Energetische Maßnahmen: Schlafende Riesen sollte man wecken

Immer weniger energetische Maßnahmen im Gebäudesektor. Die Kosten tragen zu großen Teilen Mieter

Schlafende Riesen in der Frankfurter Innenstadt
Schlafende Riesen in der Frankfurter Innenstadt

Im Gebäudesektor gebe es viele Möglichkeiten, Energie zu sparen und den Klimaschutzzielen etwas näherzukommen. Genutzt werden sie allerdings kaum. »Der Kern des Problems ist das sogenannte Vermieter-Mieter-Dilemma«, sagt Sebastian Breer, Referent für Klimaschutz und Energiepolitik der Umweltschutzorganisation WWF, bei einem Vortrag diese Woche.

Gemeint ist die Modernisierungsumlage. Sie ermöglicht es Eigentümern, die Kosten für Sanierungen auf die Miete zu übertragen. Für Mieter*innen rechnen sich deshalb die Einsparungen durch den gesunkenen Energiebedarf eher nicht. Gerade Mieter*innen, welche derlei Einsparungen am meisten nutzen könnten, die also in Wohnungen der niedrigsten Energieklassen leben, fürchten sich am meisten vor energetischen Sanierungen, stellt Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein fest. Auch wenn sie von einem Komfort-Level profitieren, zum Beispiel wenn durch den Tausch der Fenster die Schimmelgefahr sinkt. Klassische energetische Maßnahmen sind Erneuerungen von Fenstern, der Austausch der Heizungssysteme oder die Dämmung der Außenbereiche.

»Der Kern des Problems ist das sogenannte Vermieter-Mieter-Dilemma.«

Sebastian Breer WWF

Für Umweltschutzorganisationen wie den WWF ist der Gebäudesektor in Deutschland einer der wichtigsten Bereiche, um Klimaschutzziele zu erreichen – neben dem Verkehr und der Industrie. Laut der Deutschen Umwelthilfe (DUH) entstehen etwa 30 Prozent der Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor. Enenergetisch saniert werden laut dem Institut der deutschen Wirtschaft pro Jahr etwas mehr als ein Prozent der Wohnungen. 2023 sank die Sanierungszahl zum dritten Mal in Folge. Um die Klimaziele bis 2045 zu erreichen, müsste sie sich verdoppeln. Die DUH bezeichnet den Gebäudesektor deshalb auch als »schlafenden Riesen«.

Der Deutsche Mieterbund fordert seit Jahren die Einführung des sogenannten Drittelmodells. Dabei teilen sich Vermieter, Mieter*innen und Staat die Kosten. Mieter*innen sollen dadurch nicht mehr für Sanierungen zahlen müssen, als sie durch gesunkene Energiekosten sparen. Anderen Mieter*innenverbänden geht die Forderung nach dem Drittelmodell nicht weit genug – sie verlangen, dass die Vermieterseite einen größeren Anteil tragen sollte.

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Derzeit unterbinde das Mietrecht ohnehin Maßnahmen, die Mieter*innen selbst ergreifen können »nach dem Motto, was nicht vereinbart ist, kann auch nicht verlangt werden«, so Bartels. Es gebe aber inzwischen gewisse »Einfalltore«. Beispielsweise das Anrecht auf bauliche Maßnahmen wie die Reduzierung von Barrieren, E-Mobilität, Einbruchschutz und neuerdings auch die sogenannten Balkonkraftwerke. Das sind Photovoltaikanlagen zur Erzeugung von Solarstrom. Diese Maßnahmen gelte es auszuweiten und über das Drittelmodell zu finanzieren.

Aktuell sind aber auch in der Bundesförderung für effiziente Gebäude keine Mittel für den vermieteten Bestand vorgesehen, meint Bartels. Das stimme nur zum Teil, heißt es dazu aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gegenüber »nd«. Vermieter könnten eine Modernisierungsumlage von zehn Prozent der für die Wohnung aufgewendeten Ausgaben erheben. Dadurch werde unter anderem der Umstieg auf das Heizen mit erneuerbaren Energien gefördert. Die Fördermittel müssen von den Ausgaben der Modernisierungsmaßnahme abgezogen werden. Somit kommen sie auch Mieter*innen zugute, da die Modernisierungsmieterhöhung geringer ausfalle.

Künftig wolle die Bundesregierung die Sanierungs- und Heizungsförderung fortsetzen. Dazu könnten aber noch keine Details genannt werden. Für das diese Woche von der Bundesregierung beschlossene Stromsteuergesetz hagelte es jedenfalls Kritik. Dieses brachte, entgegen vormaligen Ankündigungen, Entlastungen vor allem für Industrie und Landwirtschaft.

Eine Option für Mieter*innen, billiger Energie zu beziehen, ist der sogenannte »Mieterstrom«, bei dem der Vermieter mit einer Solaranlage auf dem Dach des Gebäudes Strom produziert. Vergibt er den Stromtarif mindestens zehn Prozent günstiger als der Grundtarif liegt, entfallen für den Betreiber Netzentgelte und weitere Umlagen.

In der »Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung«, die Option gibt es seit 2024, schließen sich Eigentümer und Bewohner*innen dagegen zur Stromproduktion zusammen. Laut einer vom WWF in Auftrag gegebenen Studie des Fraunhofer Instituts lohnen sich beide Optionen in Kombination mit dem Solarstandard für Mieter*innen, Vermieter und Klima. Dem Standard nach würde jedes Gebäude Schritt für Schritt mit Solaranlagen ausgestattet werden.

»Der Einzelne ist leider oft schnell am Ende, aber als Gemeinschaft kann vieles durchaus funktionieren.«

Sebastian Bartels Berliner Mieterverein

»Niemand ist gezwungen, die Miete aufgrund von Sanierungen zu erhöhen«, sagt Breer. Gerade kleinere private Vermieter ließen mit sich reden und sehen den Vorteil klimatischer Renovierungen. Sollte das nicht funktionieren, bliebe immer noch die Gründung eines Mieterbeirats, der die Interessen vertrete, sagt Bartels. Mieterbeiräte sind per se gesetzlich nur in kommunalen landeseigenen Wohnungsunternehmen vorgesehen.

Es gebe aber zum Beispiel in Berlin in Friedrichshain-Kreuzberg seit 1994 einen erfolgreichen Mieterbeirat. Er habe sich unter anderem bei dem Verkauf einiger Blöcke an die Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen für eine Rekommunalisierung eingesetzt. »Der Einzelne ist leider oft schnell am Ende, aber als Gemeinschaft kann vieles durchaus funktionieren«, schließt Bartels.

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