Marla-Svenja Liebich: Politikmanöver mit Hintergedanken

Bodo Niendel hält die Causa Liebich für ein gefundenes Fressen im aktuellen Politikbetrieb

  • Bodo Niendel
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Marla-Svenja Liebich
Marla-Svenja Liebich

Seit dem 1. November 2024 haben alle Menschen in Deutschland das Recht, ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag zu ändern. Der Bundestag stimmte dem Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) der damaligen Ampel-Regierung mit den Stimmen der Linken im Frühjahr 2024 zu. Im Gegensatz zum vorherigen Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1980 bedarf es jetzt keiner psychiatrischen Gutachten mehr. Das Ministerium für Gesundheitswesen der DDR hatte übrigens bereits 1976 eine ähnliche »Verfahrensregelung« erlassen.

Das Selbstbestimmungsgesetz soll besonders trans- und intergeschlechtlichen Menschen eine Akzeptanz im Recht verschaffen. Es handelt sich um eine relativ kleine Personengruppe. Davon zeugen auch die bisherigen Nutzungszahlen: Sie dürften sich bei dem durchschnittlichen Besuch eines Fußballspiels der 3. Liga einpendeln, also etwa 10.000 Personen pro Jahr.

In Deutschland waren besonders die AfD, die Konservativen und das BSW gegen das SBGG. Sie argumentierten zumeist damit, dass Frauenrechte bedroht seien. Frauensaunen, -häuser und -toiletten, aber auch Frauengefängnisse wurden als gefährdete Orte für Frauen identifiziert. Eine trans Frau an sich sei eine Bedrohung für andere Frauen, hieß es.

Bodo Niendel

Bodo Niendel ist Referent für Queerpolitik der Linksfraktion im Bundestag.

Nun scheinen sich die Befürchtungen der Kritiker des SBGG bewahrheitet zu haben. Ein Rechtsextremist änderte mit Hilfe des SBGG seinen Geschlechtseintrag. Er sollte seine Haft in einem Frauengefängnis, der JVA Chemnitz, antreten. Dem entzog er sich durch Flucht. Da er einen weiblichen Personenstand hat, war die Aufforderung zum Haftantritt im Frauengefängnis ein normaler Vorgang. Hier hätte es ein Aufnahmegespräch gegeben, heißt es. Seine Biografie und seine bisherigen Äußerungen – queere Menschen bezeichnete er als Parasiten – seien beachtet worden. Da er aber das Gesetz offensichtlich missbräuchlich nutzte, hätte man ihn in ein Männergefängnis verlegen müssen.

Der Soziologe Erving Goffman hat Gefängnisse als totale Institutionen bezeichnet. Hier schränkt der Staat Freiheit ein. Gerade verletzliche Gruppen wie trans Personen sind dort massiver Gewalt durch die Institution und Mithäftlinge ausgesetzt. Davon zeugen viele Suizide von Betroffenen. Die Autoritären dieser Welt, die Rechtsextremisten und die Konservativen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten gegen Trans-Rechte mobil gemacht, insbesondere in den USA. Aber auch in Russland. Donald Trump und seine Konservativen schränkten die Rechte von trans Menschen massiv ein. Die jüngste Veröffentlichung der Philosophin Judith Butler »Wer hat Angst vor Gender« dokumentiert dies eindrücklich.

Gerade transgeschlechtlichen Menschen wurden über Jahrzehnte Bürger- und Menschenrechte verweigert, sodass das Bundesverfassungsgericht in vielen Fällen einschritt. Das SBGG ist die Folge von Urteilen des höchsten deutschen Gerichts sowie des Europäischen Gerichts für Menschenrechte. Viele westliche Staaten führten zuvor ähnliche Gesetze ein. Die Fälle des Missbrauchs blieben verschwindend gering.

Würde nur die AfD und ein paar Neonazis gegen das SBGG mobil machen, so wäre dies nicht beängstigend. Doch die Union, flankiert durch Konservative im Feuilleton, schwingen sich zu Frauenverstehern auf. Gerade sie, die die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt nur unzureichend umsetzen und Frauenhäuser kaum finanzieren. Der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher analysierte treffend den Konservatismus. Dieser nimmt sich den vermeintlich kulturellen Fragen nur zu gerne an (sprich: Minderheiten Rechte vorenthalten), um in den Verteilungsfragen weiter seine Politik der Verteilung von unten nach oben verfolgen zu können.

Das Hochjazzen der Causa Liebich und der Versuch der Union, das SBGG wieder zu kippen, will Mehrheiten in der Mitte und weiter rechts gewinnen. Minderheiten sollen Menschenrechte verwehrt und der Neoliberalismus weiter forciert werden.

Für den Autoren ist es offensichtlich, dass Liebich die Änderung des Namen und Geschlechtseintrags missbräuchlich genutzt hat. Er spricht deshalb von Liebich in der männlichen Form.

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