- Berlin
- IG Metall
Geht der Mercedes-Stern in Ludwigsfelde unter?
1800 Arbeitsplätze in der Autofabrik im südlichen Berliner Umland nur bis 2030 gesichert
Es ist etliche Jahre her. 2010 leitete der für seine Filme vielfach ausgezeichnete Regisseur Andreas Dresen ein Dokumentarfilmprojekt. Der Sender RBB hatte zum 20. Jahrestag der Wiedergründung des Landes Brandenburg 20 Kurzfilme in Auftrag gegeben. Auch der Filmemacher Rosa von Praunheim beteiligte sich. Einen Streifen drehte Dresen damals selbst: den über die Arbeiter der Halle 101 im Mercedes-Benz-Werk in Ludwigsfelde.
Dresen war damals vier sehr heiße Tage im Juli dort. »Es herrschten drinnen über 40 Grad. Unser Team bestand aus drei Leuten. Wir schwitzten alle höllisch – und haben eine unglaubliche Herzlichkeit erlebt. Die Arbeiter brachten uns Bockwürste und Bier. Das hat mich total berührt.« So schilderte es Dresen im nd-Interview. »60 Menschen sind in dieser Halle beschäftigt. Ich habe nicht alle gefilmt, aber mit fast allen gesprochen. Niemand war unglücklich mit seinem Leben. Nach Träumen befragt, sagten die meisten: Sie möchten noch möglichst lange hier bleiben, und wenn sie in Rente gehen, dann wünschen sie ihren Kollegen, dass es für sie weitergeht.«
Doch dieser Traum droht 20 Jahre später zu platzen. 2500 Mitarbeiter zählte das Werk 2010. Heute hat die Mercedes-Benz Ludwigsfelde GmbH rund 1700 Beschäftigte und vier offene Stellen – alle vier sind für Lehrlinge gedacht, die sich zum Kfz-Mechatroniker für Personenwagentechnik oder für System- und Hochvolttechnik, zum Elektroniker oder zum Industriemechaniker ausbilden lassen wollen. Aber hat das Zukunft im Konzern hier im Industriepark von Ludwigsfelde? Denn die Arbeitsplätze sind per Betriebsvereinbarung vorerst nur bis 2030 sicher. So lange noch soll im südlichen Berliner Umland der Transporter vom Typ Sprinter montiert werden, das Nachfolgemodell dann nach bisherigem Kenntnisstand in Polen.
In Ludwigsfelde soll es in Zukunft offenbar nur noch eine kleine Fabrik für Elektrofahrzeuge geben, ein sogenanntes Kompetenzzentrum für individuelle Fertigungen. Das sei schon im Aufbau, sagt Tobias Kunzmann von der Gewerkschaft IG Metall dem »nd« am Mittwoch. Außerdem sollen Transporter als Campingmobile ausgebaut werden. Dafür sei schon eine Halle freigeräumt worden. »Aber das rettet keine 1500 Arbeitsplätze«, sagt Kunzmann. Zum Kompetenzzentrum für individuelle Fertigungen hatte er bereits im Oktober vergangenen Jahres gesagt, dieses wäre eher »eine Manufaktur für ein paar Hundert Beschäftigte«.
Obwohl das die Betroffenen seit Monaten umtreibt, wurde das Problem zunächst kaum in die Öffentlichkeit getragen. Das ändert sich nun. Am 13. September von 11 bis 14 Uhr wollen sich Beschäftigte und ihre Angehörigen und Freunde bei einem Aktionstag auf dem Rathausplatz von Ludwigsfelde treffen.
Auch Mitarbeiter von Zulieferbetrieben werden erwartet. Denn nach Angaben der IG Metall hängen an der Autofabrik auch die Jobs Hunderter Mitarbeiter in Zulieferbetrieben, in der Logistik und im Dienstleistungsgewerbe der Region. Eine Schließung würde massive wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen. Für den Aktionstag sind Reden auf einer Bühne, Infostände und ein kleines Unterhaltungsprogramm für Kinder angekündigt.
Eine Unternehmenssprecherin verweist darauf, es sei auch eine Fabrik für Elektrofahrzeuge vorgesehen und erklärt: »Die Mercedes-Benz Ludwigsfelde GmbH und die Mercedes-Benz AG arbeiten gemeinsam mit den Mitarbeitervertretungen am Zukunftsbild und der weiteren Ausgestaltung.«
Es gebe noch keine ausformulierten Forderungen der IG Metall, sagt Gewerkschafter Kunzmann. Auf jeden Fall verlange die Gewerkschaft aber die Rettung der Jobs durch eine Perspektive für den Standort – entweder unter dem Mercedes-Stern oder durch eine gleichwertige industrielle Produktion mit einem neuen Eigentümer für das Werk. Es hat eine lange Geschichte.
In der Genshagener Heide fertigte die Daimler-Benz AG schon ab 1936 Flugzeugmotoren für die Luftwaffe. In der DDR montierten die Beschäftigten dann Motorroller und ab 1965 Lastkraftwagen des Typs W50. Im Jahr 1986 liefen 32 500 Stück vom Band. Dann wurden es weniger davon und bis zur Wende immer mehr vom neuen Typ L60. 1991 nahm Mercedes-Benz den zwischenzeitlich volkseigenen Betrieb zurück.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.