!
Um den Winter zu überstehen, fressen sich die Tiere nicht nur ein ordentliches Fettpolster an. Während des Winterschlafs reduzieren sie ihre Körpertemperatur und verlangsamen Atmung und Herzschlag drastisch. »Das ist eine ganz kritische Phase«, sagt Pedroso Holthöfer. Wenn sie in dieser Zeit gestört und geweckt werden, verbraucht das viel Energie, was dazu führen kann, dass die Reserven nicht für den ganzen Winter reichen und die kleinen Säuger sterben. Deswegen sind bekannte Winterquartiere in dieser Zeit auch gesperrt.
Am Orankesee neigt sich die Führung in der Dunkelheit mittlerweile dem Ende zu. Eine frische Brise ist aufgezogen, der Bat Detector zeigt weniger Fledermausaktivität an – mehr Wind, weniger Insekten, weniger Fledermäuse. Zum Abschluss zeigt sich dann aber doch noch eine Fledermaus. Rund um eine Straßenlaterne flattert eine Zwergfledermaus erratisch immer wieder in den Lichtschein.
Alle Teile der Wildtier-Serie finden Sie hier: Teil 1: Störche in Berlin; Teil 2: Igel in Berlin; Teil 3: Füchse in Berlin; Teil 4: Ratten in Berlin; Teil 5: Otter in Berlin; Teil 6: Zauneidechsen in Berlin; Teil 7: Fledermäuse in Berlin
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