Ankerverbot in Berlin: Wohnträume zu Treibgut

In der Rummelsburger Bucht droht Hausbootbewohnern die Vertreibung. Diese ziehen vor Gericht

Bedrohte Zuflucht in der Rummelsburger Bucht: Dürfen in Berlin bald gar keine Hausboote mehr abseits von Liegeplätzen auf der Spree ankern?
Bedrohte Zuflucht in der Rummelsburger Bucht: Dürfen in Berlin bald gar keine Hausboote mehr abseits von Liegeplätzen auf der Spree ankern?

Die Rummelsburger Bucht: In der Abendsonne treffen sich Menschen auf Hausbooten, der Uferweg wird rege von Fußgänger*innen und Sporttreibenden genutzt. Am Rummelsburger Ufer und gegenüber auf der Stralauer Halbinsel stehen schicke Neubauten. Direkt am Ostkreuz entsteht die umstrittene Touristenattraktion Ocean Berlin (vormals Coral World). Auf dem Wasser dazwischen tummeln sich große und kleine Schwimmobjekte. Deren Bewohner*innen ziehen nun vor Gericht, um das seit einem Jahr bestehende Verbot des unbemannten Ankerns in der Bucht zu kippen. »Wir haben kürzlich unsere Klage beim Berliner Verwaltungsgericht eingereicht«, sagt Christian Patrick Doetsch vom Verein Spreepublik zu »nd«.

Die im Sommer 2024 erlassene neue Verordnung zum Stillliegeverbot belaste die Hausbootbewohner in der Rummelsburger Bucht unverhältnismäßig, sagt Doetsch. Betroffen sind alle Boote, die keinen festen Liegeplatz am Ufer haben und stattdessen in der Mitte des Rummelsburger Sees, so der offizielle Name der Wasserfläche, ankern. Solche Objekte dürfen durch die neue Verordnung nicht »unbemannt« stillliegen – das heißt, es muss immer jemand an Bord sein, um das Boot zu beaufsichtigen. »Hier leben Menschen auf dem Wasser, die normale Berufe haben und arbeiten gehen müssen oder Einkäufe zu erledigen haben«, sagt Doetsch. Die neue Anwesenheitspflicht rund um die Uhr stelle einen Eingriff in deren Freiheitsrechte dar, so Doetsch.

Seit einem Jahr versucht deshalb der Verein Spreepublik, der unter anderem die Interessen der Wasserbewohner und Kulturfloß-Betreibenden in der Rummelsburger Bucht vertritt, gegen die neue Verordnung und ein drohendes komplettes Ankerverbot vorzugehen. Mittlerweile ist es gelungen, genug Geld zu sammeln, um die Klage eines Hausbootbewohners zu finanzieren. »Der Mensch klagt stellvertretend für alle, die betroffen sind«, sagt Doetsch. Für Ende September bis Mitte Oktober sei ein nicht-öffentlicher Erörterungstermin geplant. Gericht und Verfahrensbeteiligte werden die Situation in der Bucht in Augenschein nehmen. »Wir sind alle sehr gespannt und hoffen das Beste für die Bewohner*innen der Bucht und alle Wassernutzer*innen«, sagt Doetsch.

Senat will komplettes Ankerverbot

Ob die Gerichte die Verhältnismäßigkeit der neuen Stillliegeverordnung als gegeben betrachten, ist entscheidend für die Zukunft der Rummelsburger Bucht. Die aktuelle Verordnung ist zeitlich auf drei Jahre begrenzt. Bislang hält allein die Furcht vor den Verwaltungsgerichten Bund und Senat davon ab, auf dem Rummelsburger See ein komplettes Ankerverbot und damit die Vertreibung aller Hausboote ohne Liegeplatz am Ufer zu beschließen. Ein solches Verbot gilt nämlich durch die neue Verordnung auf der restlichen Berliner Spree, Ausnahmen sind neben dem Rummelsburger See einige angrenzende Spree-Teilbereiche und die Müggelspree.

Der Senat wünscht sich aber ein komplettes Ankerverbot insbesondere für den Rummelsburger See. Das geht aus einem Schriftwechsel mit dem Bundesverkehrsministerium aus dem Frühjahr 2024 hervor. »Ein flächendeckendes Stillliegeverbot dürfte jedoch nicht die strengen Anforderungen erfüllen, die die Verwaltungsgerichte an die Verhältnismäßigkeit eines solchen Verbots stellen«, heißt es in einem Schreiben des Verkehrsministeriums an die Senatsinnenverwaltung. Wenn die vor einem Jahr eingeführte Verordnung aber ihren Zweck nicht erfülle, so das Verkehrsministerium, dann müsse über »schärfere Regelungen« entschieden werden. Die bis 2027 gewonnenen Erkenntnisse könnten dann auch eine »neue Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines flächendeckenden Stilliegeverbots ermöglichen«. Der Schriftwechsel zwischen den Behörden wurde im September 2024 nach einer Anfrage durch das Portal für Informationsfreiheit »Frag den Staat« veröffentlicht.

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Die Bewohner*innen der Rummelsburger Bucht befürchten dementsprechend, dass nach Ablauf der aktuellen Verordnung noch härtere Zeiten auf die Hausbootbewohner*innen zukommen werden. Durch die Einführung der neuen Regel konzentrieren sich mittlerweile noch mehr Hausboote im Rummelsburger See, weil sie aus der restlichen Spree durch das Ankerverbot vertrieben wurden. Sollte der Bund in zwei Jahren das Ankerverbot tatsächlich auf die derzeit geltenden Ausnahmen ausdehnen, dann bleibt den Hausbootbewohner*innen vermutlich nichts anderes übrig, als aufs Land umzusiedeln oder Berlin zu verlassen. Denn freie Liegeplätze gibt es nicht – für die Rummelsburger Bucht weiß das Christian Patrick Doetsch ganz sicher. Er selbst hat vor fünf Jahren noch einen der letzten Liegeplätze bekommen.

Michael Efler, Sprecher für Stadtentwicklung der Berliner Linksfraktion, hält ein solches Szenario für fatal. »Das ist dann nur noch blinde Verdrängung«, sagt er zu »nd«. Hausboote könnten durchaus eine klimafreundliche Wohnform sein, das Land müsse sich entsprechende Konzepte überlegen, um das Wohnen auf dem Wasser reguliert zu ermöglichen. »Es braucht mehr öffentliche Liegeplätze und keine grundsätzlichen Verbote«, sagt der Linke-Politiker.

Lange Geschichte der Verdrängung

Die Entwicklung der vergangenen Jahre rund um die Rummelsburger Bucht ist schon eine der Verdrängung. Auf der Stralauer Halbinsel, einst Industriegebiet, sind hochpreisige Miet- und Eigentumswohnungen entstanden. Grundstücke in Landeshand wurden verkauft, im April 2026 soll Ocean Berlin bezugsfertig sein – ein riesiges Aquarium und ein Hotel mit 154 Betten. »Das Gebiet ist vor allem von Privaten entwickelt worden«, sagt Efler. Kommunale Unternehmen fehlten – ein Kritikpunkt aus Sicht der Linken. Menschen mussten umziehen, weil die Gegend zu teuer geworden ist. »Das ist keine vorbildliche Stadtentwicklung.« Zur Genehmigung des Bebauungsplans von Ocean Berlin trug damals allerdings auch die Linke als regierende Partei des Bezirks Lichtenberg bei.

Einstige Bewohner*innen einer Wagenburg und eines Zelt-Camps an der Rummelsburger Bucht wurden bereits gewaltvoll vertrieben, um diese Entwicklung, vor allem den Baustart von Hotel und Aquarium, zu ermöglichen. Geblieben an alternativem Wohnen ist das Wasser. Schließlich führte eine Petition der Interessengemeinschaft Eigentümer in der Rummelsburger Bucht aus dem Jahr 2018 dazu, dass sich ab November 2023 Bund und Senat konkreter darüber austauschten, wie sie die letzten Störenfriede in der Bucht in den Griff bekommen können.

Keine freien Liegeplätze

Laut Senat dient die neue Verordnung der Allgemeinheit: »Illegales Dauerstilliegen« schränke die allgemeine Nutzbarkeit der Wasserflächen ein, behindere die »öffentliche Nutzung« und führe zu Gefährdungen und Umweltbelastungen. Dies zu unterbinden, sei dort erreicht worden, wo ein gänzliches Ankerverbot gilt, teilt die Senatsinnenverwaltung auf Anfrage von »nd« mit. »Die betroffenen Boote wurden aus diesem Bereich entfernt«, heißt es. Dass die Boote nun auf die wenigen Wasserflächen ausweichen müssen, in denen Stillliegen – wenn auch mit Anwesenheitspflicht – noch erlaubt ist, ist auch der Innenverwaltung bewusst. »Damit einhergehende Verdrängungseffekte auf andere Gewässerflächen sind derzeit in Bearbeitung«, heißt es vage.

Auch dass es zu wenige genehmigte Liegeplätze gibt, um Sport- und Hausboote umzusetzen, weiß die Innenverwaltung. Dadurch sei die »rechtliche Möglichkeit« von solchen Umsetzungen »in der Praxis nur sehr eingeschränkt nutzbar«. Die Senatsverkehrsverwaltung kann auf nd-Anfrage keine Angaben zur Anzahl von Liegeplätzen und zu deren Belegung machen, weil keine statistische Auswertung bestehe. Weder die Innen- noch die Verkehrsverwaltung machen Aussagen über die Zukunft des Ankerverbots nach Ablauf der aktuellen Verordnung und verweisen auf eine anstehende Evaluation des Bundes.

Schrottboote sind Problem

Die ganze Entwicklung lässt zumindest vermuten, dass es bei der Aufräumaktion auf der Spree und insbesondere der Rummelsburger Bucht nicht nur um Sicherheit und Ordnung auf dem Wasser, sondern auch um eine weitere Aufwertung der Gegend geht. »Aber die Rummelsburger Bucht gehört nicht nur denen, die das Glück haben, dort zu wohnen«, sagt Linke-Politiker Michael Efler. Es müsse eine breite Nutzung des Wassers erhalten bleiben. Gleichzeitig müssten aber auch existierende Probleme in der Bucht angegangen werden, so der Abgeordnete. »Es gibt definitiv ein Problem mit unbemannten Booten, wenn man die Eigentümer nicht mehr finden kann und sie langsam versinken.«

Das Problem kennt auch Hausbootbewohner Doetsch. Bis zu einem gewissen Grad kann er deshalb das Anliegen von Senat und Polizei sogar nachvollziehen. »Sie wollen gegen Objekte vorgehen, die stillgelegt und zurückgelassen wurden, sogenannte Schrottboote«, sagt er. Auch die Bewohner*innen und Aktiven in der Bucht wünschen sich das. »Die neue Verordnung trifft aber ganz klar die Falschen.«

Doetsch hofft, dass die Hausbootbewohner vor Gericht Erfolg haben und sich die Situation in der Rummelsburger Bucht wieder entspannt. »Wir wollen uns mit allen zusammen an den Tisch setzen und Lösungen finden.« Der Verein Spreepublik habe seit vergangenem Sommer viele Veranstaltungen und Informationsstände in der Bucht organisiert und sei vor allem mit den benachbarten Landbewohner*innen ins Gespräch gekommen. Man verstehe sich mittlerweile besser, sagt Doetsch.

Auch für soziale Probleme auf dem Wasser überlegt sich die Buchtgemeinschaft Lösungen: Man wolle etwa versuchen, Sozialarbeit auf den See zu holen, sagt Doetsch. »Es gibt auch Menschen mit Alkohol- oder Drogensucht auf den Booten.« Das komme beispielsweise daher, dass obdachlose Menschen keine Wohnung in Berlin finden, dafür aber ein Boot, und deshalb aus der Not heraus nun auf dem Rummelsburger See wohnen. »Die Menschen brauchen Unterstützung und nicht Vertreibung«, sagt Doetsch. Ein komplettes Ankerverbot auf dem See wollen die Wasserbewohner*innen also unbedingt verhindern.

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