Berlin: Keine Tarifpflicht in Unterkünften

Wer Geflüchtete unterbringt, muss seinen Beschäftigten lediglich den Vergabemindestlohn zahlen

Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten wirken sich auch auf die Lebensbedingungen der Geflüchteten aus.
Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten wirken sich auch auf die Lebensbedingungen der Geflüchteten aus.

Tarifverträge sollen gute Arbeitsbedingungen und ein transparentes Gehalt absichern. Doch in Berlin gibt es bekanntlich eine verhältnismäßig schlechte Quote an tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen. Das liegt unter anderem an den vielen Kleinstbetrieben und Start-ups. Doch auch in anderen Bereichen fehlt die Tarifbindung: etwa in Unterkünften für geflüchtete und wohnungslose Menschen. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linke-Abgeordneten Elif Eralp und Katina Schubert hervor.

Geflüchtetenunterkünfte in Berlin werden im Auftrag des Landes betrieben. Potenzielle Betreiber müssen sich deshalb im Rahmen von Vergabeverfahren bewerben, um den Auftrag zu erhalten. Solche Vergaben unterliegen strengen Auflagen, die bis hin zur EU-Ebene festgelegt sind. Ein Hauptkriterium, um einen Auftrag des Landes zu erhalten, ist der Preis – wenn alle Bewerber den ausgeschriebenen Ansprüchen gerecht werden, erhält der Anbieter den Auftrag, der das billigste Angebot vorlegen kann.

Dieses Vorgehen birgt die Gefahr, dass die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten vernachlässigt werden. Es muss zwar der Branchentariflohn gezahlt beziehungsweise in den Angebotspreis entsprechend einberechnet werden, doch wenn es wie etwa beim Betrieb von Unterkünften für wohnungslose Menschen einen solchen nicht gibt, dann gilt der Berliner Vergabemindestlohn von 13,69 Euro. Wie aus der Senatsantwort auf eine schriftliche Anfrage der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus hervorgeht, erfasst der Senat nicht einmal, wie viele Betreiber von Geflüchtetenunterkünften ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlen. Dasselbe gilt für Wohnungslosenunterkünfte. »So besteht keine Kontrolle über die Arbeitsbedingungen in den Unterkünften, obwohl es sich hier um Bereiche der Daseinsvorsorge handelt«, kritisiert Elif Eralp, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion.

Es würden aber durchaus auch Tarifverträge bei »einigen Betreibern« gelten, etwa für Beschäftige der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg oder beim regionalen Diakonischen Werk, so der Senat. Elif Eralp sagt zu »nd«, dass die sozialen Träger prinzipiell Tarifverträge hätten und im Vergleich zu privaten Anbietern gut zahlten. Eralp sieht allerdings auch das Problem, dass es in europäischen Vergabeverfahren rechtlich nicht möglich ist, Unternehmen mit Tarifverträgen in der Auswahl zu bevorzugen. Dafür brauche es einen Branchentarifvertrag. Oder noch besser: die Unterkünfte »langfristig in die kommunale Hand überführen« und die Beschäftigten nach Tarifvertrag der Länder entlohnen, so ein Lösungsansatz aus der Linksfraktion.

Auch die Senatssozialverwaltung befürwortet eine stärkere Tarifbindung von Betreibern. Man verfolge »seit Jahren das Ziel, dass sich Betreibende als Arbeitgebende mit Möglichkeit der Vereinbarung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über den Betrieb von Unterkünften für wohnungslose Menschen auseinandersetzen«, heißt es in der Senatsantwort. Der Senat rege die Gründung einer Tarifgemeinschaft zu diesem Zweck an.

»So besteht keine Kontrolle über die Arbeitsbedingungen in den Unterkünften, obwohl es sich hier um Bereiche der Daseinsvorsorge handelt.«

Elif Eralp (Linke)
migrationspolitische Sprecherin

Ob bloße Anregungen ausreichen, um gute Arbeitsbedingungen in Unterkünften zu erwirken, ist fraglich. Denn unter den Betreibern sind neben den sozialen Trägern auch gewinnorientierte Unternehmen. Ein Beispiel ist die European Homecare, eine Tochterfirma des Rüstungskonzerns Serco Group. Soziale Träger fordern schon lange vom Senat, dass noch mehr Kriterien in die Berliner Vergaberichtlinien aufgenommen werden, darunter zum Beispiel die Arbeitsbedingungen.

Außerdem schlagen die Träger vor, die Vernetzung der Betreiber mit Vereinen, Behörden und weiteren Stellen, die mit geflüchteten Menschen zusammenarbeiten, in die Bewertung einzubeziehen. Zudem sollen Kenntnisse über berlinspezifische Abläufe und Regelungen bei der Integration von Geflüchteten in die Bewertung einfließen. Auch Eralp unterstützt diese Forderung, um sozialen Trägern aus Berlin einen Vorteil in den Vergabeverfahren zu verschaffen.

Der Senat allerdings hält das für nicht umsetzbar. »Die angesprochene Forderung nach einer lokalen Vernetzung vor Zuschlagserteilung würde Anbietende außerhalb des Landes Berlin und außerhalb von Deutschland benachteiligen und ist daher nicht zulässig«, heißt es in der Senatsantwort. Dasselbe gelte für »eine besondere Berücksichtigung einer bereits vorhandenen lokalen Vernetzung bei der Vergabeentscheidung«.

Im März waren soziale Träger zu Gast im Integrationsausschuss des Abgeordnetenhauses, um zu schildern, warum das aktuelle Vergabeverfahren die sozialen Träger in Schwierigkeiten bringt. Der Druck, ein günstiges Angebot vorzulegen, erschwere es, gute Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Doch prekäre Arbeitsbedingungen entstünden auch, so die Träger, aufgrund der kurzen Laufzeit der Verträge. Ein Vertreter der Arbeiterwohlfahrt sagte den Abgeordneten, die Verträge für den Betrieb von Geflüchtetenunterkünften liefen regulär über ein Jahr mit einer zweimaligen Verlängerungsoption je sechs Monate. So könne man keine sicheren Arbeitsverhältnisse gewährleisten.

Das Problem werde bereits im Senat diskutiert, heißt es in der Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion. Man erarbeite eine »Portfoliostrategie«, die »den Unterbringungsbedarf für wohnungslose Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte umfasst«.

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