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Reaktionen auf Israels Vorgehen: Wirklich nicht akzeptabel
Israels Regierung kann machen, was sie will. Der Rest der Welt nimmt es hin, beobachtet Christoph Ruf
Ich weiß gerade nicht, was mich mehr verzweifeln lässt: die Lage im Nahen Osten oder die Reaktionen darauf. Während Sie diese Zeilen lesen, setzt die israelische Regierung ihre Angriffe auf Gaza Stadt fort, wird das Westjordanland jetzt auch ganz offiziell besetzt, sterben weiter unzählige Zivilisten. Einigen Nachrichtenformaten ist all das nicht mal mehr eine Meldung wert. Der Gewohnheitseffekt setzt eben in Nachrichtenredaktionen mindestens genauso früh ein wie beim Rest der Bevölkerung. Dennoch gibt es in der Berichterstattung und in den politischen Reaktionen ein paar Phänomene, die ich schwer erträglich finde.
Wenn Wladimir Putin rituell als »Kriegsverbrecher« (was ich sachlich richtig finde) anmoderiert wird, als sei das ein Titel wie »Bundeskanzler«, dann frage ich mich, welcher Titel Benjamin Netanjahu gebührt, der brav als »Premierminister« anmoderiert wird. Wenn Greta Thunberg noch nicht so abgestumpft ist wie 99 Prozent ihrer Mitmenschen und wieder Teil einer Gaza-Hilfsflotte ist, muss man dann herumpsychologisieren, was die Motive der Frau sein könnten? Wenn sie sagt, dass es »eine Mission wie diese eigentlich nicht geben« sollte, weil die Regierungen der Welt nicht genug täten, »um internationales Recht aufrechtzuerhalten, Kriegsverbrechen vorzubeugen und Völkermord vorzubeugen«, dann kann man das eigentlich nicht bestreiten, oder?
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich mal so etwas schreiben würde. Aber ich halte es mittlerweile für eine ausgemachte Sache, dass es im israelischen Kabinett einige Mitglieder gibt (und es spricht viel dafür, dass der Premier dazugehört), die den Hungertod Tausender für eine willkommene Etappe auf dem Weg zu ihren Plänen für Gaza halten. Und während man dort ohne Frage zu Recht kein moralisches Urteil sprechen sollte, ohne sich zu vergegenwärtigen, was die Hamas tat, tut und tun wird, wenn man sie lässt, ist die Lage im Westjordanland eine andere. So viel Fantasie um das, was dort geschieht, noch als Reaktion auf den 7. Oktober 2023 zu legitimieren, können nicht einmal diejenigen aufbringen, die das Vorgehen in Gaza noch als Reaktion auf den Hamas-Terror ansehen.
Am Unerträglichsten sind aber – mal wieder – die Stellungnahmen der deutschen Politik, allen voran des Kanzlers. Dem sollte man mal erklären, was genau die von ihm so häufig genutzten Formulierungen »nicht akzeptabel« und »inakzeptabel« bedeuten. Mit diesen Wendungen hat Freidrich Merz zuletzt unter anderem den Umgang mit der designierten Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf kritisiert – als wären es nicht seine eigenen Leute gewesen, die sich inakzeptabel verhalten hätten.
Und auch die Bombardierung eines Krankenhauses in Gaza, bei dem mal wieder viele Zivilisten gestorben sind, fand Merz – na? – »nicht akzeptabel«. Nur, dass das keine manierierte Alternative zu »Finde ich nicht gut« ist. Wer etwas »inakzeptabel« findet, sagt damit, dass er es nicht hinnehmen wird. Doch genau das tut Merz ganz offensichtlich eben doch. Und nicht nur er. Israels Regierung kann machen, was sie will. Der Rest der Welt nimmt es hin.
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