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»Der Streik hat mir geholfen, als junger Mensch Kraft aufzubauen«
Eine aktuelle Publikation dokumentiert frühe Momente migrantischer Selbstermächtigung in der BRD - und die heutige Debatte darum
Deutsche kämpften Betrieb frei»: So lauteten die Schlagzeilen in «Bild» und anderen rechten Medien, als am 30. August 1973 Polizei und Werkschutz gemeinsam einen Arbeitskampf in den Ford-Werken in Köln brutal niederschlugen. Die vorwiegend migrantischen Arbeiter*innen hatten gegen ihre miserablen Bedingungen in der Fabrik gestreikt. Es ging um eine D-Mark mehr Stundenlohn – aber auch um die Würde der Beschäftigten. Sie berichteten von Schikanen durch Meister und Teile der deutschen Mitarbeitenden – von denen sich einige an den Angriffen auf die Streikenden am 30. August beteiligten und unter dem Schutz der Polizei ihre migrantischen Kolleg*innen blutig schlugen.
Mehr als fünf Jahrzehnte später ist der Ford-Streik erneut ein wichtiges Thema – insbesondere für eine jüngere Generation. In antirassistischen Zusammenhängen wurde er als Beginn migrantischer Selbstermächtigung wiederentdeckt. Zum 50. Jahrestag des Streiks gab es Kongresse und Veranstaltungen, bei denen auch einige damalige Streikende zu Wort kamen. Der von Nihat Öztürk, Nuria Cafaro, Bernd Hüttner und Florian Weis nun im Verlag Die Buchmacherei herausgegebene Band mit dem etwas sperrigen Titel «Der Streik hat mir geholfen, als junger Mensch Kraft aufzubauen. Migrantische Kämpfe gegen Ausbeutung und Rassismus» dokumentiert die Debatte eindrucksvoll.
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Perspektiven auf Gewerkschaft
Der Titel ist ein Zitat eines Ford-Kollegen, der den Streik nicht in erster Linie als Niederlage verstand. Das Buch sei allen zur Lektüre empfohlen, die sich intensiver mit der Geschichte migrantischer Arbeitskämpfe in der Bundesrepublik auseinandersetzen wollen. In 15 Beiträgen werden die unterschiedlichen Konfliktlinien dargestellt und Kontroversen deutlich benannt – insbesondere zwischen den beiden ehemaligen linken IG-Metall-Funktionären Witich Rossmann und Nihat Öztürk, die jeweils mehrere Beiträge verfasst haben.
Verschiedene Perspektiven gibt es dabei vor allem auf die Rolle des Betriebsrats und der IG Metall während des Ford-Streiks. Rossmann räumt Fehler der Gewerkschaft ein, attestiert der IG Metall jedoch, dass sie die Ziele der Streikenden in Bezug auf bessere Arbeitsbedingungen geteilt habe – nicht jedoch deren Methoden. Dass es zu einer Spaltung der Ford-Belegschaft kam, schreibt er vor allem Anarchosyndikalist*innen und kommunistischen Kleinstparteien zu, die seiner Ansicht nach eine sektiererische Politik betrieben und den Betriebsrat sowie die IG Metall bekämpften. Diesem Punkt widerspricht auch Öztürk nicht.
Tatsächlich propagierte die KPD/AO damals den Aufbau einer «Revolutionären Gewerkschaftsopposition» in klarer Abgrenzung zur IG Metall. Öztürk betont jedoch, dass der Grund für die Unterstützung solcher Gruppen unter den Streikenden in der Politik eines Betriebsrats lag, der die Interessen der migrantischen Beschäftigten ignorierte und die Spaltung der Belegschaft durch hetzerische Reden weiter antrieb. Gewürdigt wird die sehr positive Rolle jüdischer Linkssozialisten wie Max Diamant und Jakob Moneta, die sich für eine Öffnung der IG Metall gegenüber Migrant*innen einsetzten – unterstützt vom damaligen IG-Metall-Vorsitzenden Otto Brenner. Ende der 1970er Jahre setzte sich unter der Ägide des DKP-Mitglieds Walter Malzkron auch in der Kölner IG Metall diese Linie durch.
Aktuelle Kämpfe
In mehreren Beiträgen thematisiert das Buch migrantische Arbeitskämpfe der Gegenwart, etwa die der Fahrradkurierinnen, die sich – wie Duygu Kaya in einer Rede vor dem Berliner Arbeitsgericht 2023 – bewusst in die Tradition der Kämpfe von vor 50 Jahren stellen. An dieser Organisierung war seit 2017 die Basisgewerkschaft Freie Arbeiter*innen-Union (FAU) maßgeblich beteiligt. Umso irritierender ist es, wenn Witich Rossmann behauptet, diese Kämpfe hätten «unter der Führung der Autonomen und der FAU eine strikt antigewerkschaftliche Organisierung». Damit spricht er der FAU ihren Status als Gewerkschaft außerhalb des DGB ab – obwohl sie durchaus zu gemeinsamen gewerkschaftlichen Aktionen bereit war und ist. Solche Ausgrenzungen sollten überwunden werden, wenn es mit einer international gedachten Gewerkschaftssolidarität, wie sie die Soziologin Nicola Mayer-Ahuja im Schlusskapitel engagiert verteidigt, ernst gemeint ist.
Außerdem wird in zwei Beiträgen auf bedeutende, überwiegend von Migrant*innen getragene Streiks im Jahr 1973 eingegangen, die trotz heftiger Gegenwehr des Managements – etwa bei Ford in Köln mit Hetzkampagnen und Polizeieinsätzen – erfolgreich waren. Dieter Braeg und Peter Leipziger berichten vom Streik migrantischer Frauen bei Pierburg in Neuss, während sich die griechische Kommunistin Irina Vavitsa an den weniger bekannten Ausstand beim Autozulieferer Hella in Lippstadt erinnert. In beiden Fällen waren es oft migrantische Frauen mit linker Sozialisation, die sich in Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit einbrachten und so zentrale Rollen in den Auseinandersetzungen spielten.
Nihat Öztürk, Nuria Cafaro, Bernd Hüttner, Florian Weis (Hrsg.): Der Streik hat mir geholfen, als junger Mensch Kraft aufzubauen. Migrantische Kämpfe gegen Ausbeutung und Rassismus. Die Buchmacherei 2025, 467 S., br., 22 €.
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